Die Begegnung einer Eismaschine
mit sechs entwurzelten Bäumen

In drei Ausstellungen in Frankfurt am Main überschneiden sich Inhalte und Themen.

  • Hans Haacke Retrospektive in der Schirn bis zum 9. Feb. 2025
  • Gustav Metzger im TOWER MMK bis zum 5. Jan. 2025
  • Adrian Piper „Who, Me?“ im Portikus bis zum 9. Feb. 2025

Kunst und Technologie

Technologische Fortschritte infolge des Zweiten Weltkriegs ließen Künstler seit den 1950er Jahren die ästhetischen Möglichkeiten physikalischer, chemischer und biologischer Prozesse aufgreifen und die sich daraus ergebenden ästhetischen Möglichkeiten erforschten.

Anlässlich der Retrospektive von Hans Haacke (*1936) wurden in der Schirn Installationen des damals in Düsseldorf lebenden jungen Künstlers aufgebaut, der unter dem Einfluss der Gruppe ZERO und Otto Pienes mit Spiegeln, Ballons, Gravitation, Ventilatoren und Eismaschinen experimentierte. Dabei zeigte sich, dass kinetische Objekte und Versuchsanordnungen ohne traditionelle künstlerische Fertigkeiten hergestellt werden konnten. Dennoch ließen sich durch ingenieursmäßige Produktionsprozesse Gebilde voller poetischer Impressionen erzeugen. Gelenkte Luftströmungen blähten und bewegten farbige Planen und ließen Bälle taumeln, die man mit Helium oder Wasserstoff gefüllt auch an einer Leine den natürlichen Luftbewegungen überlassen konnte.

Abb. 1: Hans Haacke, Eisring, 1970, Kältemaschine, Metacrylat, Wasser, MACBA, Barcelona, aus der Slg. Onnasch, Version und Zustand in der Ausstellung, Foto: johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Eismaschine und Wetterballone

Von technischen Prozessen abgeleitete Installationen ermöglichten es, traditionelle Erwartungen in das Machen und Ausstellen von Kunst aufzugeben und im öffentlichen Raum ein Publikum unmittelbar zu erreichen. Deshalb hatte sich seit den 1950ern die Kunstpraxis der zwischen den Weltkriegen geboren radikal verändert. Die Verfügbarkeit technischer Mittel entzauberte die Wirksamkeit traditioneller Schönheitsbegriffe nicht zuletzt auch, weil das sie praktizierende Bürgertum durch den Naziterror – durch Ermordung und Flucht – geschwächt worden war oder sich durch Einknicken vor den Machthabern um Ansehen und Einfluss gebracht hatte.

Abb. 2: Hans Haacke, Sky Line, 1967, C-Print auf Aluminium, 152,4 x 99,7 cm, Edition 1/3, Courtesy der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Hans Haacke

Mit „Sky-line“, einer Anzahl von mit Leinen verbundener Ballone, die eine Formation am Himmel bildeten, realisierte Haacke 1967 eine konzeptuelle Arbeit in seiner Wahlheimat New York, wo er sich schon 1971 der Kehrseite des Reichtums, nämlich der Immobilienspekulation zuwandte, die Wohnungsbesitzern durch unübersichtlich aufgefächerte Eigentumsverhältnisse und Firmengeflechte Steuervorteile brachte, wodurch letztlich Wohnraum zulasten von Mietern aus dem Verkehr gezogen oder heruntergewirtschaftet wurde.

Die Verwendung naturwissenschaftlicher Prozesse und soziales Engagement waren Kriterien für die Auswahl westdeutscher Künstler für die Ausstellung „Art into Society – Society into Art“, wo 1974 sowohl Haacke wie auch Gustav Metzger (1926 – 2017) in der von Christos Joachimides und Norman Rosenthal kuratierten Ausstellung kennen lernten. Des Weiteren stellten KP Bremer, Dieter Hacker, Klaus Staeck und und Joseph Beuys im Institute of Contemporary Art (ICA) aus. Schon die Tatsache, dass Metzger keine Werke ausstellte und dazu die Jahre 1977 – 1980 zu Jahren ohne Kunst ausrief, übertrumpfte die sich politisch verstehenden deutschen Künstler. Darüber hinaus hatte Metzger im Jahr zuvor seine Position als Kunstaktivist als Mitbegründer einer Künstlergewerkschaft unterstrichen.  

