Das Atelier als Schutz vor der Öffentlichkeit

Bruce Nauman

Bruce Naumans Besonderheit liegt darin, dass er seine Arbeit mit dem Körper nach einigen öffentlichen Performances vor Studenten des San Francisco Art Institutes seit Ende der 1960er allein im Atelier fortgesetzt hat. Nauman ist mit seinen Videoaufzeichnungen aus dem Atelier seit ca. 1968 eine Ausnahme, denn die meisten seiner Kollegen haben Video in ihre öffentlichen Performances eingebunden, darunter in Deutschland Ulrike Rosenbach. Mit dieser Aktionsweise außerhalb der Ateliers haben Performance-Künstler das Studio als probaten Arbeitsplatz von Künstlern in Frage gestellt. Sie wenden sich damit auch von dem jahrhundertelang gepflegten Vorurteil ab, dort das Schaffen eines Künstler-Demiurgen nachzubilden. Wenn Nauman zu nächtlicher Stunde wie zur Überwachung mehrere IR-Kameras laufen ließ, so wurde offenbar, dass sich hier zwar heimliche aber keine unheimlichen Dinge ereignen und wenn doch, dann wären dafür die Interpreten verantwortlich, sofern sie in Motten, Mäusen oder in der verstümmelten Katze Animistisches erkennen wollen.

Wenn Künstler ihre Arbeit mit fotografischen oder elektronischen Medien verrichten, ohne deshalb Fotografen oder Filmer zu sein, so nutzen sie einfach die physikalischen Tatsachen, die es ihnen darüber hinaus erlauben, Zeit darzustellen, was mit den traditionellen Mitteln schwer möglich war. Die Staatsgalerie Stuttgart hat die bahnbrechenden Arbeiten von Rudolf Schwarzkogler gleich nebenan in der dem Haus angeschlossenen Sammlung Sohm. Schwarzkogler hatte sich und verschiedene Modelle schon in den 1960er Jahren in seinem Künstlerstudio filmen und fotografieren lassen. Für ihn war und für Bruce Nauman ist das Studio ein Raum, der vor unmittelbaren Publikumsreaktionen, wie der Ohrfeige, die sich Beuys 1964 in Aachen fing, schützt.

Über die Ufer getreten, aber vom „Flächenbrand“ verschont

Betr.: Ausstellung „Mythos Atelier. Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman“
Staatsgalerie Stuttgart (27.10.2012 – 10.2.2013) verlängert bis zum 3.3.2013
ab sofort ist der Eintritt für unter 20 Jährige frei!!! – eine gute Entscheidung !!!
Katalog: hg. von Ina Conzen, Hirmer Verlag, München 45€ / 59,90 SFr.

Schon der Untertitel der Ausstellung „Mythos Atelier“ „Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman“ lässt erkennen, dass das Thema geteilt wurde. Die zweite Abteilung findet die Aufmerksamkeit dieses Blogs, denn Bruce Nauman ist ein Künstler mit Wurzeln in der Performance Art. Seine Position interessiert die Kuratorin der Ausstellung; denn Ina Conzen möchte zeigen, dass das Atelier trotz der Erweiterung des Kunstbegriffs (18, alle eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf Seitenangaben aus dem Katalog) weiterhin Bestand hat und in den von Künstlern eingesetzten Topos des Atelierbildes eingebunden werden kann. Von ihm geht ein Propagandaeffekt aus, der von dem selbstbestimmten Blick auf die künstlerische Arbeitssituation herrührt. Diesen im Atelierbild fixiert, steuern Künstler mit seiner Hilfe seit der Renaissance ihr öffentliches Image. (13)

