„Vorsicht bei Fett!“ ist erschienen

Aktionen von Joseph Beuys neu gesehen

(zu den Links bitte nach unten rollen!)

In dem Buch setze ich mich mit bisher übersehenen Zusammenhängen auseinander, die für die Aktionen von Joseph Beuys maßgelblich sind. Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Betrachtung von Objekte und Installationen des umstrittensten deutschen bildenden Künstlers in den 1960er bis 1980er Jahren und hat auch Konsequenzen für die Kunstgeschichte; denn durch die Darlegungen über Fett, Kaninchen und Hasen, Fliegerei, Trauma, Ritual und homo sacer ergeben sich neue Möglichkeiten, Beuys zu sehen und die Werke anderer Künstler zu betrachten.

Titelblatt und Klappentext, johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Titelblatt und Klappentext, johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Das Paperback hat 312 Seiten und 29 teils farbige Abbildungen von Illustrationen des Autors, wird bei Conference Point verlegt und kostet 18 Euro. Es kann über den Buchhandel  (ISBN 978 – 3 – 936406 – 50 – 4) oder beim Verlag bezogen werden.
Wer möchte, bestellt es beim Autor per E-Mail: jo.lo.sc@gmx.de.

Der hier im Blog (Jan. 2016) veröffentlichte Beitrag über Joseph Beuys als John Dillinger ist Teil des 5. Kapitels.

 

Die beiligende Liste der Links soll das Aufrufen der Links, die im Buch genannt werden, erleichtern.

zum Vorwort

http://www.performance-festival.de/2005/start.html

zu Kap. I

http://www.deutschlandfunk.de/vertuschte-vergangenheit-der-fall-schwerte-und-die-ns.700.de.html?dram:article_id=79412 (vom 18. Februar 2014)

https://ms-plueth.de/icm-48086-1/48-wwii-dt.-luftwaffe-piloten-und-bodenpersonal-in-winteruniform (am 24.10.2014)

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/632221/ (05.11.13)

http://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Wigman (04.02.2015)

http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/143118/uebertragung-der-olympiade-1936 (04.02.2015)

zu Kap. II

http://deu.anarchopedia.org/Georg_Elser

http://www.deutschlandfunk.de/vertuschte-vergangenheit-der-fall-schwerte-und-die-ns.700.de.html?dram:article_id=79412 (18. Februar 2014)

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19285864.html/

http://www.zeit.de/2007/30/Heinrich-Luebke/komplettansicht/

zu Kap. III

http://einstellungsraum.de  genaue angabe

http://www.gutefrage.net/frage/warum-sagt-man-bombenwetter, Antwort von Bautzmann vom12.07.2012 (aufgerufen am 5.1.2015)

http://www.fremdwort.de/suchen/bedeutung/blockbuster (aufgerufen am 5.1.2015)

zu Kap. IV

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/joerg-herold-verfolgte-den-beuys-mythos-bis-auf-die-krim-und-dokumentiert-seine-ermittlungen-in-der-galerie-eigen—art-kein-fett–kein-filz,10810590,9900314.html

https://www.wired.de/collection/latest/un-konferenz-gesteht-tieren-kultur-zu (29. Juni 2015)

http://www.jugend1918-1945.de/thema.aspx?s=3504&m=3440&open=3504(12. Feb. 2014)

http://www.zeit.de/1968/51/kein-fall-fuer-mich (10.11.2014)

http://mmk-frankfurt.de/de/sammlung/werkdetailseite/?werk=2003%2F134

Margolles  http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/kunst-die-schoenen-und-die-leichen-1161900.html (4.4.2016)

http://www.thisisliveart.co.uk/projects/performance-and-politics-in-the-1970s/ Video on vimeo, Part I, (4.4.2016)

Grundlegende Informationen auf: http://epigenetics.uni-saarland.de/de/links/, http://epigenetics.uni-saarland.de/de/home/ (mehrere Besuche 2015)

zu Kap. V

http://it.wikipedia.org/wiki/Complesso_aeroportuale_di_Foggia (07.06.2012)

