Ein Mann fährt einer Greisin nach den Klängen von Beethovens Fünfter Symphonie mit den Fingern durch die schütteren Haare. Mit der Intensität der Musik verstärken sich die Bewegungen, und die entspannte Mine weicht einem überraschten Blick der Alten, die sich bald wieder genüsslich dem Geschehen überlässt. Die Video-Performance „Beethoven-Mama“ des japanischen Künstlers Tatsumi Orimoto mit seiner Mutter Odai am 20. Oktober 2012 in Kawasaki-City lässt sich etwa so zusammenfassen.
Nach dem Tod des Vaters sorgt Orimoto für seine damals schon depressive und schwerhörige Mutter und bezieht sie seit 1996 regelmäßig in seine künstlerischen Arbeiten ein. Dabei verstärkt er die absurden und grotesken Seiten der Demenz, unter der seine 1920 geborene Mutter zunehmend leidet, und macht sie einem weltweiten Publikum mit Plakaten, Fotos, Ausstellungen, Performances und auf Zeichnungen bekannt.
Seine neueste Arbeit kombiniert den zum Klischee geworden Wahnsinn Beethovens mit den therapeutischen Effekten einer Kopfmassage. Performances wie diese verdanken sich keinem spontanen künstlerischen Einfall, sondern entwickeln sich aus der täglichen Zuwendung und den Bedürfnissen beider. Als Künstler, der seine weltweiten Aktionen seit Jahrzehnten mit dem Begriff „Communication Art“ bezeichnet, muss Orimoto Reisen und Ausstellungstätigkeiten auf das Notwendigste beschränken, da die Pflege seiner Mutter seine Anwesenheit verlangt. Gehörlosigkeit in Kombination mit Gedächtnisverlust durch die Alzheimererkrankung lassen ihn vor Ort nach Mitteln und Wegen suchen, die immer dickere Mauer der Vereinsamung teils mit drastischen Methoden zu durchbrechen.
Johannes Lothar Schröder