Die 50 Jahre später durch Ausstellungen in Frankfurt zustande gekommene erneute Begegnung beider in Deutschland geborenen Künstler, die ihre Kunst in erzwungener oder freiwilliger Emigration verwirklichten, kann als Glücksfall gesehen werden. Die Ausstellungen von Haacke und Metzger zeigen, dass über das Kräftemessen in politischer Radikalität hinaus, ihre Werke durch ökologisches Engagement und autokreative Experimente gekennzeichnet sind.

Wie Haacke war Metzger ein Einzelgänger, dessen punktuelle Zusammenarbeit mit FLUXUS, Art and Language und anderen Richtungen keine Gruppenbindung nach sich zog. Neben der autodestruktiven Kunst, die Pete Townsend von den Who zur Zertrümmerung seiner Gitarren anregte, war es die autokreative Kunst, die Metzger in Form kinetischer Experimente realisierte. Seine Adaptionen naturwissenschaftlicher Experimente mit „Liquid Cristal Environments“ feierten ab 1965 einen popkulturellen Höhepunkt anlässlich der Konzerte von The Who und Cream. Im gleichalten Biochemiker Arnold Feinstein aus Cambridge fand Metzger einen Weggefährten, mit dem er nicht nur dynamische Bühnenprojektionen mit Flüssigkristallen entwickelte, sondern auch Kritik an der Gesundheitspolitik in die Gesellschaft trug.

Abb. 3: Liquid Crystal Environment (Ausschnitt) 1965/2024, The Estate of Gustav Metzger & The Gustav Metzger Foundation, London (UK)

Die psychedelisch anmutenden Projektionen des Liquid Cristal Environment wurden mit mehreren Projektoren in der Ausstellung im TOWER MMK nachgestellt. Foto des Autors, VG-Bild-Kunst, Bonn 2024

Entwurzelung und ökologischer Frevel

Ein Höhepunkt der Frankfurter Gustav-Metzger-Ausstellung, die Susanne Pfeffer und Julia Eichler mit zahlreichen Arbeiten aus dem Nachlass realisiert haben, sind die fünf „strampelnden Bäume“, die vor dem TOWER Spalier stehen. Die Baumkronen stecken kopfüber in Betonkuben, in denen das Leben der Bäume erstickt. Diese Art eines zu Beton geronnenen „Waterboardings“ für Pflanzen realisierte Metzger seit 2010, so dass es mit der sich zuspitzenden Umweltkrise in Verbindung steht. Die Auswirkungen der Übernutzung der Erde, die 1972 durch den Bericht des Club of Rome vorhergesagt wurden, zeigen sich heute in Gestalt der massiv eintretenen Schäden. Neben den Bäumen sind auch andere Lebewesen überall auf dem Planeten in Bedrängnis und in den Metropolen sterben immer mehr Menschen an Hitze und verseuchter Atemluft.

Abb. 4, Gustav Metzger, Strampelnde Bäume, 2010/2024, Foto: johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Schon 1972 wollte Metzger auf der documenta 5 die Abgase von vier Autos mit laufenden Motoren in einen mit transparenter Folie überzogenen Kubus leiten. Diese abgespeckte Version einer Installation mit 120 Autos wurde genauso zensiert wie die unter einer ebenfalls mit Folie geschlossenen Konstruktion in Stockholm. Dort sollten die Autos mit vollem Tank und laufendem Motor an ihren eigenen Auspuffgasen ersticken. Diese künstlerischen Interventionen stehen am Anfang einer Kette von Leugnungen und Verdrängungsleistungen, mit denen die Vorstände von Unternehmen und andere Profitteure der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen den Abwehrkampf gegen alle Mahnungen begannen, die katastrophalen Folgen menschlichen Handelns zu bedenken und Auswege zu suchen. Das Bild der mit ihren Wurzeln in der Luft strampelnden Bäume verweist in seiner Drastik aber nicht nur auf Umweltzerstörung, sondern auch auf eine ihrer Folgen, die Migration. Die im Sprachgebrauch üblichen Bezeichnung „Entwurzelung“ ist sehr umfassend, denn sie benennt die Urbanisierung infolge der Landflucht genauso wie Flucht und Vertreibung durch die Zunahme der Konflikte infolge von Landraub, Bürgerkrieg, Korruption und Hungersnot.

