Gehen, Fahren, Kunst

Utz Biesemann: UTZ ESS-Transporte, Performance am 25.5.2012, Foto: johnicon

Utz Biesemann: UTZ ESS-Transporte, Performance am 25.5.2012, Foto: johnicon

15 Jahre EINSTELLUNGSRAUM

Vor 15 Jahren öffnete der ehemalige Blumenladen in der Wandsbeker Chaussee 11 in Hamburg erstmals die Türe für Kunst. Schon 2001 gab es keine Ausstellung im konventionellen Sinn, denn Gabriele Seidensticker hielt mit „Leichter Kost“ ein Angebot zur Einkehr im „Rasthof“ bereit, Elke Suhr lud zu einer „Taxifahrt mit Dias und Audiotape zur Thematik des Pfeiles“ ein und Ordalia – Irritainement präsentierte „VERKEHRte Welten“.

Dieser Einstand am 29. März 2001 sollte wegweisend werden für diesen von Künstlerinnen gegründeten Kunstverein, der sich von Anfang an als „Agentur zur Vermittlung von Projekten zwischen Autofahrern und Fußgängern“ verstand und sich seitdem kontinuierlich mit Themen der Mobilität befasst. Insofern unterstreicht die Lage des EINSTELLUNGSRAUMs an der stark befahrenen B75 von und nach Lübeck mit Anbindung an den bevölkerungsreichsten Bezirk der Hansestadt die Programmatik.

Monica Prantl: Die Serientaten, Performance während der Tagung „Schubumkehr“ am 30.8.2008, Foto: johnicon

Monica Prantl: Die Serientaten, Performance während der Tagung „Schubumkehr“ am 30.8.2008, Foto: johnicon

Zur zweiten Ausstellung des Gründungsjahrs erinnerte Elke Suhr an den utopischen Geist in der Kunst:

„Mit Heide ist der Ort außerhalb einer fiktiven Grenze gemeint, da, wo noch alles möglich ist, da, wo es aber auch gefährlich ist, weil dort die bekannten Regeln nicht gelten. Sozusagen der Ort der Kunst.“ Hier wird konkret, wie Kunst gegensteuern kann in einer von Straßen durchzogenen Welt, die  wegen der Vielzahl von Teilnehmern und der beteiligten Maschinen extrem geregelt ist. Insofern unterscheidet sich der Raum des städtischen Verkehrs von dem offenen, nicht landwirtschaftlich genutzten Raum der Heide extrem, und „Gefahr“ hat hier wie da vollkommen andere Ursachen.

Über 150 Ausstellungen zeigten, wie sich Verkehr aus der Sicht künstlerischer Aktivitäten anders definieren lässt als durch Motostärke, Geschwindigkeit, Abgasvermeidung, Fahrzeuggewicht oder Geländegängigkeit auf Asphalt.

  • Bis jetzt gab dieses Feld 13 verschiedene Themenschwerpunkte aus. Darunter finden sich Jahresthemen wie Bremsen, Lenken und Steuern, Schalten und Walten, VierTakter + X, Shared Space oder Autos fahren keine Treppen. Von 2004 bis 2016 organisierte der Vorstand mit der Unterstützung zahlreicher Helfer  9 bis 13 Ausstellungen, Performances, Tagungen und Projekte jährlich. Auf der Homepage http://einstellungsraum.de/archiv_Archiv.html ist jeder Programmpunkt unter dem Jahresthema nach Jahreszahl abgelegt.
  • Die bisher entstandenen 10 Kataloge fassen alle Veranstaltungen des betreffenden Jahres kompakt zusammen und sind einzeln oder als Paket auf der Homepage mit dem Link zum Hyperzine-Verlag zu bestellen. http://www.hyperzine.de/files/index.php?seite=3&folge=go

Mut zum Risiko

Im Habitus eines „Heiligen der Letzten Tage“ näherte sich Utz Sebastian Dr. Biesemann mit einer Fackel einem Taubenschlag, der durch die Explosion der darin befindlichen Benzindämpfe mit einem gewaltigen Bums auseinander flog. Mit dem Benzin war die Installation zuvor betankt worden, als sie noch wie ein Architekturmodell auf zwei Böcken im Innenhof der Kunsthochschule präsentiert worden war.

Utz Sebastian Dr. Biesemann, Der letzte Versuch, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

Utz Sebastian Dr. Biesemann, Der letzte Versuch, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

So begann und so endete die Untersuchung mit der Frage: „Wo genau ist eigentlich rechts oberhalb?“ Ironischerweise hatte das schlagartig in Brand gesetzte Benzin eine Locke der Haare des Künstlers rechts oberhalb des Scheitels entzündet und traf damit die Frage, die Linkshänder und umgeschulte Linkshänder interessiert. Wo genau ist denn Links, wenn jemand von sich selbst spricht und sein Gegenüber sein Links an der rechten Seite vorfindet. Wenn außerdem in Betracht gezogen wird, wie Links und Rechts unterschieden werden, wenn wir uns jemandem von Hinten nähern, und ein Anderer von Vorne die zwei Seiten des Hinten beschreibt. Klar wird man dagegen die Konventionen ins Feld führen. Doch die wurden von Rechtshändern ersonnen, die die Schriften von Leonardo nur in einer Transkription lesen können, selbst wenn sie Italienisch verstehen.

