Zeitschwünge – Zeiten – Flügel

Über TIMESWINGS von Rasmus Gerlach

Einen Dokumentarfilm über Hanne Darboven zu drehen war für Rasmus Gerlach nicht ganz einfach, denn im Jahr ihres 75sten Geburtstags war die Künstlerin schon 7 Jahre tot. Gedreht wurde in ihrem Studio und in den Ausstellungen, mit denen man die Künstlerin 2015/16 im Haus der Kunst in München und in der Bundeskunsthalle in Bonn würdigte. Darüber hinaus konnte Gerlach an eigene Begegnungen anknüpfen, denn er durfte als Schüler bei der Einrichtung einer Ausstellung von Darboven im Kunstraum Bremerhaven mitwirken. Das war eine lebensentscheidende Erfahrung, die ihn später dazu bewog, Film zu studieren.

„Vier Jahreszeiten – Der Mond ist aufgegangen“ (1981/82)
Opus 7 und 16mm-Film von Hanne Darboven

An der Kunsthochschule in Hamburg traf Gerlach Darboven wieder, als er ihren damals neuen Film „Vier Jahreszeiten – Der Mond ist aufgegangen“ (1981/82) abspielte, der nun am 5.1.2017 im Doublefeature mit TIMESWINGS im Hamburger Metropolis-Kino abermals aufgeführt wurde. Der damalige Filmriss ist bis heute sichtbar geblieben, weil er mit einem Stück Schwarzfilm geflickt worden war. Der 16mm-Film von Darboven fügt Aufnahmen aus Hamburg-Harburg von trostlosen Nachkriegsbauten für Industriearbeiter mit Impressionen von der lokalen Kirmes zum Schützenfest, Landschaftaufnahmen vom jüdischen Friedhof und Innenaufnahmen aus dem Bauernhaus der Darbovens zusammen. Aus den dort gesammelten Objekten ragen überlebensgroßen Figuren – Pferd, Saurier, Engel und Roboter hervor. Sie sind umgeben von klassischen Büsten, Kinderspielzeug, Andenken aller Art, einen Bismarck in Bronze und Nippes. Überall in Regalen und Schränken, auf Möbeln und Sitzgelegenheiten liegen Bücher, Ordner, Sammelwerke mit zigtausenden Seiten, die die Künstlerin handschriftlich und mit Schreibmaschinen füllte. Der mit dem gleichnamigen Opus 7 der Künstlerin vertonte Film zeigt den Mikrokosmos, den die Künstlerin um sich herum anwachsen ließ, bis er sie und ihre tägliche Arbeit wie ein Korsett umschloss, während die Harburger nur einmal im Jahr das Vergnügen haben, aus ihren trostlosen Häusern herauszutreten, um die Kirmes, diesen wohlfeilen Kosmos der Armen, zu besuchen.

Zeitbuchhaltung im Bauernhaus

Dieses Mal hatte Gerlachs Film „TIMESWING“ das Publikum in Hamburg auf den Film der Künstlerin eingestimmt, der den 2015 noch weitgehend unveränderten Zustand der Sammlung zeigt, aus dem Speditionsangestellte bereits Stücke für die beiden Ausstellungen entnahmen und verpackten, wodurch sich die Idee eines Schaulagers vermittelte. Hier stellte sich auch der Tierarzt zum Gespräch ein. Weggefährten und Verwandte wurden anlässlich der Feier zum 75. Geburtstag der Künstlerin interviewt. Ehemalige „Co-Workers“ der Künstlerin wussten über die mit ihrer Hilfe verwirklichten Projekte zu berichten. Historisches Filmmaterial aus einer Fernsehdokumentation aus den 1980er Jahren rundete die aktuelle Dokumentation ab und machte die Einbettung des Hofgebäudes in den landwirtschaftlichen Betrieb auf dem Familiengut anschaulich. Zwei landwirtschaftliche Helfer gabelten Strohballen zum Füttern aus der Scheune, und die Künstlerin lockte ihre zwei Ziegen vor die Kamera. Aussagekräftig waren Aufnahmen anlässlich einer der legendären Weihnachtsfeiern, die das Gesicht der gewöhnlich ernsten Kunstarbeiterin löste und zur Musik einer Zigeunerkapelle erstrahlen ließ. Ein Signal der festtäglichen Lust, die den streng geregelten Alltag unterbrach, der der Aufzeichnung des Zeitlaufs, dem Sammeln und Organisieren von Bildern, Zeitungen und Zeitschriften und dem Ausfüllen von Kalenderblättern, mit eigenen graphischen Strukturen versehen Papieren gewidmet war.

