Measuring pulse for Hongkong in Hannover

Festival OPEN hosted in Hannover

Lai Chun Ling from Hongkong told the audience the story of a shirt he fetched out of his backpack. It was a gift of his grandmother, who believed that it would help him to resist difficulties and to avoid trouble. So he took off his T-shirt to get dressed in the heirloom. Forcing an atmosphere of magic, he lighted joss sticks, to breaks the peaceful atmosphere by the projection of the image of a man aiming with a gun for tear gas or rubber bullets. Taking the beamer to move the projection of the image in a 360 degree angle into the audience he simulates that trouble is close. After putting the projector down on a stand, The artist lights more joss sticks, and fixed some of them in front of the mouth of the gun. Here he collected the ash they produced in a heavy metal bowl. Some time passed silently until he fetched a haircutting-machine from his back-pack to shave his head.

Lai Chun Ling during his performances at OPEN 20, Hannover. Pavillion, August 19, 2019, photo: (c) johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2019

When he started to fix double stick tape on the projection of the bold-headed police man it became clear that he intended to lend his hair to the warrior to make him appear more civil. This act of assistance, which was executed in calm but distinct movements and in a peaceful mood made clear that it was the artist’s wish to include the man into the civil society, but unfortunately he himself had a bold head now.

In this solemn atmosphere every spectator realized that the situation is still precarious, especially as the 20th edition of the Festival OPEN had to take place in exile. Even after 19 years the authorities did not allow the festival to take place in the PRChina this year. The cooperation with Ilka Theurich made it possible in Hannover.

How to boil eggs with matches

The other performance was presented by Chen Jin, the founder of OPEN. He lighted hundreds of long-seize matches fixed on several apples as well as between his fingers surrounding three eggs on top of three bar-chairs. Can there be hope that the lighters fry eggs or do they only burn the fingers of the performer? Is it a metaphor of the situation in China?

Chen Jin during his performances at OPEN 20, Hannover. Pavillion August 19, 2019, photo: (c) johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Although the situation in the Peoples Republic is unique it is hard to compare, we should remember that performance-art and Fluxus-events, which took place in West-Germany since the 1960s expressed hope of a revolutionary development of the society. However the happenings where not welcomed by the technocratic sector of a society, which does not care about the freedom of expression and art and tried to obstruct artists. Some of the events were policed or stopped. The situation changed not earlier than 20 years later with a new generation of curators; however the open promotion of performance-art was rare until the 1990s, when it became obvious, that performances could raise attention for museums, galleries, exhibitions and art-institutions.

Nowadays all types of events are welcome and the early impulse of liberating the visual arts has generated a blooming competition amongst artists and festivals. Artists also take advantage of the growing army of precarious workers. This year four Lithuanian artists hired human workforce and presented them in a way that we have not seen since the shows of aborigines in European circuses and zoos between the 18th and 20th century. This kind of post-humanist art is a result of total art under the regime of growing tourism and block-buster art-events. From the internal view of the jury the show of humans on sand was prized by the Golden Lion of the Venice Biennale 2019. The title of the international part of the exhibition: “May You Live In Interesting Times” sounds sarcastic for those, who work and fight for survival and for those who are under fire and extinguish fire.

An interesting fact to me is, that the Chinese artists in Hannover presented performances of magic and superstition, which probably seems to be a proper way to reflect a situation in which the taste of a mass society is completely devoted to Kitsch to produce “false feelings” in compensation for the stereotypes of consumer-culture and control of everything and everybody.

The participatory performances of To Yeuk from Hongkong in the corridor of the theatre offered measuring pulse and those who took part in it devoted their wishes to the people of Hongkong.

