Zum Festival Briseº1 vom 30.8. – 1.9.2013 in Flensburg
„Wir geben uns den Raum!“ rief Elke Mark am Ende einer Diskussion um geeignete Orte für Performance Art. Genau das hatte abends zuvor die PAErsche Open Source Session auf dem Gelände am alten Güterbahnhof in Flensburg erreicht. Auf dem Umschlagplatz vor dem ehemaligen Kühlhaus markierten die Lichtkegel der Scheinwerfer von drei Autos eine Fläche und neun Performer begannen ihre Möglichkeiten mit vor Ort gefundenen minimalen Hilfsmitteln und Gegenständen vorhergehender Performances zu erkunden.
Was sich an diesem zweiten Tag von „Briseº1“, dem ersten internationalen Performancefestival in der nördlichsten Stadt Deutschlands ereignete, war eine weitere Station auf dem langen Weg der Verbreitung einer Praxis von Aufmerksamkeit, Beschenkung und Gastgeberschaft, die mit dem Austausch von Performances und den Begegnungen von Menschen aus den verschiedenen künstlerischen Genres mit unterschiedlichen Ambitionen aufkam.
Konnten bei den Einzelperformances noch lebende Bilder, trickreiche Darbietungen, sorgfältig Vorbereitetes oder Improvisiertes überraschen, belustigen oder fesseln, kam es bei der Session darauf an, nicht nur die eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen, sondern den anderen Personen Vertrauen und Aufmerksamkeit zu schenken. So konnte etwas wachsen, an dem alle beteiligt waren. Selbst das Publikum ließ sich von der Aufmerksamkeit erfassen und wurde Zeuge von intuitiv sich einstellenden Ereignissen und Begegnungen. Sie schienen momentan auf, hielten sich eine Weile, um kurz darauf wieder abzuflachen und in neue Möglichkeiten überzugehen.
Mit der Zertrümmerung von Klavieren und Geigen fing an, was heute Universitäten lehren
Zwar ist das emphatische und bisweilen auch enthusiastische Miterleben auch in den Häusern des klassischen bürgerlichen Kunstbetriebs nicht unbekannt. Doch spätestens seit den 1960er Jahren, als der pazifistische John Cage noch die Saiten der Klaviere mit diversen Materialien bestückte, um die Töne zu modifizieren, erlebten wir einen Bruch oder auch eine Übersteigerung etwa durch Arman, Nam June Paik und Joseph Beuys, die 1962/63 etliche Klaviere, Flügel und Streichinstrumente beschädigten oder zerstörten. Angesichts der entfesselten Zerstörungspotentiale der Industrienationen und der Arroganz einer Hochkultur, die keine Alternativen duldete, manifestierte sich in diesen Aktionen Bruch und Neubeginn.
Heute bearbeiten zahlreiche Hochschulen Themen der Performance Art, womit die zunächst befremdlichen Anregungen seitens der Performance Art, Video- und Installationskunst für die Aufführungskünste, also das Theater, die Oper und den Film verfügbar gemacht werden können. Dennoch haben wir es außerhalb der Hochschulen mit einer weiter wachsenden Zahl von Akteuren und Interessierten aus allen Genres zu tun, die nicht immer Bühnenformate praktizieren, welche die Märkte rund um die Opern, Theater, Konzertsäle, Film- und Fernsehstudios sowie Verlagshäuser nachfragen. Viele Protagonisten wurden auch nie in diese Institutionen hineinsozialisiert, gleichwohl besitzen Künstler wie Boris Nieslony bedeutende Archive und Bibliotheken über die Geschichte und Theorie dieser Kunstpraxis. Allerdings kommt es nicht darauf an, dass die Verfahren einer Open Source Session ästhetisch sanktioniert oder vom Feuilleton bestätigt werden. Auf der Basis der Bewegung treten die Quellen aus dem Bestand der kulturellen Einschreibungen in den Körper hervor, werden sichtbar, eventuell gespiegelt und verschwinden wieder. Es geht um direkten Austausch, der durch sparsam ausgewählte Gegenstände des Alltags ergänzt wird, die sich in einem elementaren Sinn einsetzten und erproben lassen.
Was man erwerben kann, muss nicht gelingen.
Die Diskussion am 1. 9. galt dem Thema „tool“, und es ging um die Werkzeuge der künstlerischen Arbeit in den Zeiten, in denen sich nicht nur Werke abbilden sondern auch Handlungen von Jedem reproduzieren und einem Publikum zugänglich machen lassen. Aus diesem Grunde wurden in einer Vorlage der Organisatorin auch Handlungsabläufe unter dem Begriff des „tools“ subsummiert.
Kulturgeschichtlich sind wir damit an einem Punkt angelangt, an dem die Werkzeuge, die eine Erweiterung des menschlichen Körpers darstellten und von diesem beherrscht werden mussten, aufgegeben werden, bzw. verändert und ungeübten Händen angemessen werden. Traditionell war der Umgang mit Werkzeugen zu erlernen, was einer handwerklichen Tradition zu verdanken ist, die die heutigen Lehrberufe hervorgebracht hat. Doch steckt der Gebrauch von Werkzeugen in einer Krise, weil modular gebaute Gebrauchsgegenstände meist unreparierbar sind, Convenience-Produkte nicht geputzt werden müssen, Sportgeräte Rudern im Wohnzimmer ermöglichen und automatische Steuerungen den Menschen viele Tätigkeiten abnehmen. So ist vielen Menschen die Lust an der körperlichen Beherrschung von Werkzeugen und an der Bewegung immer mehr abhandengekommen. Physisches Analphabetentum ist der Preis dafür, dass Haushalts- und Werkstattmaschinen, Gartengeräte und landwirtschaftliche Maschinen die Arbeit erleichtern oder sie den Menschen ganz abnehmen. Was man erwerben kann, muss nicht mehr gelingen.
Kulturelle Leerstellen füllen
Diese kulturellen Leerstellen werden häufig durch Fettanlagerungen an Körpern, Rost auf Werkzeugen und Zerstreutheit im Kopf ausgeglichen, wenn nicht die Praktiken der Performance-Art den verwahrlosten Fähig- und Fertigkeiten des Körpers Futter geben. Hier sind alle, die sich angesprochen fühlen, aufgefordert, Werkzeuge – oder das was dafür gehalten wird – auszuwählen, auszuprobieren oder auch zweckentfremdet zu benutzen. Es geht darum herauszufinden, was der Körper kann, was ihm fehlt, was er zur Erweiterung benötigt und wie viel Äußerungspotential jenseits aller Zweckbezogenheit aus ihm herauszuholen ist. Dann ist es möglich, dass sich Wesentliches zwischen den Beteiligten ereignet, die sich während diverser paralleler Aktionen begegnen, sich nahe kommen, ihre Bewegungen synchronisieren, sich verlieren, aufeinander zugehen oder sich voneinander entfernen.
Die Erfahrungen einer performativen Zusammenarbeit aktualisiert PAErsche seit 3 Jahren in einem Performance-Netzwerk mit bis zu 30 Mitgliedern, die sich regelmäßig in Köln oder auf Festivals treffen: www.paersche.org
Mit Briseº1 hat Elke Mark Norddeutschland mit einem Festival bereichert, dem eine Fortsetzung, nicht zuletzt auch deshalb zu wünschen ist, weil Flensburg zahlreiche Plätze an der Förde und neugierige Einwohner und Besucher hat, denen die Praxis der Open Source Session gut tun könnte.