Weißes Rauschen. Bin ich gemeint?

Ein Echo der Strampelnden Bäume zeigt der Portikus mit der Installation der amerikanischen Konzeptkünstlerin und promovierten Philosophin Adrian Piper (*1948). Der Titel „Who, Me?“ ist die kürzeste mögliche Antwort eines Menschen, der angesichts von Entwurzelung und Entlaubung als eindringliches Bild der zerstörten Lebensgrundlagen die Schultern zuckt. So etwa könnte sich auch die Enttäuschung angesichts des Videos im Untergeschoss des Portikus ausdrücken, wo vor einer Versammlung aus Stühlen ein weißes Video läuft, und nichts als das helle Flimmern eines Beamers auf der Projektionswand zeigt. Ein Bild der Nichtung des Egos durch weißes Rauschen. Doch, was oder wer wird mit dem Bild der Leere konfrontiert? Menschen, die sich noch nicht von der Hybris verabschiedet haben, die Welt zu beherrschen, zu retten, zu verbessern oder zu verändern?

Abb. 5: Adrian Piper, „Who, Me?“ 2024, Portikus Obergeschoss, Foto: johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Abb. 6: Adrian Piper, „Who, Me?“ 2024, Installation mit Stühlen, Projektionswand und Beamer, Portikus unten,
Foto: johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Wer mehr über die seit 2005 in Berlin lebende Künstlerin erfahren möchte, findet nicht nur Informationen über die Emigration der US-amerikanischen Künstlerin nach Deutschland auf ihrer Homepage. http://www.adrianpiper.com/

In einem Interview mit Stefan Dörre im tip-Berlin anlässlich der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises 2018 stellt sie die provozierende These auf: „Wir Menschen sind erbärmliche, schäbige Geschöpfe, zu dumm, aus unseren Fehlern zu lernen. Schade.“ Was resigniert klingt, geht auf die Forschungen der in Freiburg über Immanuel Kant promovierten Forscherin zurück, die in den 1970er Jahren in den USA als Performance-Künstlerin bekannt wurde.[1]

Bekannterweise hat sich Metzger nahezu sein ganzes künstlerisches Leben lang mit Zerstörung beschäftigt und zeichnet klaglos ein dialektisches Bild der Destruktion, das der Ambivalenz der Natur folgt: „Zerstörung und Destruktivität gehören untrennbar zur Natur, die wir kennen; Feuer fällt keine moralischen Urteile. Insofern wir selbst Natur sind, Natur uns durchzieht, sind wir unausweichlich in ihr gefangen.“[2]

Alle drei Künstler*innen haben Entwurzelung erlebt, doch haben sie weder ihre Fantasie noch den Willen zur Veränderung verloren. Die ihrer Lebensgrundlage beraubten Bäume sind daher als ein Fanal zu verstehen. In Frankfurt stehen an der Linie zwischen Park und Hochhäusern bzw. im Portikus am Ufer des Mains und werben dafür, Initiativen zu ergreifen und Optionen zu nutzen.


[1] Ein Beispiel ist Cathalysis III, New York 1970, https://www.youtube.com/watch?v=DYAdwZ_8sMQ

[2] Zit. nach Booklet zur Ausstellung des MMK, 2024, 15. Absatz: Strampelnde Bäume, 2010/2024

Vom Bildverbot zur Bilderskepsis

Gustav Metzger im TOWER MMK in Frankfurt am Main
Von Johannes Lothar Schröder

Wenn von der Erinnerung an die ermordeten Eltern nur Rudimente bleiben und eine Zeichnung schemenhafte Schatten hervorbringt, was kann dann noch von Kunst verlangt werden?

