Hass, Rachegefühle und Fortschrittskritik

Ein knappes und erhellendes Licht auf die Umstände, von denen Trump profitieren konnte, gab Saskia Sassen in einen Leserbrief an die SZ (10. Nov. 2016). Nicht nur Sassen macht die abgehängten und gedemütigten Verlierer des technologischen Wandels und der neoliberalen Politik als diejenigen aus, die ihr Schicksal ausgerechnet in die Hände eine Milliardärs gelegt haben, der bisher nicht als Wohltäter in Erscheinung getreten ist.

SZ vom 10.11.2016

SZ vom 10.11.2016

Eine Passage aus den Geschichtsphilosophischen Thesen von Walter Benjamin machte mich auf einen blinden Fleck in der bisherigen Diskussion um den zunehmenden Populismus aufmerksam. Es geht um den Zorn der Menschen und ihr Unbehagen, die sich zunehmend in Hass verwandelt haben. Benjamin gab angesichts der Kämpfe infolge der Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren zu bedenken, dass im Kampfeswillen der Arbeiter auch Rache zu erkennen sei. Er schrieb, dass in jedem der Kämpfer auch die Demütigungen und Erniedrigungen mitschwingen würden, die allen Generationen der abhängig Arbeitenden bis heute angetan worden sind. In der These XII heißt es: „Das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst. Bei Marx tritt sie als die letzte geknechtete, als die rächende Klasse auf, die das Werk der Befreiung im Namen von Generationen Geschlagener zu Ende führt.“

Die Rachefaust des Donald Trump

Hinsichtlich des aus der Geschichte wirkenden Motivs aktuellen Handelns wendet sich Benjamin auch gegen den sozialdemokratischen Irrtum, dass die Arbeiterschaft im Namen des Fortschritts kämpfen würde. Diese Kritik zur Kenntnis nehmend, kann man sagen, dass linker Fortschrittsglaube es erschwert, die Richtung zu erkennen, in die sich die versprengten Reste der Arbeiterklasse in der post-industriellen Staaten heute bewegen. Wenn man unterstellt, dass auch Rache ein Motiv für die Wahl eines populistischen Wahlkämpfers gewesen ist, so würde besser zu verstehen sein, warum gegen den Fortschritt gerichtete Wahlversprechen nicht nur in Amerika ziehen. Während Ronald Reagan noch den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow aufforderte die Mauer in Berlin niederzureißen und das Brandenburger Tor zu öffnen, stößt Trump mit der Forderung eines Mauerbaus an der mexikanischen Grenze auf Begeisterung. Andererseits bleibt es rätselhaft, welche Vorteile sich die Abgehängten von einer in Aussicht gestellten Steuersenkung für Reiche versprechen?

Als Benjamin der Arbeiterbewegung – freilich unter ganz anderen Bedingungen als sie heute gegeben sind – das Engagement für den Fortschritt bestritt, fand er die drastische Metapher der Revolution als Notbremse in einem zu schnell fahrendem Zug.  Dieses Sinnbild ist bis heute bestechend, weil es die Abneigung gegen technologische und politische Entwicklungen verständlich macht, die die Globalisierung fördern. Doch wenn der Kandidat, den ein Großteil von Arbeitern, Arbeitslosen und prekär Beschäftigten gewählt haben, schon als Unternehmer besonders stark von dieser Entwicklung profitiert hat, indem er für seine Bauvorhaben Stahl und Aluminium aus China importierte, ist diese Entscheidung zutiefst irrational, denn die Bauten des Unternehmers Trump brachte keinem Stahlwerker aus Pennsylvania auch nur einen Penny. Es wäre zu ironisch, das Motiv der Solidarität mit chinesischen Stahlarbeitern auch nur zu erwägen, denn es steht zu bezweifeln, dass den ehemaligen Stahlarbeitern des „rustbelt“ oder Trump die Arbeitsbedingungen in chinesischen Stahlwerken ein Kümmernis sein würde. Die irrationale Entscheidung ist aber durch Hass und Rachegefühle zu erklären, die der Wahlkämpfer Trump geschickt angestachelt hat. Vielleicht aber hat Trump als junger Mann die Armen und Deklassierten beobachten können, die in den Mietskasernen seines Vaters leben mussten, weil auch damals schon jede Krise neue Deklassierte produziert hatte. Dort erfuhr er, wie diese Menschen denken und fühlen, was ihm sicher geholfen hat, wirkungsvoll die politischen Wünsche und Vorstellungen der heute von Krisen geschüttelten Generation zu erkennen und für sich zu nutzen. Die ausgeliehene gehobene Faust, die er immer wieder zeigte, weist in diese Richtung. So ging das sinnentleerte Pathos dieser Geste als routinierter Angriff auf das Establishment durch, ohne dass es als Schmierenkommödie beanstandet wurde.