To Yeuk during a performances at OPEN 20, Hannover. Pavillion, August 19, 2019, photo: (c)johnicon VG Bild-Kunst, Bonn 2019

http://www.kulturzentrum-faust.de/veranstaltungen/august/19-08-19-20-open-international-performance-art-festival.html

„Ich bin euer Künstler; das verpflichtet mich.“

Dieter Rühmann wird 80

Als Dieter Rühmann 1973 das begehrte Alfred-Lichtwark-Stipendium gewann, düpierte der mit Malerei, Zeichnen, Film, Sprache und Objekten experimentierende Künstler die Jury mit dem Vortrag seiner Agitationsoper, die er zum Dank vortrug, und der Zerstörung seiner Bilder, die er aus den Rahmen schnitt. Was es hieß, zum Roten Tuch für Kunstsachverständige und ein Publikum zu werden, stand für ihn damals nicht im Vordergrund, denn es ging, um mehr, als sich Ausstellungsmöglichkeiten für Bilder zu sichern. Die Bilder selbst standen zur Debatte, und das Lob des Establishments hätte nur von den wesentlichen Fragen abgelenkt.

Den Zwischenrufern in der Hamburger Kunsthalle, die Rühmann gerne in die damals kommunistische DDR verfrachtet hätten, war überhaupt nicht klar, dass sie ihn damit zum Dissidenten im westdeutschen Kunstbetrieb gemacht hätten, denn man nahm damals ja an, dass es „Dissidenten“ nur in den Ländern des Warschauer Pakts geben würde. Warum sollte ein westdeutscher Künstler in der DDR Asyl suchen, wenn für ihn die kommunistische Alternative, wie für viele Protestierende im Westen, in der Volksrepublik China lag.

Weltraum im Kunstraum

Elf Jahre später gab es eine vorsichtige Annäherung an die führende Hamburger Kunstinstitution. Rühmann verbrachte als „Artonaut“ 10 Tage in einer 2x2x2 Meter großen geschlossenen Holzkiste über dem Altbau der Kunsthalle. Er betrachtete seine Klausur im djun-leb vom 9. – 19. Mai 1984 als Weltraumfahrt, die er als Künstler mit einfachen Bordmitteln bewerkstelligte; denn für ihn ging es im Weltraum nicht um Macht und militärische Kontrolle, sondern um die Möglichkeit als Mensch in der Isolation zu sich selbst zu kommen und die Grenzen des Menschen auszukundschaften.

djun-leb,1984, Installationsfoto, (c) Dieter Rühmann

Die auf Monitore innerhalb und außerhalb des Museums übertragene Aktion wurde zu einem Gegenentwurf zur konsumorientierten Lebensweise und zur technologischen und energieverschwenderischen Raumfahrt mit Raketen. Rühmanns Utopie war indes darauf aus, den Stoffwechsel und die Bedürfnisse des Menschen zu reduzierten, um alles Überflüssige wegzulassen zu können. Seitdem ist dieser radikale ökologische Ansatz von bleibender Aktualität, denn die Raumfahrttechnologie hat uns zwar in die Lage versetzt, die Schäden, die die Industrialisierung angerichtet hat, in Echtzeit zu beobachten, doch ist es bisher nicht gelungen, ihre Ursachen zu begrenzen. Im Gegenteil tragen Luft- und Raumfahrt besonders durch die mit ihr verbundene Militär- und Waffentechnologie zur Ausweitung der Schäden bei. Auch dieses Gebiet hatte Rühmann im Blick. Als er 2001 die Büchse der Pandora, eine 400 Meter hohe Plastik, entwarf, die wie ein Schilfrohr mit einer Konservendose an der Spitze im Wind schwingen sollte, dachte er auch an eine Beobachtungsstation der Welt auf der Erde, die ohne Raketen auskommen würde. http://buechsederpandora.de/espresso/index.php Im Verhältnis zur Höhe der Installation wäre die Konservendose kühlturmgroß und würde gleichzeitig als Observatorium und Mahnmal der Verschwendung von Ressourcen fungieren.

Die Herstellung des Menschen als Bild

Das Museum war dem Kunstexperimentator schon 1993 zu eng geworden. Seinen 50 Meter hohen ECCE HOMO stellte er drei Tage lang vor dem Turm der Hamburger Nicolaikirche an der Ost-West-Straße (heute: Willy-Brandt-Straße) aus. Die von einem realen Menschen abgenommene Fotokopie wurde vergrößert und auf 5000 Fotokopien aus Spezialpapier übertragen, um zu einem im Wind rauschenden Feld aus Blättern in der Vertikalen zusammengestellt und ausgestellt zu werden.