Family at the Table, Zeichnung 1950, The Estate of Gustav Metzger & the Gustav Metzger Foundation, London (UK)

Die mutmaßlich einzige frühe Erinnerung, die dem mit 13 Jahren im letzten Zug, der jüdische Kinder aus Deutschland nach England brachte, geretteten Jungen aus Nürnberg geblieben ist, hat Gustav Metzger 1950 in einer Zeichnung festgehalten. Es sind Skizzen, die nichts als Schatten sind, die traumgleiche Gesichter andeuten und zugleich wieder mit groben Strichen überzeichnen, können sich kaum noch den ermordeten Eltern annähern. Mit fünf Zeichnungen aus dem Nachlass des Waisen, der bei Stiefeltern in England aufgewachsen ist, beginnt der Rundgang durch die Ausstellung im TOWER MMK in Frankfurt am Main, die darüber hinaus noch spätere farbige figürliche Zeichnungen präsentiert, die das Talent des jungen Künstlers aufscheinen lassen, das sich der Last der Geschichte nicht entwinden konnte.

Die Zerstörung geht weiter

Metzger befasste sich mit der Zerstörung, die sich mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs fortsetzte. Er begründete das „Destruction in Art Symposium“ (DIAS) 1967 und behielt wissenschaftliche und technologische Entwicklungen im Blick. „Bewegungen gegen Krieg, Rüstung und Atomenergie, die Abwehr des technologischen Fortschritts und die Konfrontation mit neuen sozialen Problemen prägen die Kunst – ebenso Rückzug, Passivität und Anpassung.“[1] Das formulierte er 1981 im Konzept der Gegenausstellung zu „Westkunst“ in Köln, die nach seiner Erfahrung alle Komplikationen der Nachkriegsgeschichte ignorierte und die Brüchigkeit der internationalen Kunstentwicklung zu glätten versuchte.

Metzgers späteren Werke wie die Visualisierung von Flüssigkristallen und der Fleischkrise nach dem BSE-Skandal in Großbritannien, seine Warnungen von der Automobilität und Atomwirtschaft als Zerstörerinnen des urbanen Lebens, der Landschaft und der Ressourcen, sind als künstlerische Interventionen zu sehen und oft nur in Form von Modellen, Dokumenten und Relikten erhalten oder als Redoings wiederherstellbar.

„Kill the cars!“ riefen auf einem Autowrack herumspringenden Kinder in Camden 1996

Nachstellung 2024 von: Historic Photographs: Kill the Cars, Camden Town, 1996

Im Tower zu sehen sind die Rekonstruktion von „Tropfen auf einer heißen Platte“ von 1968 und von „Kill the Cars“ Camden Town, London 1996. Die Annoncen für Flüge zu Schleuderpreisen von Ryanair sind Ready-Mades aus Tageszeitungen. „Strampelnde Bäume“ strecken ihre Wurzeln vor dem Taunustower in die Luft, während ihre Kronen im Betonsockel und unter der Erde unsichtbar sind.

Strampelnde Bäume 2010/2024 (Ausschnitt mit einem von fünf Bäumen)

Bedeutend sind Metzgers Auseinandersetzungen mit Bildverboten und der Unmöglichkeit Zivilisationsbrüche adäquat abzubilden. Die Reihe „Historischer Fotografien“ mit geplotteten Fotografien der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto, vom Anschluss (Österreichs), der Rampe in Auschwitz zeigen Versuche, diese Bilder zu bewältigen. Metzger hat dazu Verschläge, Verschalungen, Einschweißungen und Abdeckungen ersonnen, die diese Bilder entweder vollkommen unsichtbar machen oder ihren Anblick erschweren.

Historic Photographs: The Ramp at Auschwitz, Summer 1944, 1998/1924, The Estate of Gustav Metzger & The Gustav Metzger Foundation, London (UK) Der Korridor vor dem Bild hindert daran, das nicht Abbildbare zu überblicken. Im Hintergrund (links) sieht man das zwischen zwei Eisenplatten eingeschweißte Foto „Hitler-Youth“, 1997

Sein Interesse für wissenschaftliche Entdeckungen und Erfindungen brachten kinetische, sich selbst abbauende Skulpturen und „Liquid Cristal Environments“ (1965) hervor, die während Konzerten von The Cream und The Who verwendet wurden.