 

Deutsche im Spiegel der USA

Die aktuellen Entwicklungen in den USA sind ein Anlass, erneut über unseren wichtigsten Verbündeten außerhalb Europas nachzudenken; denn die Vereinigten Staaten und ihre Bewohner sind immer auch ein Spiegel gewesen, der uns in Europa auffordert, uns anzuschauen und über uns selbst nachzudenken.

Out-Laws, Homines sacri und Das Kapital

Nach der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA biete ich den Text über Joseph Beuys und John Dillinger noch einmal in der überarbeiteten Form, wie sie jetzt im Buch „Vorsicht bei Fett!“ (S. 246-257) steht, nächstfolgend zur Lektüre an. Diese überarbeitete und nun in den Kontext von „Homines sacri“ (Kap. VI) eingebundene Version ging aus der Version des Textes vom 22. Januar 2016 (s.u.) hervor. Mit der Aktion vor dem Biograph-Kino in Chicago am 14. Januar 1974 fand Beuys in der Figur des Dillinger eine Möglichkeit, sein Verhältnis zu den vormaligen Feinden und jetzigen Verbündeten neu zu bestimmen und über sein Verhältnis zu den Einwanderern aus Europa auf dem „Neuen Kontinent“ nachzudenken. Diese Perspektive macht diesen Abschnitt auch heute noch aktuell, zumal die Frage der Schuld angesprochen wird, die in der Ausstellung „Das Kapital“ in einem eigenständigen Kapitel behandelt wird. Das gleichnamige Werk von Beuys wurde von dem Kunstsammler Erich Marx für den Hamburger Bahnhof erworben und ist nun dauerhaft in Berlin zu sehen.

KÖRPER VOM NETZ GENOMMEN

Zur Ausstellung: Es ist Zeit von Clemens Krauss im MARTa in Herford
vom 31. Aug. bis 2. Nov. 2014

Ein Teenager als Möchtegernstar

Einen wilden Jungen auf dem Sofa seines Kinderzimmers hopsend seine Gitarre dreschen und mit glühenden Augen sehnsüchtig in die Kamera blicken zu sehen, ist eine der beeindruckenden Szenen aus dem Video „ER“ (2011), das aus transferierten Video 8 Clips zusammengeschnitten ist. Ein Sprecher aus dem Off suggeriert Biografisches aus dieser Zeit ohne YouTube. Er erzählt, dass der hyperaktive Möchtegern-Rockstar an verschiedenen Syndromen litt und später an einen Rollstuhl gefesselt sein würde. Nach seinem Verschwinden streuten „Aussagen eines Arbeiters“ Gerüchte, dass ihn in Rumänien sein Bruder, der mit Handschellen daran gekettet worden ist, darin herumschieben würde. Als Metapher für die Abhängigkeiten in Familien und Zwangsverhältnisse an Schulen verstanden, trifft die Geschichte die in vielen Staaten geübte Praxis, Kinder zur Ruhe anzuhalten, um den politisch sanktionierten Stoff zu vermitteln, der nicht selten die Kraft der Schüler überfordert, ihre nach geistigem Futter und körperlicher Betätigung gierenden Körper stillzustellen. Notfalls töten Psychopharmaka den natürlichen Bewegungsdrang und die Abenteuerlust ab, um die vermeintlichen Bildungsnormen zu erfüllen, während die Zuständigkeiten für Fußball, Fechten, Tanzen und Selbstbefriedigung auf die knappe freie Zeit verschoben oder an virtuelle Spiele delegiert werden.

Durch einen Tunnel im von den Kuratoren in der Lippold-Galerie des Marta im ostwestfälischen Herford geschaffenen Ausstellungslabyrinth gelangen die Betrachter von dieser einleitenden Videoprojektion in weitere mit Werkgruppen aus Videos, Malereien und Objekten bestückte Räume aus verschiedenen Schaffensphasen und ein fensterloses Zimmer für die Sprechstunden jeden Samstag und Sonntag während der Dauer der Ausstellung.