(Waelde et al., 2001) https://isst-d.org/default.asp?contentID=75 (besucht am 25. Jan. 2016)

ein Holzkeil mit dem Titel „Ende der Implosion“ 1973, http://pinakothek-beuys-multiples.de/de/product/hier-ende-der-implosion/ (besucht am 19. Januar 2016)

Hinweis von Willoughby Sharp in einem Interview für Artforum, Dec. 1969, S. 46, http://pinakothek-beuys-multiples.de/de/product/vakuum%E2%86%94masse/ (besucht am 19. Januar 2016)

http://pinakothek-beuys-multiples.de/de/product/schlitten/ (besucht am: 12. Januar 2016)

zu Kap. VI

http://www.moma.org/collection/works/35478

http://www.lindamontano.com/14-years-of-living-art/living_art/index.html

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/632221/

 

Mit Politikern schmusen

Während des Wahlkampfs vor den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft 2008 forderte der Hamburger Künstler Christian 3Rooosen Freunde und Kollegen auf, mit „Politikern zu schmusen“. Das bedeutete für alle, die mitmachten, mit Plakaten, die eigentlich für eine Fernbetrachtung gestaltet werden, auf Tuchfühlung zu gehen, eventuell das Plakat zu umarmen und die Oberfläche zu streicheln, mit dem Gesicht zu berühren oder zu küssen. Damit durchbrachen die Akteure die Distanz zu den Gegenständen, die den öffentlichen Raum zeitweise möblieren. So erlangten sie symbolisch eine Nähe zu prominenten Politikern, die selbst bei öffentlichen Auftritten durch Sicherheitsvorkehrungen und Personenschutzleute vom Publikum abgeschottet werden.

Foto: 3Rooosen

Foto: 3Rooosen

Die Intervention drehte diese Distanz in ihr Gegenteil, indem Umarmungen, Streicheleinheiten und Küsse eine intime Begegnung mit den Bildträgern herbeiführten, wobei die dabei entstandenen Videos und Fotos der Aktion das Trennende, das auf den Plakaten durch die von der Wirklichkeit abweichenden Größenverhältnisse gegeben ist, zusätzlich abschwächten. Deshalb scheinen die real schwer unüberbrückbaren Schranken mittels der Dokumente der Aktionen auf einer visuellen Ebene ebenso nachhaltig durchbrochen worden zu sein wie zuvor durch die Aktion.

Populisten suchen Nähe

Street-Art und Graffiti-Künstler arbeiten ähnlich, doch zielen sie auf ein sichtbares visuelles Ergebnis ihrer Intervention ab, wogegen 3Rooosen gerade erreichen will, dass die von ihm inszenierten Performances als Interventionen im öffentlichen Raum live gesehen werden. Insofern ist es durchaus folgerichtig, dass er als Aktionskünstler die Videos erst jetzt – also 8 Jahre nach der Aktion – auf YouTube gestellt hat.

https://www.youtube.com/watch?v=6kdwmNKE3yM

3Rooosen empfiehlt dazu folgende Musik zu laden:

https://www.youtube.com/watch?v=2bsdkj_JkYs

Was also aus Sicht der Live-Art nicht so bedeutend sein mag, trifft dagegen in den sozialen Medien in Zeiten des wachsenden Populismus auf einen aktuellen Kontext. Populisten reagieren ja auch auf eine gefühlte Entfernung von gewählten Volksvertretern. Sie unterstellen ihnen pauschal Ahnungslosigkeit sowie Abhängigkeit von einflussreichen Geldgebern und Beratern und reagieren mit der in den sozialen Medien praktizierten Distanzlosigkeit, die sich bei realen Begegnungen im öffentlichen Raum gar nicht so respektlos entfalten könnte. Da Politiker physisch nicht leicht erreichbar sind, erzeugt die dadurch gegebene Distanz einen emotionalen Überschuss, der bei manchen Menschen schon in Wut und Hass umgeschlagen ist, wie die Angriffe auf Oskar Lafontaine, Wolfgang Schäuble und Henriette Reker bezeugen.

