Die gemeinsame Emanzipation von Performance-, Medien- und Frauenkunst

Auf einem Podium über die Ausstellung feministischer Kunst in der Hamburger Kunsthalle am 23. April 2015 stellte Claudia Reiche als Moderatorin mehrfach die Frage nach der Fortführung der Positionen der 1970er Jahre in die Runde mit Kerstin Cmelka, Hanne Loreck und Annegret Soltau und fragte auch nach der Rechtfertigung des kriegerischen Avantgarde-Begriffs. Die Antworten der drei Generationen gaben Auskunft über die eigenen Erfahrungen mit dem Impuls der 1970er, doch blieben weitergehende Gedanken auch mangels Konkretion der Fragen durchweg hinter dem schon Bekannten zurück.

„The Amazing Decade“

Die Vorstellung von Avantgarde betreffend sei an den durchschlagenden Titel des Buches von Moira Roth The Amazing Decade erinnert, das 1983 bei Astro Artz in Los Angeles erschienen ist. Im englische Adjektiv amazing, das ‚überraschend‘ bedeutet, klingt zugleich auch Amazone an, was in der englischsprachigen Literatur auch für eine starke Frau (Amazon) benutzt wird und heute von einem Online-Händler vereinnahmt worden ist. In diesem Buch über Performances von Künstlerinnen in den 1970ern, wird der Impuls von Frauen als entscheidender Beitrag dieses Jahrzehnts herausgestellt. Diese früh erfolgte theoretische und historische Klärung des Beitrags von Frauen für die Kunst ist beispiellos und hat neben den Beiträgen von Lucy Lippard dazu beigetragen, die amerikanische Kunst nach der Abstraktion und Pop Art aus weiblicher Sicht in Position zu bringen.

Die Diskussion in Hamburg machte nun 30 Jahre später den Versuch, die Positionen von Künstlerinnen ohne einen Blick auf die sich parallel entwickelnde Performance-Art zu bestimmen. Obwohl die Ausstellung voller Fotos hängt und durch zahlreiche Videos ergänzt wird, blieb auch die zunehmende Bedeutung von Medien wie Fotografie und Video für die Selbsterforschung, -beobachtung und –darstellung unberücksichtigt. Daher war man nicht in der Lage, die Äußerungen von Annegret Soltau aufzugreifen, die seit ihrer Studienzeit reproduzierende Medien benutzt. Sie begann mit Druckgrafiken und dokumentierte ihre Aktionen später mit und vor der Kamera, womit eine künstlerische Brücke zu Videoarbeiten der 1974 geborenen Kerstin Cmelka bestand. Der sich hier bietende Einstieg blieb leider offen.

Die Chancen des Undefinierten

Ohne den Weg über die Bedeutung der bildgebenden fotografischen und elektronischen Medien lässt sich nicht verstehen, dass die fehlende Anerkennung dieser Techniken in den 1970ern die Künstlerinnen von vorne herein aus der damaligen Kunstwelt ausschloss. Das Positive daran war, dass die Geschichte der Neuen Medien damals noch nicht geschrieben war, weshalb ihr für die Emanzipationsbestrebungen große Bedeutung zukam; denn sie waren vom – damals durchweg männlichen – Kunstestablishment noch unbeleckt. Auf den noch nicht durch Definitionen umrissenen Freiraum hatte damals zuerst Ulrike Rosenbach hingewiesen, die diese Erkenntnisse bei ihrem Aufenthalt in den USA gewonnen hatte, wo die feministische Szene mit politischen AktivistInnen vernetzt war. Bündnisse zwischen fortschrittlicher Kunst und Politik waren in Deutschland dagegen wegen der Vorbehalte der Linken gegen Kunst und neue Technologien schwierig oder gar nicht möglich, wodurch die Durchschlagskraft der alternativen Bestrebungen in der Kunst stark eingeschränkt war. Selbst für die von Männern bestimmte Szene um Joseph Beuys gab es bei den Grünen wenig Resonanz, und Künstlerinnen, die wie Rosenbach Professorin in Saarbrücken wurden, konnten alleine in einer überwiegend kommerziell bestimmten Kunstlandschaft wenig erreichen. Die Resonanz musste über den Markt errungen werden, was sich auch daran zeigt, dass in Hamburg 45 Jahre später mit dem Titel „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ aus einer Sammlung präsentiert wird.