Clemens Krauss, Wandbild über dem Foyer, MARTa, Herford, Foto: johnicon, courtesy of the artist and museum

Clemens Krauss, Wandbild über dem Foyer, MARTa, Herford, Foto: johnicon, courtesy of the artist and museum

Körper mit Gesten des Malens identifiziert

Krauss formt die Körper mit Massen von Ölfarbe direkt auf dem neutralen Malgrund – seien es Wände, wie im Eingangsbereich des Museums, Leinwände oder Hartfaserplatten. Bei der Erörterung derartiger Malerei steht, ähnlich wie bei der Beschreibung der Bilder von Fabian Marcaccio, die Tatsache im Wege, dass im Deutschen Farbe als Synonym für die Lichtfrequenz des Farbsehens wie auch für die Masse aus Farbpigmenten mit Bindemitteln fungiert. Anders als bei farbigen Skulpturen, bei denen das Inkarnat auf den gebildhauerten Körpern aufgetragen wird, sind bei Krauss Farbmassen und farbige Oberflächen identisch. Da die Gesichtszüge in den gefurchten Farbmassen bis auf gelegentlich erkennbare grobe Andeutungen von Augen, Nasen und Ohren kaum individualisiert sind, kann man davon ausgehen, dass, der Körpersprache und Kleidung nach zu urteilen, meistens junge Männer gemeint sind, mit denen der Maler kommuniziert, indem er die Gesten der Malerei mit den Gesten der Dargestellten verschränkt. Dabei kommt es zu einer Identifikation, welche die anonyme Herkunft der Figuren aus den Medien kompensiert. Diesem Vorgang haftet zugleich eine Passivität an; denn die Motive werden nicht aktiv gesucht, sondern ins Studio geliefert, was eine zusätzliche Voraussetzung ihrer Entpersönlichung und Kontextlosigkeit ist. Dagegen wendet Krauss ein, die Körper hätten den Charakter von Selbstbildnissen. Hierzu fehlen allerdings porträtartige Ähnlichkeiten, so dass Betrachter letztlich Stereotypen begegnen, die durch aus den Shirts ragende Extremitäten bewegt erscheinen. Ob Gesten und Posen so als Körpersprache zu verstehen sind, muss zunächst ebenso wie der Status der dargestellten Personen offen bleiben. Jedenfalls erkennt man nicht, ob sich die Gruppen zum Feierabend versammeln oder ob sie arbeitslos sind, sich langweilen, entspannen, palavern oder streiten. Vielleicht hat Krauss die Exemplare dieser Generation der sozialen Netzwerke gerade deshalb vom Netz genommen, um angesichts der trivialen und egalisierenden Äußerlichkeiten anhand der minimalen Informationsreste einen Befund ihres sozialen Potentials mit ästhetischen Mitteln zu erheben. Die Knappheit von Informationen stellt die übliche Typisierung von Personengruppen durch konkrete Hinweise, Beschreibungen der Details und Attribute auf den Kopf. An dieser Stelle muss deshalb ein Hinweis auf Krauss‘ Tätigkeit als Arzt und Psychoanalytiker erfolgen, weil es durch seine Kunst innerhalb einer sprachlich fixierten Expertise die weniger beachteten visuellen und kollektiven Potentiale mit künstlerischen Mitteln zur Anamnese heranzieht.

Clemens Krauss: Detail der Installation aus Christusfiguren und Schuhen, MARTa Herford, Foto: johnicon, courtesy of the artist

Clemens Krauss: Detail der Installation aus Christusfiguren und Schuhen, MARTa Herford, Foto: johnicon, courtesy of the artist

Paradigmatisch: Figuren des Messias

Neben den ausgestellten eigenen künstlerischen Arbeiten hat Krauss auch historische Christusfiguren aus seiner Sammlung nach Herford gebracht und zu einer Installation mit zahlreichen Paaren seiner Sneakers kombiniert. Hier tauchen Bilder vom Körper aus historischen und religiösen Zusammenhängen auf, die eine andere Seite seiner Forschungsinteressen offenbaren. Die teils verwitterten Inkarnate der Figuren sind schichtweise auf bildhauerisch zerklüftete Oberfläche aufgetragen worden, während Krauss Körper und ihre Kleidung aus massiven Farbmassen modelliert. Beide Varianten lassen sich aber auch mit Spuren von Verletzungen und schließlich mit der Passion in Verbindung bringen. Die Schnitzer der historischen Personen gruben zur Darstellung der Haare und Falten Furchen in das Holz, die nicht nur verblüffende Ähnlichkeiten mit den Oberflächen der ausgestellten Gemälde aufweisen, sondern auch mit vergrößerten Rillen einer Vinylschallplatte. Diese bergen Informationen. Und diese Vermutung ist nicht abwegig, denn in den letzten zwei Jahren hat Krauss auch Teppiche aus Farbmassen zusammengesetzt, deren Muster archaisches Wissen aufbewahren. Hier wird das Informationspotential der orientalischen Ornamentik befragt. Eine solche Informationsverdichtung schwebt Krauss demzufolge auch vor, wenn er junge Zeitgenossen um die 30 mit ihren Leiden, Zweifeln, Sehnsüchten, ihrem Mut und Übermut, ihrem Scheitern und ihren Erfolgen darstellt, zumal sich dafür Vorbilder in der christlichen Auffassung finden lassen, die alles, was in den Menschen vorgeht und was sie antreibt, einem einzigen Menschen, dem Jesus von Nazareth, aufgeladen hat, der deshalb zu einer Figur des paradigmatischen Leidens geworden ist. Krauss Farbmassen wirke so, als gäben sie dieser Vorstellung erneut Gewicht.