Damals jährten sich die alliierten Bombenangriffe auf die Hansestadt zum 50. Mal. Nicht alle dachte bei diesem Thema an Superlative, doch Rühmanns ECCE HOMO war definitiv das größte je in Hamburg gezeigte Bild eines Menschen. In einem Statement, in dem er wie oft in seinen Werken auch seine Gefühle bei der Arbeit und sein Verhältnis zur Rolle als Künstler offen legte, gab er seine Befriedigung über die gelungene Installation bekannt und verkündet zudem, dass dieses Bild ihn nahe an seine ideale Vorstellung von seiner Arbeit als Künstler gebracht habe:

„Ich anerkannte den Fotokopierer als Vervielfältigungsgerät. Es sollte mir eine Kopie des Menschen herstellen, einen Abdruck, in meinen Augen ein reines, unverfälschtes Bild des Menschen. Dieses Gerät sollte statt meiner machen. Ich wollte dabei sein und zuschauen, wie es den Menschen abbildet.
(…)
Ich erlebte wie ein Mensch, das Individuum, das sich mir als Modell zur Vergnügung stellte, in seiner Abbildung so viel von seiner Individualität verlor, dass er zum Zeichen wurde. Zum Zeichen des Menschen.
(…)
»Mein« Bild des Menschen setzte sich inzwischen aus vielen Generationen zusammen, bis es eine Größe erreichte, die ich in meinem Atelier nicht mehr ansehen konnte. Von da an bis zur Größe des Kirchturms hatte ich nur noch nummerierte Fragmente vor Augen. Ich verstand das Bild nicht mehr, seinen lebendigen Zusammenhang nicht. Stattdessen nummerierte ich Blätter mit abstrakten Formen, die der Kopierer ausspuckte.“

(Statement des Künstlers 1993)

Dieter Rühmann, ECCE HOMO, 1993, (c) Dieter Rühmann

Diese Äußerungen Rühmanns belegen, dass sein Künstlerethos von der Maschine inspiriert worden war. Damit ergänzte er die Ansicht Andy Warhols, der von sich sagte, er sei eine Maschine durch die Auffassung, sich in ihren Dienst zu stellen, womit er sich wie ein mittelalterlicher Künstler einer höheren Macht unterwarf. Das hatte zur Konsequenz, dass er das Ergebnis seines Schaffens nicht mehr visuell kontrollieren, sondern nur noch indirekt steuern konnte. Die Übersicht behielt er bis zur Aufhängung des Bildes durch Nummerieren und Organisieren sowie die Konstruktion eines Mechanismus, mit dem das Bild vor dem Turm mit zwei Teleskopkränen hochgezogen werden konnte.

Im Moment des Sichtbarwerdens des gesamten Bildes ereignete sich dann etwas, für das die Moderne den Blick verloren hatte. Es entfaltete sich ein Werk, das sich jenseits der Kontrolle des Künstlers ereignete, und ihm letztlich als Fremdes entgegentrat. Er fasste den Eindruck in Worte:

„Das Bild des Menschen war noch größer geworden als meine Vision. Mir war, als habe man mir eine Binde von den Augen genommen, und ich sah, dass ich bisher nur an einem einzigen Bild gearbeitet hatte, am Bild des Menschen. Dort hing er also. Seht, welch ein Mensch.“, schrieb Rühmann 1993, nachdem er erlebt hatte, wie sich das Bild Abschnitt für Abschnitt vor dem Kirchturm entfaltet hatte. Als Wind durch die frei hängenden Einzelblätter fuhr, erzeugte er das Raunen eines vorbeifliegenden Vogelschwarms.

(c) Johannes Lothar Schröder

 

Das Buch „Bilder und Gefühle verwerfen“ über Dieter Rühmann, Boris Nieslony und Annegret Soltau ist in Vorbereitung. Nach dem Erscheinen im ConferencePoint Verlag wird es im Buchhandel und beim Autor zu bestellen sein.