Eigene Institutionen setzen Positionen durch

In den USA wurden dagegen in den 1980ern von Frauen starke Zentren gegründet und geleitet, von denen nur The Womens Building von der Künstlerinnengruppe The Waitresses in Los Angeles explizit feministisch ausgerichtet war, alle anderen jedoch zur Durchsetzung von alternativen Künsten gegründet worden waren: Dazu zählen die Zeitschrift High Performance (Claire V.C. Peeps, Linda Burnham) in Los Angeles; Franklin Furnace (Martha Wilson) und New Museum (Marcia Tucker) in New York City. Diese dienten der Durchsetzung von Performance- und Medienkunst und dienten damit auch dem Anliegen feministischen Kunstschaffens. Dagegen mussten die Protagonistinnen in Deutschland auf den Erfolg des „Marschs durch die Institutionen“ bis nach der Wende warten, als erste Professorinnen einflussreiche Positionen erringen konnten und die Performance-Forschung auch in Deutschland eine akademische Disziplin wurde. Eine Ausnahme stellt die 1981 von Elisabeth Jappe und Alf von Kries gegründete Moltkerei in Köln dar.

Parallel zu den wissenschaftspolitischen Entwicklungen ist es nicht ohne Spuren geblieben, dass Künstlerinnen auf der Suche nach Identität – und diese Frage wurde auch in dieser Diskussion gestellt – das Persönliche und Private thematisiert haben. Auch wenn diese Position weiterhin als un-künstlerisch kritisiert wird, so zeigt sich, dass das Private in der Kunst das Bewusstsein für den Wechsel zwischen den verschiedenen Rollen und Funktionen geschärft hat, die die meisten von uns im privaten, öffentlichen und beruflichen Leben nicht selten innerhalb eines Tages einnehmen. Diese erfordern mehr oder weniger wechselnde äußerliche und innerliche Dispositionen, denen durch Verhaltensweisen, Bekleidung, Haltung und Umgangsformen entsprochen wird. Insofern entstand durch diesbezügliche Recherche und Dokumentationen ein Bewusstsein für den nicht nur in einem Lebenszyklus sondern permanent sich verändernden Körper. Und diese seine performance und Darstellung ist ja wohl seit jeher ein Thema der Kunst. Kein Wunder also, dass Performa in New York City (organisiert von RoseLee Goldberg, on twitter: @performaNYC) sich dieses Jahr dem Thema Renaissance widmet.

Johannes Lothar Schröder

Ausstellung » Feministische Avantgarde der 1970er Jahre. Werke aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien« Kunsthalle Hamburg noch bis 31. Mai 2015

Das Banale bedeuten – To Admit the Banal

(for English version please scroll down)

Andrés Galeano: Indexical, Performance am 9.11.2013 anlässlich seiner Ausstellung UNKNOWN PHOTOGRAPHERS  im Grimmuseum, Fichtestraße 2, Berlin
Bis zum 14. Dezember 2013

I. Aufmerksamkeit wecken

Mit “Hello, Thanks for coming… This is Grimmuseum… I’m Andrés Galeano…“, begrüßte der Künstler die Besucher seiner Performance INDEXICAL. Dann bezeichnete er nacheinander mit dem Finger Gegenstände,  Personen oder Gebäudeteile und benannte sie: “this is a cable…he is Christopher…these are my glasses…here is electricity…this is a banana…he is a photographer…this is a wall…this is a scarf…this is a lamp…this is my smartphone…this is a performance…and these are images…“ Sodann schob er eine Auswahl von kleinformatigen Fotos in den Lichtkegel unter einer Videokamera, um sie zu projizieren.