Die Sammlung von Objekten kombiniert mit den eigenen Aufzeichnungen der Künstlerin z.B. mit dem Projekt „Schreibzeit“ belegt den Versuch, Kontrolle über die Lebenszeit zu erringen. Später werden die Kalender abstrakter, indem die Zeit zu Formeln verdichtet wird, die aus Quersummen von Jahreszahlen gewonnen werden, wodurch schließlich ein Schritt hin zu den Noten einer eigenen Notenschrift begangen wird, der die Schreibarbeit in Klänge überführt. Ihr musikalisches Werk wurde schon einmal in der Musikhalle (heute: Laeiszhalle) in Hamburg aufgeführt jedoch von der Kunst- und Musikwelt ignoriert. Heute bilden die Kompositionen neben den Sammlungsstücken zu denen auch eine Sammlung von Musikinstrumenten gehört den Kern der Räume in den Museumsaustellungen. Inmitten der wandfüllenden Papierarbeiten und zwischen den dort installierten Objekten aufgeführt entsteht der Eindruck eines mit Zeit gesättigten Gesamtkunstwerks.

Stehende Welle, Filmstill aus „TIMESWINGS“, 2016, courtesy Rasmus Gerlach

Statische versus ephemere Kunst

Die Verunsicherung des Leiters des Hauses der Kunst, der sich dabei beobachtet fühlte, wie er eine Position zu den Darbovenschen Objekten finden musste, die eine Kaufmannsfamilie aufgehäuft hat, die nicht nur als Kaffeeröster vom Kolonialismus profitiert hat, und die Einbeziehung der Geschichte des Haus der Kunst führten zum Rauswurf des Dokumentarfilmers, der sich daraufhin in der Nähe des Ausstellungshauses umschaute. Dort stieß er auf ein besonderes Sinnbild der Zeit, die „Stehende Welle“ der Isar, auf der das ganze Jahr über gesurft wird. Der Fluss rauscht hier ununterbrochen mit hoher Geschwindigkeit in den Englischen Garten und doch wirkt die Welle statisch, so dass die tollkühnen Surfer sich je nach Geschick zeitweilig auf ihr halten können, bis sie von der Strömung fortgerissen werden. In dieser Begegnung von Menschen und Naturschauspiel hat Gerlach eine plausible Metapher für das Werk Darbovens gefunden, die übrigens 1941 in München geboren wurde.

Dieses Sinnbild führt unmittelbar zur Frage der Zeit auch in der Performancekunst, die in diesem Blog untersucht wird. Nichts scheint der Performancekunst ferner zu liegen als das Werk von Hanne Darboven, die auf der Suche danach, die Zeit zu fixieren, ein Werk unglaublichen Ausmaßes materialisiert hat, das die hohen Wände mehrerer größer Ausstellungshäuser gleichzeitig komplett zu bedecken vermag. Wir haben es also mit einem Vermächtnis zu tun, das einer Einzelnen gedankt ist, die sich unerschütterlich in den Fluss der Zeit stellte, um ihn Augenblick für Augenblick, Tag für Tag mit grafischen Mitteln, der Schrift, der Fotografie, dem Films, der Komposition und der Mathematik zu protokollieren. Es ist der Versuch, in dieser konstanten Bewegung des Vergehens der Zeit Halt zu suchen.

In diesem Bemühen ist Hanne Darboven als Konzeptkünstlerin in einer Richtung, die von Männern dominiert wird, einzigartig aber nicht allein. Ihr Werk weist Parallelen zu „Jahrestage“ (1971ff) von Uwe Johnson, das ebenfalls von einem Aufenthalt in New York inspiriert worden war, und den Arbeiten der Hamburger Künstlerin Anna Oppermann auf. Obwohl sie sich schon früh gegen andere, namentlich literarische Versuche der Fixierung von Zeit mit dem Einwand abgegrenzt hat, dass es sich um abgenutzte Mitteilungsformen handeln würde[1], ist es wichtig, den Kontext der 1970er und 1980er Jahre zur Kenntnis zu nehmen, in dem Fotografie, Schreib- und Kopiermaschinen Möglichkeiten versprachen, die Fixierung von Zeit in den Griff zu bekommen.