Liquid Crystal Environment (Ausschnitt) 1965/2024, The Estate of Gustav Metzger & The Gustav Metzger Foundation, London (UK)

Zwei wegweisende Begleithefte zur Ausstellung

Was auf 80 Seiten des schmalen hochformatigen Begleithefts zur Ausstellung von Julia Eichler, Ann-Charlotte Günzel, Leon Jankowiak und Susanne Pfeffer formuliert und zusammengefasst wurde, sucht in seiner Kompaktheit und Sachlichkeit seinesgleichen in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Raum für Raum werden die Werke und ihr Anlass dargestellt. In einem zweiten Teil ist eine aktualisierte Kurzbiografie Metzgers wiedergegeben. Das schließt wenige, aber bezeichnende Abbildungen von Werken mit ein. Der dritte Teil gibt die Paragrafen der antisemitischen Gesetzgebung wieder, die zwischen 1938 und 1942 die Rechte der jüdischen Bürger mit dem Ziel beschnitt, ihre kulturellen und wirtschaftlichen Grundlagen zu zerstören und dem Raub ihres Besitzes einen legalen Anschein zu geben. 1981 trug Metzger die im Reichsgesetzblatt veröffentlichten Texte für die Ausstellung „Vor dem Abbruch“ in Bern zusammen.

Das zweite Heft zur Ausstellung ist von Marlene Seifert in einfache Sprache übersetzt und besonders empfehlenswert für alle, die wenig über Metzger und das Gebiet der Destruktions-Kunst wissen.

Die Ausstellung ist bis zum 5. Jan. 2025 im TOWER MMK in Frankfurt am Main, Taunusturm, Taunusstraße 1 zu sehen.

https://www.mmk.art

mmk@stadt-frankfurt.de T +49 69 212 30447 F +49 69 212 37882


[1] Passiv-Explosiv, Entwurf einer Ausstellung in Köln 1981, Konzept: Gustav Metzger, in: Katalog, Generali Foundation, Wien 2005, S. 263f

WAS BLEIBT

Da kommt was zusammen

Jankowski inszeniert Falkenbergs Nachlass

Christian Jankowski, ein Herumtreiber zwischen den Kunstgenres und im Ausstellungsbetrieb, hat für Teile des Nachlasses des Hamburger Kunstsammlers und Juristen Harald Falkenberg eine Präsentationsidee gefunden. Er hat Ensembles in verschiedenen Räumen der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke in Potsdam zu einer Abfolge von Mikroinstallationen arrangiert. Bei der Auswahl von Teilen der Hinterlassenschaften, die die Leidenschaft für Kunst des Mäzens belegen, unterstützten Jankowski Fachleute für Haushaltsauflösungen. Mit ihrer Hilfe arrangierte der Künstlerkurator Gruppen, die aus Wohn- und Büromöbeln, Fitnessgeräten, Büchern, Katalogen, Gaben von Künstlern, Postern, Manuskripten, Typoskripten, Kopien, Projektmappen, Kleidungsstücken, Behältern etc. zusammengestellt wurden.

Ausstellungsansicht mit Lichtkasten von Jankowski, Foto: Autor

„TRÖDEL PSYCHO“
ein instalativer Nachruf

Der Titel „Antikstübchen Nachwort“ gibt der Ausstellung das Gewicht eines künstlerisch inszenierten Nachrufs, während das Design der Lichtkästen im Stil von Leuchtwerbung an Trödelläden einen augenzwinkernden ironischen Wink in Richtung Falkenbergs Art gibt, die dem prallen Leben zugewandt war. Sie deshalb „kleinbürgerlich“ zu nennen, würde das Engagement Falkenbergs schmähen, dessen Sammlertätigkeit mit Postern von Klaus Staeck begann, während er sich nach seiner Tätigkeit als Verfassungsrichter damals aktuellen Entwicklungen auf dem Kunstmarkt zuwandte. Die in Potsdam ausgebreiteten Arbeitsunterlagen und Texte weisen Falkenberg als engagierten Kunstliebhaber aus, der im französischen Sinn als „Amateur“ in mehreren Publikationen darlegte, weshalb er bestimmte Kunst liebte und sie für zeigenswert erachtete. Die öffentliche Präsentation seiner Sammlung in der Phönixhalle in Harburg und nicht die käufmännisch ausgewählte Wertanlage war sein Ziel, weshalb er u.a. als Vorstandsvorsitzender des Kunstvereins jahrelang Ausstellungen in Hamburg ermöglichte, die ohne ihn die Hansestadt niemals erreicht hätten. Die von ihm bevorzugten Arbeiten sind von Weltniveau, wenngleich sie von seiner transatlantischen Überzeugung Zeugnis ablegten. Während des Krieges geboren und im Kalten Krieg sozialisiert, verinnerlichte er die nach Westen ausgerichtete Überzeugung der Nachkriegswelt, die der postkolonialen Ausrichtung des Kunstbetriebs vorausging.