A. Galeano: INDEXICAL, Grimmuseum, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst

A. Galeano: INDEXICAL, Grimmuseum, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst

Er schichtete Foto um Foto auf, und man sah nacheinander z.B. Freunde, Familien, Gruppen und Vereine bei Ausflügen und beim Feiern. Großeltern zeigten Kinder etwas und diese ahmten das Zeigen nach. Kinder verschiedenen Alters, Paare und Freunde wiesen auf etwas hin. Die Fotos hielten fest, dass sie dabei jeweils den anderen, die Kamera oder das Ziel ihres Zeigens anschauten. Da keine Bestätigung dafür vorliegt, muss dies eine Behauptung bleiben, und berechtigt den Verdacht, dass der Finger auf gar nichts Bestimmtes zeigt, sondern lediglich die Geste des Zeigens reproduziert wird. Selten wirkte das Zeigen gedankenverloren. Meist war es ein Versuch Aufmerksamkeit zu erhaschen und meist direkt an die fotografierende Person adressiert. Dabei ging es dem Fotografierten darum, aufzufallen und sich damit selbst in Szene zu setzen, um die Aufmerksamkeit des Fotografen zu erregen. Diese Erkenntnis mag auch Galeano dazu gebracht haben, während der Performance Christopher (Hewitt) an der Videokamera mit seinem Namen oder mich als Fotografierenden mit einer Berufsbezeichnung direkt anzusprechen.

II. Gesten des Weisens

Die Sprachwissenschaft unterscheidet Signifikat und Signifikant. Die Arbeit von Galeano führt uns außerdem vor, dass es neben dem Gegenstand und seinem phonetischen Äquivalent auch ein gestisches Äquivalent gibt. Der Performer setzte wie die Fotografierten nicht nur den Sprechakt ein, sondern das Weisen, was zugleich die Einbeziehung eines bezeichneten Dritten bedeutet und ein Akt der Selbstdarstellung ist. Es handelt sich mithin um eine performative Handlung, die durch die Person hinter der Kamera beantwortet wird, wobei mithilfe der Kameraeinstellungen, des Auslösers und der belichteten Fläche ein überprüfbares Ergebnis erzeugt wird.

A. Galeano: INDEXICAL -  Alberto Giacometti vor Manhattan

A. Galeano: INDEXICAL                                   –               Alberto Giacometti vor Manhattan

Das hatten auch ein Fotograf und Giacometti bemerkt, als sie gemeinsam auf einem Ozeandampfer Manhattan anliefen. Dort bot sich der Künstler als Weisender als Motiv an, und mit dem Auslösen des Verschlusses wurde er und der Fotografierende augenblicklich zu Komplizen. Was vor ca. 70 Jahren noch eine gelegentliche Handlung gewesen seien mochte, hat Galeano als einen durch die Verbreitung der Amateurfotografie massenhaft ausgelösten Akt hervorgehoben und somit der Erkenntnismöglichkeit übergeben. Seine Sammlung in Verbindung mit der Performance ermöglichte außerdem die Erweiterung des Begriffs der Performanz aus der Sprachwissenschaft hin zum gestisch mimischen Akt vor Augen. Dabei wählt er das Mittel der Verdoppelung, das in einer Performance auch als Parodie eingesetzt werden kann. Darin ist der Hinweis enthalten, dass die Geste des Zeigens, die in der Ikonographie den Heiligen, Propheten, Priestern, Königen und Feldherren vorbehalten war, durch die massenhafte Verbreitung der stummen Fotografie zu einem Massenphänomen der bildhaften Mitteilung geworden ist.
© Johannes Lothar Schröder

TO ADMIT THE BANAL

Andrés Galeano: Indexical, Performance Nov. 9th, 2013 during the opening of his show UNKNOWN PHOTOGRAPHERS at Grimmuseum, Fichtestraße 2, Berlin
until December 14th, 2013

I. Attracting attention

“Hello, Thanks for coming… This is Grimmuseum… I’m Andrés Galeano.“ This is how the artist addressed his audience, which had gathered at the Grimmuseum for his Performance INDEXICAL. Sequentially he named things, persons or parts of the space: “This is a cable…he is Christopher…these are my glasses…here is electricity…this is a banana…he is a photographer…this is a wall…this is a scarf…this is a lamp…this is my smartphone…this is a performance…and these are images…“ In the following he put a choice of his collection of photographic prints in the beam of light underneath a camera.