Das Ringen um die Zeit, das von Darboven mit buchhalterischen Mitteln ausgetragen wurde, bleibt allerdings weiterhin fraglich, denn mit Tino Sehgal gibt es Gegenpositionen in der Performancekunst, die ganz ohne Material auskommen, weil sie den Spuren vertrauen, die Leben, Bewegungen, Äußerungen und Begegnungen im Menschen ohne eine dokumentarische Beglaubigung hinterlassen.
(c) Johannes Lothar Schröder

[1] Uwe M. Schneede über H.D. in: Kasper König (Hrsg.), von hier aus: 2 Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf, Köln 1984, S. 40.

Kirmes Kunst. Automatisierte Performances von Geoffrey Farmer

Farbige Scheinwerfer und flackernde Lichtquellen erleuchten spärlich Objekte. Schnarren, Pfeifen, Sirenen, Quietschen, Hupen, Gesprächsfetzten in einer Schalltrichterqualität erreichen die Ohren aus verschiedenen Richtungen. Ab und zu senkt sich ein Pfosten, kreist ein Stab, wackelt eine Maske, öffnet sich der Kopf eines Portalwächter-Löwen. Lichtfelder tauchen Teile der Installation mit einem Saurierhals, Riesenkürbissen oder Extremitäten von Gliederpuppen abwechselnd in Gelb, Blau, Rot oder Grün. Das An und Aus punktueller Farbflecken erzeugt zusätzliche Bewegungsmomente, die auch statische Objekte erfassen, die einzeln oder in Gruppen aufgestellt ein weiträumiges Podest mit zahlreichen Ausbuchtungen bevölkern. Längs der Kanten mischen sich Silhouetten von Besuchern, die verharren oder flanieren. Lichter, Klänge und Bewegungen locken sie von einer Stelle zur anderen. Allmählich kommen in den verdunkelten Räumen Erinnerungen auf, die verschiedene Erfahrungen streifen: Ausflüge zwischen Schießbuden am Strand, Kirmesbesuche mit Fahrten in der Geisterbahn, Reisen zu Erlebnisparks, Aufenthalte in Gruselkabinetten, zwischen Karnevalswagen oder im Völkerkundemuseum könnten dabei sein.

Jeffrey Farmer, "Let's Make the Water Turn Black", courtesy Kunstverein Hamburg, Foto: johnicon

Jeffrey Farmer, „Let’s Make the Water Turn Black“, courtesy Kunstverein Hamburg, Foto: johnicon

Diese Kirmes Kunst ist seit dem 1. März im Kunstverein in Hamburg zu sehen, in dem die Ära der neuen Leiterin Bettina Steinbrügge beginnt. Auch wenn diese Ausstellung mit dem Migros Museum für Gegenwartskunst, dem Nottingham Contemporary und dem Perez Art Museum Miami gemeinsam realisiert wurde, knüpft „Let’s Make the Water Turn Black“ von Geoffreys Farmer in Hamburg an die Reihe der dunklen mechanisierten Installationen von Mike Kelley oder Paul McCarthy an, die seit den neodadaistischen „Penny Arcades“ von Allan Kaprow, den Ensembles von Ed Kienholz die Ästhetik von Luna-Parks und populären Vergnügungen in die Kunst einfließen lassen. Aran Moshayedi erzählt aus der Perspektive eines Angelenos mehr darüber im Ausstellungskatalog (S. 80ff). In Hamburg geht diese Arbeit auch auf die Verbindungen zwischen Kunst, Theater und Populärkultur zurück, die seinerzeit Ivan Nagel mit dem Performanceprogramm während des Theaters der Nationen 1978 und Uwe M. Schneede mit Ausstellungen von Bühnenbildern und Installationen vorbereitet haben.