Was aber hat es dabei mit den Schuhen auf sich? Geht es um Migration im ursprünglichen Sinn einer Wanderschaft, oder geht es um die Beleidigung, die im arabischen Raum im Zeigen der Fußsohlen gegen jemanden liegt, der symbolisch einen Tritt abkriegen soll. Hier offenbart sich ein wesentliches Dilemma der Globalisierung besonders darin, dass Symbole und Körpersprache durchaus nicht universell sind, sondern in unendlich viele Idiome zerfallen, die historisch gewachsen und ähnlich differenziert sind wie die zahlreichen gesprochenen Sprachen. Die Schuhe könnten den Barfüßigen auch auffordern: Werde einer von uns! In der Ikonographie der Passion Christi lassen sich die Bilder der jungen Menschen in die eines „ecce homo“ einfügen. Die Abbildungen von gefurchten Körpern streifen nicht zuletzt auch die existenzialistische Vorstellung des in die Welt geworfenen jungen Menschen, an dessen unsicherer Position in einer globalisierten Welt sich Krauss abarbeitet. Konkret denke ich dabei an „Der Fremde“ von Albert Camus. Die Hauptfigur dieser Erzählung bringt am Strand einen jungen Mann um, ohne dass man als Leser in der Lage wäre, Motive zu ergründen. Es gibt Anhaltspunkte, doch weiß man nicht einmal, warum Mersault an die Stelle gegangen ist, an der er sein späteres Opfer traf. Im grellen mediterranen Licht, das die Figuren entindividualisiert, gibt es keine Möglichkeit die Körpersprache zu identifizieren. So ist es unmöglich zu erkennen, ob eine Aggression vorlag, ob es eine harmlose Begegnung war oder ob Übermut die folgenschwere Tat heraufbeschworen hat.

Rastlos: Zerstörung von Kontexten

Überbelichtung, durch die die Anhaltspunkte für eine Umgebung und Zusammenhänge ausgeblendet werden, scheint hier ein Schlüssel zu sein. Manchen mögen noch die Bilder von Walter Niedermayrs Fotoprojekt Titlis geläufig sein, der 1999 Menschen auf Gletschern fotografierte, so dass sie auf einem unbestimmten Untergrund zu schweben scheinen. Den Menschen wird durch Überbelichtung der Boden entzogen. Zu viel Licht ist vorhanden und tilgt die Möglichkeiten der Verortung. Auf Bilder von Krauss trifft das ebenfalls zu. Teils aus einer erhöhten Perspektive beobachtet, stehen Einzelne oder Gruppen ohne Kontext auf dem Präsentierteller, ohne dass sie sich unbehaglich fühlen würden. Die fehlende Gelegenheiten sich zurückzuziehen, zu verstecken und einsam zu sein haben sie – der Ahnungslosigkeit ihrer Gesichtszüge und Gesten nach zu urteilen – noch nicht einmal bemerkt.

Clemens Krauss: Sick and Sane, 2014, Öl auf Leinwand, 300x198 cm, Foto: B. Borchardt

Clemens Krauss: Sick and Sane, 2014, Öl auf Leinwand, 300×198 cm, Foto: B. Borchardt

Dieser Bildaufbau änderte sich erst in den letzten zwei Jahren, in denen Krauss seine Figuren vor rudimentäre Kulissen stellt. Möglicherweise hat seine Reise nach Palästina dazu beigetragen, dass menschliche Figuren, die nicht mehr so stark ausgearbeitet werden wie in älteren Werkgruppen, vor oder zwischen Architekturfragmenten stehen. Auch wenn diese an zerstörte oder unfertige Betonskelettbauten erinnern, bleibt es nach wie vor den Betrachtern überlassen, wie sie die nur angedeuteten Räume interpretieren wollen.

Äußerungen von in Berlin lebenden Israelis im Video „Double Bind“ (2014) rufen den Verlust von Wohnungen und mithin Heimat auf. Die Erzählungen, Erinnerungen und Träume von zwei Protagonisten aus zwei Generationen bringen das Phänomen des Lebens in Israel in Erinnerung, das die aus der Diaspora kommenden von ihren vertrauten Umgebungen und den möglicherweise seit Generationen bewohnten Gebäuden ihrer Vorfahren abgeschnitten hat. Hierin sind Motive für die Rastlosigkeit zu suchen, die auf Entwurzelung zurückgeht, eine permanente Erregung hervorruft und eine gestörte Kommunikation zur Folge hat. Auch hierfür stehen die Schuhe.