A. Galeano: INDEXING, Grimmuseum, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst

A. Galeano: INDEXING, Grimmuseum, Foto: johnicon, VG-Bild-Kunst

He piled print on print and among others you could see couples, families and groups on excursions, on holiday and while celebrating. No matter if parents, grandparents, brothers and sisters, friends, lovers, colleagues, every picture showed someone pointing at things and people. The photographic images captured them looking at the camera or at objects, which they were indicating. Only rarely did anybody make the impression of being lost in thought, whereas many of the indexing persons seemed to point just anywhere, as they wanted nothing else than to attract the attention of the person taking a picture. This probably made the performer initially naming Christopher (Hewitt) at the video camera or pointing out the photographer.

II. Gestures of indexing

Linguistic discourses distinguish signifier and signified only. However Galeano’s performance demonstrates that the personas who were chosen to be photographed neither used speech nor did they act professionally but they made the area in front of the camera a space to perform in. Whoever had been photographed responded to the dispositive of photography, which requires gestures instead of words. This probably already happened in the 1950s, when Giacometti and a photographer were approaching or leaving Manhattan on the deck of a steamer. The artist made a gesture which extended the width of his body by pointing at something or nothing and the person who photographed clicked the camera. This made them become accomplices. The gesture of saints, prophets, emperors and generals was adopted by the artist being photographed. It could be that being special 70 years ago, but now – as Galeano showed – it had spread out as a mass phenomenon as taking pictures became a way of universal communication over the decades.

Galeano’s collection of amateur prints in combination with his performance leads not only to an expansion of the linguistic understanding of performances, but can be transferred to  amateurish photography, as it shows that multiple gestural and mimetic acts are included in private photographic albums. Following the iconographic element Galeano choose duplication, which is also kind of a parody of the exclusiveness indexing once has had in art-history as a gesture of gods, saints, prophets, kings and missionaries, while it became a mass-phenomenon of the contemporary digital exhibitionism.

© Johannes Lothar Schröder

Parzelliert und gestickt

Annegret Soltau: Ich war total suchend. Erzählt von Baldur Greiner, Weststadt Verlag Darmstadt 2013, Hardcover, 116 Seiten, 19,80 €

Unverwandt blickt die Frau auf dem Cover ihre Leser an. Ihr Gesicht ist mit Linien überzogen, die sich wie ein Tattoo über Haut, Nase, Brauen, Haare und Hals ziehen. Allerdings weist die Parzellierung des Gesichts zweierlei Lineaturen auf. Wie der rückwärtige Buchdeckel zeigt, ist das Foto Annegret Soltaus mit einem verschnürten Gesicht außerdem mit einem Faden übernäht. Eine Arbeitsweise der Aktionskünstlerin gibt sich darin genauso zu erkennen wie die künstlerische Reflexion des Gefangenseins und – wie es der Buchtitel andeutet – die Suche nach einen Wegen.

