Wenn Stuart Sherman (1945-2001) in den 1980er Jahren auf einem Platz in Manhattan sein Klapptischchen aufstellte und einige Objekte aus seinem Koffer fischte, dachte man im Vorbeigehen an einen in Aktion tretenden Taschenspieler. Nur wer verweilte, sah, dass sich hier kein Hütchenspieler vorbereitete, um mit schnellen und konstanten Verschiebungen von Schachteln seine Zuschauer über die darunter verborgenen Geldeinsätze zu täuschen. Zweifelsohne rückte Sherman Modelle von Einrichtungsgegenständen oder mechanische Tiere aus Kunststoff und Metall getaktet wie ein Glücksspieler, doch waren seine Spieleinsätze keine Münzen sondern Erinnerungen, die sich zu kleinen Episoden verdichten, weshalb er sie spectacles nannte. Sie reihten sich aneinander wie Filmszenen, die in Variationen immer wieder neu montiert und „gedreht“ werden konnten. In der Kabel-TV-Show von Kestutis Nakas (1983, http://www.youtube.com/watch?v=IG3p8SjowMo) bezeichnete sich der Künstler folglich auch als „filmmaker“, was er mit der Präsentation eines Kurzfilms, der in der Nachfolge surrealistischer Filme steht, unter Beweis stellte. 2010 präsentierte das Filmfestival in Chicago 25 seiner zwischen 1977 und 1986 gedrehten Filme. Vom aktuellen Interesse an Sherman zeugte auch die Ausstellung des Kunstvereins Harburger Bahnhof. Bis zum 18. August 2013 konnten dort Fotos und Filme der spectacles besichtigt werden, welche die mit Sherman befreundete Kollegin Babette Mangolte in den 1970er Jahren aufgenommen hatte.
Keine Zauberei sondern Ästhetik der Performance
Das Arrangieren von Gegenständen während seiner Klapptischperformances führte zu immer neuen Konstellationen, die sich paradoxerweise in den Momenten auflösten, in denen er sie mit einem Bleistift auf dem als Spielfläche benutzten Zeichenblatt umriss. In derselben fließenden Bewegung, mit der er den Stift führte, wurde plötzlich der Miniaturfernsehapparat hochgehoben und erwies sich von dem Augenblick an, in dem der Bleistift in ihn hineingesteckt wurde, als ein im Spielzeug versteckter funktionaler Gegenstand. Mit der durch Drehen jeweils neu geschärften Bleistiftspitze wurde die folgende der neu entstandenen Konstellation der Gegenstände umrissen, so dass auf dem Blatt ein Palimpsest entstand. Diese in den Aktionsfluss eingebauten Brüche im Übergang zwischen neuen Arrangements der Dinge verwandelten die Dinge in ihrer Funktion und Bedeutung. Mithin deutete sich hiermit der vergebliche Versuch an, Handlungen zu fixieren, die aus der Dynamik leben und deren Qualität in der Kontinuität liegt. Daher entspricht das Bleistiftspitzen einem Lidschlag, mit dem Zuschauer selbst die Kontinuität der Wahrnehmung unterbrechen, um die Aufmerksamkeit in Versatzstücke aufzuteilen. Ähnlich funktioniert auch der Filmschnitt mit dem Filmregisseure die Aufmerksamkeitsstrecke vorgeben. Die so gesetzten ästhetischen Mittel stimulieren die Gedankentätigkeit und Imagination der Zuschauer, wodurch sich das laufende Spiel und dazugehörige Erinnerungsfetzen in ihrem Kopf etablieren. Auf diese Weise werden die Zuschauer in ein kindliches Spiel hineingezogen, in dem die Dinge im Fluss bleiben und die ganze Welt darstellen. Im besten Fall wird es so, wie es einem selbst als Kind erging, als sich Wunder noch spontan ereignen konnten.
Diese Gedanken über Stuart Sherman werden in „Blende und Traumzeit“ fortgesetzt. (Band 2 erscheint 2014 bei Conference Point)