Schmusen mit Politikern, courtesy 3Rooosen

Schmusen mit Politikern, courtesy 3Rooosen

Populisten nutzen die mangelnde Nähe zwischen Profipolitikern und Wählern und geben sich kumpelhaft sowie durch markige Sprüche scheinbar volksnah. Dank des permanenten und massenhaften Austauschs von einfachen Erfolgsrezepten in den sozialen Medien sind viele dieser Volkstribunen überzeugt, dass sie den Schlüssel für die Lösung komplizierter Probleme hätten. Sie bemerken dabei nicht, dass ihre Ideen selbst auf die Distanz zurückzuführen ist, in der sie sich zu aktiven Politikern sehen, von denen sie naiverweise annehmen, diese hätten das anscheinend Offensichtliche noch nicht bemerkt.

Nähe als Illusion

Dieses Spiel mit Erreichbarkeit zwischen Publikum und Politikern setzte 3Rooosen durch seine Aktion auf eine bemerkenswerte Weise in Szene. Er ließ die Plakate für seine Protagonisten zu lebendigen Symbolträgern werden und überwand die Distanz zu den Abgebildeten durch eine offen vorgetragene Illusionslosigkeit. Jeder weiß, dass die Bilder nicht mit den Abgebildeten identisch sind, doch gelangen die Personen auf der medialen Ebene der Abbildung zueinander. Anders als in der Life-Aktion sind die Protagonisten des Künstlers auf dem Video ebenfalls zweidimensionale Abbilder und erlangen so dieselbe mediale Präsenz wie die Politiker.

Da 3Rooosen als Künstler auf seinem Feld, also der Herstellung von Illusionen arbeitet, erzeugte er den direkten Umgang mit dem Medium im Sinne von McLuhan, der das Medium als die Botschaft definierte. Dabei geht es nicht um den Glauben an die Beeinflussung des Publikums, sondern die unmittelbare eigene Aktion als konkrete Beeinflussung von Zuschauern und Mitwirkenden, wodurch 3Roosen eine überraschende Nähe zu den scheinbar so entrückten Politikern erreichte, die gerade heute wieder ins Bewusstsein rückt, obwohl viele Zeitgenossen vor lauter Wischen auf der glatten Smart-Phone-Oberfläche vergessen haben: Politiker sind zwar austauschbar aber konkret handelnd. Die zeitversetzte Veröffentlichung der 8 Jahre alten Videos zeigt fast schon vergessene Politiker auf den Plakaten und verdeutlicht, wie schnelllebig politische Kampagnen sind. Dagegen ist es frappierend zu erleben, dass die Plakate von Politikern tatsächlich eine Nähe herstellen können. Deshalb kann die Auseinandersetzung mit der symbolischen Ebene gerade der populistischen Suche nach Nähe und Direktheit, die auch einer falsch verstandenen Performance-Art unterstellt wird, entgegenwirken.

Der Umgang mit Performance-Art, die oftmals mit dem Authentischen spielt, aber selten ihre Wirkung daraus bezieht, kann heute helfen, den Irrglauben zu erschüttern, mit dem in den Medien und unter Veranstaltern kokettiert wird, um Performances als Besonderheit aller möglichen Aufführungstypen anzupreisen. Ein jüngstes Beispiel ist die in diesem Monat gesendete dreiteilige Produktion von ZDF und 3SAT über Performances, in der wider besseres Wissen z.B. die Legende von der Heilung des verletzten Jagdfliegers Beuys durch Krimtataren als Tatsache kolportiert wird. Dagegen ist es geradezu lehrstückhaft, wie 3Rooosen in seiner neueren Performance „Bilder singen“ vor leeren Leinwänden den Inhalt eines Bildes singt, um die Illusion eines Inhalts durch eine Performance aufzurufen (über den obigen YouTube-link einfach zu erreichen). Hierdurch wird das Bild unmissverständlich als ein suggerierbares individuelles Resultat der Vorstellungskraft beschworen.