Was beide Arbeiten verbindet ist die Herausforderung des Großen und Gefährlichen. Hier ist es Feuer und Explosion sowie das Problem der zwei Seiten, das die Möglichkeiten eines Einzelnen übersteigen kann. Bei Angela Anzi sind es das Gewicht ihrer Objekte und die tiefen Töne, die ganze Flächen des Körpers und seine Organe in Schwingung versetzen können, so dass sie das Wohlbefinden beeinträchtigen. Anzi machte die Schwingungen durch verschiedene Features wie Segel aus Papier und Furnier sichtbar. Ihre Leichtigkeit lässt das Gewicht der 12 Trommeln aus gebranntem schwarz glasierten Ton vergessen, die jeweils mehr als ein Zentner wiegen. Alle Teile zusammen addieren sich zu fast eine Tonne. Zweimal drei konische und einmal vier zylindrische Elemente ruhten in der Ausstellung im Einstellungsraum aufgrund ihres Eigengewichts übereinander und flößten den Zuschauern Respekt ein.

Angela Anzi, Hilfestellungen an Objekten 2, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

Angela Anzi, Hilfestellungen an Objekten 2, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

Trotz der Technologien, die uns gewöhnlich von der Überlastung durch Heben, Explosionen und Feuer fernhalten, sind Gefahren eine Herausforderung geblieben, denen sich Künstler jeder Generation aufs Neue und oft mittels Performances stellen, um ihre Möglichkeiten zu testen. Das gilt vor allem in einer Welt, in der allerlei Bedenken und Sicherheitsfeatures die Möglichkeiten von Experimenten einengen. Insofern war es bezeichnend, dass beide Künstler im Rahmen der „Nacht des Wissens“ am 7. Nov. 2015 auftraten.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass künstlerische Arbeiten die Maße des Körpers überschreiten, sie müssen es sogar, um Aufmerksamkeit zu wecken. Trotzdem stellen Unkontrollierbarkeit und Wagnisse für jede Künstlergeneration aufs Neue eine Kategorie dar, deren Grenzen erforscht werden müssen. Deshalb müssen sich Künstler anders als Ingenieure den Gefahren unmittelbar aussetzen, die immer strengere Regularien im Alltag geradezu fanatisch zu unterbinden versuchen. Umso bemerkenswerter, dass täglich 10 Verkehrsopfer allein auf deutschen Straßen ohne hysterische Reaktionen hingenommen werden.

Faster than a supersonic-passenger-liner

On Sunday, 10th of May 2015, Chris Burden died of skin cancer in the age of 69. For the critics of the 1970s who wondered whether he would survive the decade of Body Art, he made a pretty long career as he became an influential teacher at UCLA, where he was the dean of the art department. Besides being a teacher, his spectacular performances and installations made him a general example of an artist who takes risks and shows, what you can achieve by pushing the limits of your body and art. He took the risks of being shot at and of folding himself in a 2 by 2 by 3 feet locker for five days.

Chris Burdens Arm, Köln 1992, Foto: johnicon, Courtesy: NONNOMPRESS, Kiel; VG-Bild-Kunst 2014

Chris Burdens Arm, Köln 1992, Foto: johnicon, Courtesy: NONNOMPRESS, Kiel; VG-Bild-Kunst 2015

When he turned to create objects by building the B-Car in 1975, he did not give up this spirit of performance-art, but instead created monuments of human triumphs over the limits of the physical. In 1977 he took a banal rubberband powered airplane made by paper with him when entering the Air France supersonic-passenger-liner from Paris to Washington D.C. just to prove that it can fly faster than the Concorde at Mach 2.05 groundspeed.

For those who doubt that his later large scale installations have something in common with performance art, one can say, that they are monuments of the ludicrous, as part of the poetic capability which is reinforced by will and imagination. At first glance it seems crazy to imagine one could meet a flying steamroller in reality. Not so in the exhibitions of Burden, where he achieved things which seemed impossible. In the MAK in Vienna you could encounter the “Flying Steamroller” in 1991. These installations are monumental for the spirit of performance art, as they show that steadiness and leverage are virtues of performers making big things move. And he was aware of the dangers of the big, careful to control the big and the destructive potential of the big. This was demonstrated by Samson in 1985, when he used a 100-ton jack, which was connected via gear box to the turnstile of entrances in Museums and galleries. Should hundreds of thousands of visitors have attended Burden’s art show, his work of art would have destroyed the walls of these buildings.

These works were under the control of the artist. But the “Fist of Light” consisting of 116 halide light fixtures and cooling systems, which could change black into white hit him metaphorically and in reality. The light, a constant theme of his art, could not destroy him, but the sunshine did.

Johannes Lothar Schröder