Arbeitsplätze und Büros
Nicht alle der annähernd 200 Arbeiten aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert lassen den Wandel erkennen, der sich nicht erst in den 1960er Jahren vollzogen hat, sondern in Schüben auf den gesamten von der Ausstellung abgedeckten Zeitraum wirkte. Technologie und Medien haben es mit sich gebracht, dass neben dem klassischen Handwerk der Bildhauerei und der Malerei fotografische, filmische und elektronische Ausrüstungen in die Ateliers einzogen, und die Arbeitsbedingungen, wie in anderen Berufszweigen auch, umstrukturierten. Während Künstler mit hohen Umsätzen in Hallen produzieren können, müssen diejenigen, die noch nicht in die Mittelschicht aufgestiegen sind, in ihren bescheidenen Wohnungen leben und arbeiten, was einen romantischen Eindruck abgibt. Man kann daher annehmen, dass diese Ateliers den „Flächenbrand“ überstanden hätten, den nach Ansicht der Kuratorin die „Erweiterung des Kunstbegriffs“ ausgelöst hat. (18) Um die Heimeligkeit des Ateliers zu untermauern, geraten Künstler wie Daniel Spoerri, mit dem von ihm benutzten Hotelzimmer, Dieter Rot mit seinen über halb Europa verstreuten temporären Arbeitsplätzen und Rirkit Tiravanija in den Fokus. Letzter lebt vorübergehend in den Kunstzentren der ganzen Welt und arbeitet an temporären Arbeitsplätzen. In der Ausstellung wird er jedoch als Installationskünstler vorgestellt, weil er 1996 im Kölnischen Kunstverein mit seinem Preisgeld seine kleine Wohnung in Manhattan nachbauen ließ.
Wo es plätschert, muss nichts fließen
Weitere Bereiche der Ausstellung, die das Thema Performance Art direkt oder indirekt berühren, sind die „Post Studio Art“, mit der sich Michael Glasmeier auseinander gesetzt hat. Er hebt Werke der Konzeptkunst und Land Art hervor, die Künstler vom Büro aus konzipierten und planten, um dann Aufträge an Firmen zu vergeben. Anna Himmelsbach lokalisierte die Orte des Schaffens von Andy Warhol, Joseph Beuys und Dieter Roth „Zwischen Fabrik, Büro und Arbeitsplatz“. Neben Fotos und Videos verschaffte Roths temporärer Arbeitsplatz mit Originalbestandteilen, darunter zahlreiche Gefäße für Getränke, den Ausstellungbesuchern eine weitere Möglichkeit, sich vorzustellen, wie ein Künstler arbeitet.

Zu Fragen des durch Performances herbeigeführten Funktionswandels des Ateliers erwartet man bei Barbara Six weitere Details und Zusammenhänge, doch resümiert sie, dass wir es bei Nauman mit einem Rückfall in die Romantik zu tun hätten und unterstellt, dass McCarthy mit „Exkrementen“ malen würde (244). Wie kurzschlüssig hier Klischees bedient werden, ist genauso verblüffend wie der Glaube an die Authentizität der Vorgänge im Atelier, der trotz der beschriebenen Tatsache durchschlägt, dass es sich beim Atelier von „Painter“ um ein Filmset handelt, in welchem das Atelier parodiert wird. Wenn es dort plätschert muss kein Urin fließen! Offensichtlich sollte gar nicht mehr aus dem Thema herausgeholt werden, als die Tatsache, dass das zeitgenössische Atelier auch eine Kulisse für Film und Video sein kann. (247)

Ergänzend: Künstlerlexikon Nauman

Künstlerinnen bleiben draußen
Angesichts der Überzahl der Wissenschaftlerinnen, die im Katalog ihre Ergebnisse publizieren, ist es schleierhaft, warum die Quelle des Mythos vom Atelier, die zu einem nicht unwesentlichen Teil auf dem vom Schöpfergott gekneteten Selbstbildnis basiert, unangetastet blieb. (Bezug: Am Campanile des Doms von Florenz ist ein Relief von Giotto angebracht, dass Gottvater in einer Bildhauerwerkstatt bei der Arbeit am Menschen zeigt.) Die in die Ausstellung aufgenommenen Fotografinnen und Künstlerinnen kann man nicht nur an einer Hand abzählen. Sie fallen auch deshalb aus dem Rahmen, weil Angela Stauber, Erika Kiffl und Gabriele Münter nicht ihre eigenen Ateliers, sondern die ihrer Künstlerkollegen fotografierten. Leider ist nicht einmal die Rede davon, dass Münter, die Kandinsky und Klee beobachtete und malte, einen ersten Schritt in Richtung Entzauberung des Demiurgen-Mythos ging.
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Anders als ihre männlichen Kollegen brauchten sich Ulrike Rosenbach, Marina Abramovic, Valie Export, Gina Pane oder Pipilotti Rist gar nicht mit den Ateliermythen herumzuschlagen. Als sie ihre Arbeit in Bereiche wie Video, Immaterialität und Ortlosigkeit ausdehnten, hatten sie ein unbestelltes Feld vor sich und konnten von der akademischen Definitionsmacht unbeeinflusst arbeiten. Aus diesem Grunde überwanden sie die Ausschlussmechanismen der Kunst, was ihnen in Stuttgart anscheinend zum Nachteil gereichte, wo sie ausgerechnet von Kunsthistorikerinnen dafür mit Nichtbeachtung bestraft wurden. Neben den genannten haben Carolee Schneemann und Anna Oppermann (dazu: Künstlerlexikon Oppermann) die Ateliersituation selbst und Gegenstände aus dem Atelier zum Kunstwerk gemacht, und nicht wie die außerdem in der Ausstellung vertretene eher konventionell arbeitende Lisa Milroy, ihren Alltag im Sinne einer retinalen Kunst abgebildet. Mehr Werke als die von 5 Künstlerinnen hätten Alternativen zu den auf Atelieransichten basierenden stereotypen Selbstdarstellungen vermittelt, wie Julia Behrens in ihrem Katalogbeitrag andeutet (26).