Mut zum Risiko

Im Habitus eines „Heiligen der Letzten Tage“ näherte sich Utz Sebastian Dr. Biesemann mit einer Fackel einem Taubenschlag, der durch die Explosion der darin befindlichen Benzindämpfe mit einem gewaltigen Bums auseinander flog. Mit dem Benzin war die Installation zuvor betankt worden, als sie noch wie ein Architekturmodell auf zwei Böcken im Innenhof der Kunsthochschule präsentiert worden war.

Utz Sebastian Dr. Biesemann, Der letzte Versuch, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

Utz Sebastian Dr. Biesemann, Der letzte Versuch, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

So begann und so endete die Untersuchung mit der Frage: „Wo genau ist eigentlich rechts oberhalb?“ Ironischerweise hatte das schlagartig in Brand gesetzte Benzin eine Locke der Haare des Künstlers rechts oberhalb des Scheitels entzündet und traf damit die Frage, die Linkshänder und umgeschulte Linkshänder interessiert. Wo genau ist denn Links, wenn jemand von sich selbst spricht und sein Gegenüber sein Links an der rechten Seite vorfindet. Wenn außerdem in Betracht gezogen wird, wie Links und Rechts unterschieden werden, wenn wir uns jemandem von Hinten nähern, und ein Anderer von Vorne die zwei Seiten des Hinten beschreibt. Klar wird man dagegen die Konventionen ins Feld führen. Doch die wurden von Rechtshändern ersonnen, die die Schriften von Leonardo nur in einer Transkription lesen können, selbst wenn sie Italienisch verstehen.

Was beide Arbeiten verbindet ist die Herausforderung des Großen und Gefährlichen. Hier ist es Feuer und Explosion sowie das Problem der zwei Seiten, das die Möglichkeiten eines Einzelnen übersteigen kann. Bei Angela Anzi sind es das Gewicht ihrer Objekte und die tiefen Töne, die ganze Flächen des Körpers und seine Organe in Schwingung versetzen können, so dass sie das Wohlbefinden beeinträchtigen. Anzi machte die Schwingungen durch verschiedene Features wie Segel aus Papier und Furnier sichtbar. Ihre Leichtigkeit lässt das Gewicht der 12 Trommeln aus gebranntem schwarz glasierten Ton vergessen, die jeweils mehr als ein Zentner wiegen. Alle Teile zusammen addieren sich zu fast eine Tonne. Zweimal drei konische und einmal vier zylindrische Elemente ruhten in der Ausstellung im Einstellungsraum aufgrund ihres Eigengewichts übereinander und flößten den Zuschauern Respekt ein.

Angela Anzi, Hilfestellungen an Objekten 2, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

Angela Anzi, Hilfestellungen an Objekten 2, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst 2015

Trotz der Technologien, die uns gewöhnlich von der Überlastung durch Heben, Explosionen und Feuer fernhalten, sind Gefahren eine Herausforderung geblieben, denen sich Künstler jeder Generation aufs Neue und oft mittels Performances stellen, um ihre Möglichkeiten zu testen. Das gilt vor allem in einer Welt, in der allerlei Bedenken und Sicherheitsfeatures die Möglichkeiten von Experimenten einengen. Insofern war es bezeichnend, dass beide Künstler im Rahmen der „Nacht des Wissens“ am 7. Nov. 2015 auftraten.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass künstlerische Arbeiten die Maße des Körpers überschreiten, sie müssen es sogar, um Aufmerksamkeit zu wecken. Trotzdem stellen Unkontrollierbarkeit und Wagnisse für jede Künstlergeneration aufs Neue eine Kategorie dar, deren Grenzen erforscht werden müssen. Deshalb müssen sich Künstler anders als Ingenieure den Gefahren unmittelbar aussetzen, die immer strengere Regularien im Alltag geradezu fanatisch zu unterbinden versuchen. Umso bemerkenswerter, dass täglich 10 Verkehrsopfer allein auf deutschen Straßen ohne hysterische Reaktionen hingenommen werden.