Zeitungen,, Manuskripte und Typoskripte aus dem Nachlass, Foto: Autor

Die Installationen werden durch Videos ergänzt. Eines schildert die desillusionierende Prozedur der Haushaltsauflösung mit der Auswahl dessen, was bleibt und dem finalen Abtransport mit der Aufteilung einzelner Stücke auf Trödlerläden, Antiquariate, gemeinnützigen Einrichtungen und Antiquitätenhändler. Entrümpler und Verwerter der Möbel und Objekte verlesen vor der Kamera Fragmente aus Texten Falkenbergs und geben dem wirtschaftlichen Vorgang einer gewöhnlich anonym bleibenden Verwertung ein Gesicht und den Vorstellungen des Kunstliebhabers Gehör, ehe aus seinen Typoskripten möglicherweise Altpapier wird. In einem weiteren Video teilen befreundete Künstler ihre Gedanken über den Verstorbenen.

Werke aus der Sammlung

Im oberen Stockwerk der Villa präsentiert die Kuratorin Sonja González eine wohl sortierte Auswahl von 45 Werken aus der Sammlung die 2400 Installationen, Bilder, Objekte und Auflagen umfasst, die vielleicht ohne Falkenberg in Hamburg ignoriert worden wären.

Martin Kippenberger: Selbstjustiz durch Fehleinkäufe, Mixed Media, 1984
Aus der Sicht eines Sammlers handelt es sich hier um einen Bildtitel, der selbstkritisch bis selbstironisch zu verstehen ist.

Was mit der Sammlung geschieht, die neodadaistische, subversive und politische Positionen enthält und noch ein paar Jahre in der Phönixhalle residieren darf, steht noch in den Sternen, solange nicht hinter den Pokerfaces der Bürgerschaft oder der Kunstliebhaber Entscheidungen über den Verbleib wichtiger Werke fallen, die Hamburgs Sammlungen bereichern würden. Eine Galerie der Gegenwart gibt es ja schon.

Ein in Berlin nicht zeigbares Werk soll hier aber nicht unerwähnt bleiben, denn unvergesslich ist die Installation von Jason Rhoades, die die große Deichtorhalle bis unter das Dach füllte. Großformatig geplottete Fotos der Pflanzenwelt lagen flächendeckend in der obersten Etage auf einem hundertfach vergrößerten dreidimensionales Abbild des elterlichen Gartens. Sie konnten mit einer Fahrstuhlfahrt erreicht und überblickt werden. Die Humusschicht mit Wurzelwerk darunter war aus einem Gewirr von Aluminiumrohren gebaut und mit gigantischen Würmern und fantastischen Erdwesen bevölkert, welche die Besucher maßstäblich auf die Größe von Käfern reduzierte. Ein so abstrakt konzipiertes wie titanisches Unterfangen hat dank Falkenberg den Horizont des Kunstbetriebs in Hamburg in einer beachtenswerten Weise verschoben, wie es der Kunst im Öffentlichen Raum bis auf Ausnahmen (Eine Ausnahme ist die 50 Meter hohe Installation von Dieter Rühmann, die Thema des folgenden Blogbeitrags ist) nicht möglich gewesen war.

Ausstellung bis 18. August 2024, weitere Details und Öffnungszeiten: https://villa-schoeningen.de/ausstellungen/

Kuratorin: Sonja González, Assistenz: Pola van den Hövel