Jeffrey Farmer, "Let's Make the Water Turn Black", Abb. Katalog, S. 103

Jeffrey Farmer, „Let’s Make the Water Turn Black“, Abb. Katalog, S. 103

Diese installativen Animationen sind eigentlich Performances, die das spielende Personal durch Mechanik ersetzten. Daher sind sie aus der Wiederholbarkeit von Ereignissen schon vor der Zeit ihrer kinematographischen Multiplizierbarkeit hervorgegangen. Noch ehe die Automatisierung Produktionsprozesse durch Verzicht auf Arbeiter profitabler machte, wurde Maschinen auf Jahrmärkten und Kirmessen (Kirchweihfesten) erprobt und in Spielbuden zur Schau gestellt. Heute ist der Zustand der Nichtsnutzigkeit wohl am ehesten in Kunstausstellungen herstellbar, wo sie ein synästhetisches Erleben ermöglichen, das an Geisterbahnfahrten zu einer Zeit erinnert, als man sich noch eher durch animierte Materie erschrecken ließ als durch Menschen. Mike Kelley ist diesen Mechanismen in seinem durch Sigmund Freuds Schriften inspirierten Essay „Playing with Dead Things“ über das Unheimliche und mit seiner Materialsammlung, ausgestellt im Gemeentemuseum in Sonsebeek, nachgegangen (The Uncanny, Arnheim 1993)

Ausstellung in Hamburg: Klosterwall 23
bis 11. Mai 2014

Als Medien noch Menschen waren

"Hereinspaziert" Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

„Hereinspaziert“
Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Auf dem Hamburger Dom kommt 2013 die Performance Art an ihren Ausgangsort zurück. Heuer gastieren über 20 Performance-Künstler auf dem diesjährigen Frühjahrsdom vom 22.03. – 21.04. auf dem Heiligen Geistfeld. Als Schaubude holte die geheimagentur den attraktiven historischen Jahrmarktswagen der Varietee-Show „Revue der Illusionen“ nach Hamburg. Für alle, die lange nicht mehr auf dem Jahrmarkt waren und sich kaum noch daran erinnern, dass Medien einmal menschliche Vermittler zwischen dem physikalisch und ökonomisch kontrollieren Alltag und der Welt des Unheimlichen, des Zauberhaften und der Verschwendung waren, ist dieses eine Gelegenheit, sich aufs Neue verzaubern zu lassen. Laufend gibt es Blöcke aus insgesamt über 50 Kurzperformances von Künstlern, darunter Joy Harder, Florian Feigl, Otmar Wagner, Manuel Muerte und Lars Schmid. Diese lassen unmittelbar erleben, wie es in der Zeit war, ehe Foto, Film, Audio, Video und Datenverkehr die Herrschaft über unsere Einbildung übernommen haben.

Im Hellen gibt es für Eltern mit Kindern („Kinder die Hälfte“) Wunder und nach Sonnenuntergang Kopf-, Bauch-, und Muskelakrobatik à la Dada, Fluxus bis Body Art und was daraus geworden ist, zu entdecken. Während der Dämmerung Vermischtes.

Aktionen und Interaktionen

Otmar Wagner erschreckt den "Cardiff Giant" mit dem Re-doing von George Brecht: 'Drip-music' (1959) Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Otmar Wagner erschrickt den „Cardiff Giant“ mit dem Re-doing von George Brecht: ‚Drip-music‘ (1959) in der Fassung von Tom Marioni (1970)
Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Am Freitag (5. April) überraschte Otmar Wagner mit einem Re-doing eines FLUXUS-event-scores. Diese sind oft ultra-kurze Beschreibungen von Aktionen und Interaktionen, die jeder aufführen kann. Ken Friedman hat alle FLUXUS-event-scores in einem allgemein zugänglichen Buch zusammengefasst: http://www.deluxxe.com/beat/fluxusworkbook.pdf

Daniel Ladnar, Re-doing eines FLUXUS-event-scores. Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Daniel Ladnar performed einen seiner für den Frühjahrsdom geschriebenen Scores.
Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Außerdem sehens- und hörenswert der „Gigant von Cardiff“, Shelvis und die Wolfsfrau.

Aktionen//Attraktionen auf dem Hamburger Frühjahrsdom gegenüber dem Riesenrad. Tägliche updates auf: http://www.geheimagentur.net