Verfressen wie Feuer ist sie nicht
Die Implikationen der Ateliersituation im Werk von Künstlerinnen unterscheidet sich von Installationen männlicher Kollegen, welche die Dekonstruktion des Ateliers mit drastischen Mitteln, wie dem der Burleske betrieben (Paul McCarthy) oder als ein erzählerisches Tänzchen mit Pinsel und Farbe für die Kamera veranstalteten (Jonathan Meese). Meese führte demonstrativ vor, dass die künstlerische Produktion ein einziges lockeres Spiel ist. Das entspricht ironischerweise sowohl dem Mythos der künstlerischer Arbeit als auch einer Utopie der Arbeitswelt, welche die Erwartung hegt, die Automation möge den arbeitenden Menschen endlich die versprochene Entlastung bringen, statt diese immer wieder schrittweise einer erhöhten Produktivität zu opfern. Hier beginnt wie in den einzurichtenden Ensembles Anna Oppermanns die künstlerische Arbeit über die Ufer zu treten, sie ist nie beendet und kontinuierlich aus- und anbaufähig – eben rhizomatisch. Sie ist vielleicht auch einnehmend, doch keineswegs, wie behauptet, verfressen wie Feuer.

Johannes Lothar Schröder

Die Mutter der Performance Art

Ein Mann fährt einer Greisin nach den Klängen von Beethovens Fünfter Symphonie mit den Fingern durch die schütteren Haare. Mit der Intensität der Musik verstärken sich die Bewegungen, und die entspannte Mine weicht einem überraschten Blick der Alten, die sich bald wieder genüsslich dem Geschehen überlässt. Die Video-Performance „Beethoven-Mama“ des japanischen Künstlers Tatsumi Orimoto mit seiner Mutter Odai am 20. Oktober 2012 in Kawasaki-City lässt sich etwa so zusammenfassen.

courtesy of the artist

Video-still: Mitsunori Demachi, Courtesy of the artist

 

Nach dem Tod des Vaters sorgt Orimoto für seine damals schon depressive und schwerhörige Mutter und bezieht sie seit 1996 regelmäßig in seine künstlerischen Arbeiten ein. Dabei verstärkt er die absurden und grotesken Seiten der Demenz, unter der seine 1920 geborene Mutter zunehmend leidet, und macht sie einem weltweiten Publikum mit Plakaten, Fotos, Ausstellungen, Performances und auf Zeichnungen bekannt.

Seine neueste Arbeit kombiniert den zum Klischee geworden Wahnsinn Beethovens mit den therapeutischen Effekten einer Kopfmassage. Performances wie diese verdanken sich keinem spontanen künstlerischen Einfall, sondern entwickeln sich aus der täglichen Zuwendung und den Bedürfnissen beider. Als Künstler, der seine weltweiten Aktionen seit Jahrzehnten mit dem Begriff „Communication Art“ bezeichnet, muss Orimoto Reisen und Ausstellungstätigkeiten auf das Notwendigste beschränken, da die Pflege seiner Mutter seine Anwesenheit verlangt. Gehörlosigkeit in Kombination mit Gedächtnisverlust durch die Alzheimererkrankung lassen ihn vor Ort nach Mitteln und Wegen suchen, die immer dickere Mauer der Vereinsamung teils mit drastischen Methoden zu durchbrechen.

Johannes Lothar Schröder