Die Feuilletons mehrerer Medien berichteten im Vorfeld der diesjährigen documenta fifteen in Kassel über das Motto der Organisatoren der Indonesischen ruangrupa „gemeinsam abhängen“. Das kam bis kurz nach der Eröffnung der Weltkunstausstellung sympathisch rüber. Das änderte sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus gegen ein Agitproptableau, das von einigen Kritikern, Kunstsachverständigen und letztlich auch Politikern zu Anlass genommen wurde, die ganze Ausstellung zu diskreditieren. Ablehnung gehören seit jeher zum Ritual der Kunst und erst recht bei Großausstellungen, die schon immer Künstler, Galeristen und Kunstprofessionelle gegen sich aufbrachten, von deren Fahrwasser auch Politiker und andere angesogen werden. Dieses Mal wird aber der schwere Hammer der Zensur ausgepackt und die ganze Ausstellung, die einzige in Deutschland, die noch globale Beachtung findet, generell in Frage gestellt. Sogar mit einer kunstkommissarischen Aufsicht der Bundesregierung wird gedroht.
In der Zukunft abgehängt?
Die Feuilletons mehrerer Medien berichteten im Vorfeld der diesjährigen documenta fifteen in Kassel über das Motto der Organisatoren der Indonesischen ruangrupa „gemeinsam abhängen“. Das kam bis kurz nach der Eröffnung der Weltkunstausstellung sympathisch rüber. Das änderte sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus gegen ein Agitproptableau, das von einigen Kritikern, Kunstsachverständigen und letztlich auch Politikern zu Anlass genommen wurde, die ganze Ausstellung zu diskreditieren. Ablehnung gehören seit jeher zum Ritual der Kunst und erst recht bei Großausstellungen, die schon immer Künstler, Galeristen und Kunstprofessionelle gegen sich aufbrachten, von deren Fahrwasser auch Politiker und andere angesogen werden. Dieses Mal wird aber der schwere Hammer der Zensur ausgepackt und die ganze Ausstellung, die einzige in Deutschland, die noch globale Beachtung findet, generell in Frage gestellt. Sogar mit einer kunstkommissarischen Aufsicht der Bundesregierung wird gedroht.
Angesichts solcher Attacken fragt man sich, warum die Verantwortlichen nun abtauchen und nicht etwa offensiv ihre Auffassungen vertreten. Möglicherweise war ihnen nicht klar, dass der Kunstbetrieb alles andere als eine Gemeindescheune ist, in der der es sich gut feiern und reden lässt.
Die harten Bandagen der Kämpfenden bleiben oft im Verborgenen, obwohl genau das soeben praktizierte Abhängen von Kunstwerken in Deutschland gar nicht so unüblich ist, wie man zu denken geneigt ist. Erst 2011 wurde in der Goldhalle des Hessischen Rundfunks in Frankfurt eine große Fotoarbeit aufgrund der Intervention des damaligen Intendanten des Senders mit einer Wolldecke zugehängt. Weil er die Darstellung der Vernähungen von Versatzstücken nackter Körper von vier Generationen einer Familie anstößig fand, veranlasste er, die frei im Raum hängenden Großfotos unsichtbar zu machen. Es handelte sich nicht um einen trivialen Akt kunstpolitischer Willkür, sondern um die Zensur einer Ausstellung und war gegen die Preisträgerin des Marielies-Hess-Kunstpreises Annegret Soltau gerichtet. Eine feministische Künstlerin hat nicht so viele Mitstreiter an ihrer Seite wie ein Darling einflussreicher Sammler. Nicht einmal die Jury wehrte sich und die Feuilletons der örtlichen Zeitungen schwiegen.
A b h ä n g e n
Abhängen wird in dem gleichnamigen Buch, das im August im ConferencePoint Verlag in Hamburg erscheint, wie folgt definiert und argumentativ eingesetzt:
„Der Titel „abhängen“ unterstreicht die Suche nach alternativen Präsentationsformen von Großformaten und zeigt aber auch, dass die Künstler*innen zeitweise bis zum Eklat aneckten. Dabei ging es nicht bloß um die Missachtung ihrer Werke, sondern um handfeste Unterdrückung bis hin zur Zensur, die auch nicht vor dem Verhängen von Kunstwerken, wie im Fall der Fotovernähungen von Annegret Soltau zurückschreckte. Abgehängt werden aber auch langsamere Fußgänger, Läufer oder Fahrzeuge, die von schnelleren hinter sich gelassen werden. Was im Leben nicht ungewöhnlich ist, gilt auch im übertragenen Sinn. So bedeutet abhängen als Metapher auch, einen anderen Lebensstil zu pflegen, der in einer besitzorientierten Leistungsgesellschaft als anstößig wahrgenommen wird, aber tatsächlich auch ins soziale Abseits führen kann. Das gilt besonders Jahrzehnte nach dem fraglichen Zeitraum der hier in den Blick genommenen künstlerischen Entwicklungen seit den 1970er Jahren[, in denen Arbeitslosigkeit prekäre Arbeitsverhältnisse hervorbrachte, die seitdem um sich greifen.] So kennzeichnet heute Selbständigkeit in vielen Branchen euphemistisch Arbeitsverhältnisse ohne soziale Absicherung, die eine zunehmende Zahl von Menschen am Ende ihres Erwerbslebens abgehängt dastehen lässt.
Die Konflikte der drei Künstler*innen (Annegret Soltau, Dieter Rühmann und Boris Nieslony) mit Museumsleitungen, Jurys, Ausstellungsmacher*innen und Verleger*innen mit offenen Machtdemonstrationen seitens der Institutionen und ihren Repräsentant*innen nähren die Vermutung, dass es einen weit verbreiteten Konfliktherd gibt, der ungern thematisiert wird, um das Bild einer aufgeschlossenen Kunstöffentlichkeit nicht zu verderben. Von Zensur, dem Abhängen von Bildern und Verhinderungsversuchen waren vor allem Rühmann und Soltau betroffen, während Nieslony als Performancekünstler bis in dieses Jahrtausend hinein sowieso von vergleichsweise ungenügender Darstellung seiner Ausstellungsbeteiligungen und unzulänglichen Beiträgen in Publikationen betroffen war. Da aber jeder Blick auf Kunstwerke auch immer ein Blick aus der eigenen gesellschaftlichen Wirklichkeit und Position heraus ist, offenbart Ablehnung – gerade unter Druck – Voreingenommenheit und Abwehr von Forderungen, die von Schwächeren an Institutionen herangetragen werden. Die ungeschriebenen Regeln im Kunst- und Kulturbetrieb erscheinen dann wie eine Verteidigungslinie zum Schutz des Status der dort Tätigen und ihrer Definitionsmacht. Daher können ästhetische Entscheidungen nie absolut sein, wenn sie sich Grenzen nähern, an denen Veränderungen gefordert werden. Jede dieser Künstler*innen war in solche Situationen verwickelt und im Einzelnen wird sich zeigen, auf welche Vorbehalte sie jeweils stießen und mit welchen Maßnahmen ihre Kunst ausgeschlossen wurde.“
Johannes Lothar Schröder: abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen. Hamburg 2022, S.10f, ISBN 978-3-936406-61-0, Zur besseren Verständlichkeit der Verweise wurden an zwei Stellen die Namen der Künstler*innen in die zitierten Passagen aus dem Vorwort eingefügt.