Umschlag, Vorderseite

Umschlag, Vorderseite

Der Band bringt Schwarz-Weiß-Abbildungen weiterer Werke der Künstlerin seit 1974. Obwohl er kein Kunstbuch ist, stellt die sorgfältige Auswahl, die mit einschlägigen Passagen aus ihrer Biografie synchronisiert ist, ihrer künstlerischen Entwicklung mit ihrer Suche nach Verbindungen und Entfesselungen umfassend vor. Private Fotos zeigen darüber hinaus – durchaus exemplarisch – eine junge Frau der kargen Nachkriegsjahre voller Neuanfänge inmitten reaktionärer Bemühungen, die alten Verhältnisse zu rekonstruieren. Die von ihrem Mann, dem Bildhauer Baldur Greiner erzählten Episoden aus dem Leben der Künstlerin entdecken den Lesern Kindheit, Jugend und Entwicklung dieser Protagonistin feministischer Kunst in Deutschland.

 

Eine und zwei Nachkriegsbiografien

Zufällig erscheint das Buch zeitnah mit zwei anderen Biografien aus der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit: Als Filme kamen „Quellen des Lebens“ von Oskar Roehler  und „ Das Wochenende“ von Nina Grosse nach dem autobiographischen Roman „Herkunft“ von Roehler und „Das Wochenende“  nach dem gleichnamigen Roman von Bernhard Schlink kürzlich in die Kinos. Grosse zeigt in ihrem Film einen aus der Haft entlassenen Terroristen, der an seinem ersten Wochenende im Haus seiner Schwester auf ehemalige Genossen, seine Geliebte und deren gemeinsamen Sohn trifft. Der Film gipfelt in der Konfrontation mit seinem Sohn, der seinen Vater bisher nur einmal für 10 Minuten im Gefängnis gesehen hat.

Beide Werke erzählen die Geschichte von Männern aus einem bürgerlichen kunstaffinen Milieu. Dem gegenüber stehen die von Greiner in einer knappen Sprache geschilderten Lebensumstände seiner Frau, die abgeschnitten vom bürgerlichen Leben ihre Kindheit im zum Wohnen hergerichteten Stall eines kriegszerstörten großmütterlichen Bauernhauses in den Elbmarschen verbrachte. Ihren im Krieg verschollenen Vater hat sie nie kennengelernt. Von ihm existiert lediglich ein Foto, das ihn in Uniform auf einer Brücke aus Birkenstämmen zeigt. Dieses Foto diente der vergeblichen Suche der Tochter nach Spuren von ihm, während ihre Mutter diese folgenreiche Episode am liebsten aus ihrem Leben gestrichen hätte.

Hier zeigt sich eine Gewalt, deren künstlerische und sprachliche Aufbereitung für Soltau im Vergleich zu den beiden Bestsellern und Filmen mindestens 20 Jahre länger gedauert hat. Die Mittel der Kunst waren nicht auf das Schicksal dieser Künstlerin zugeschnitten, die mit Aktionskunst, Zeichnung und Foto-Vernähung ihre Möglichkeiten selbst erfinden und erforschen musste. Dieses meint der Titel:  “Ich war total suchend“ und das Buch zeichnet die Suche dieser Künstlerin jenseits der Ressourcen auf, aus denen die Autoren und Filmemacher bürgerlicher Herkunft selbstverständlich schöpfen können.

 

Leibfeindlichkeit und Zensur

Die Foto-Vernähung mit dem Titel „generativ“

http://www.photoscala.de/Artikel/Die-Kunst-des-Alterns&h=351&w=500&sz=39&tbnid=JLUZTYWKeCzBXM:&tbnh=90&tbnw=128&zoom=1&usg=__uc25yzmRgs9ILQ-NSvhmSXTcVno=&docid=_hkGEXFAxLNM-M&sa=X&ei=8xh5UbHII8mTtAag7oDQDQ&ved=0CEAQ9QEwAg&dur=2311

sollte als Teil ihres Bildessays „Altern und Gestaltwandel der Frau“ in dem von Farideh Akashe-Böhme 1995 herausgegebenen Band „Von der Auffälligkeit des Leibes“ erscheinen, hätte nicht Siegfried Unseld diesen Beitrag zensiert. (vgl.: Darmstädter Dokumente No. 2, Presse- und Informationsamt des Magistrats der Stadt Darmstadt, 1997)  Gegen die nackten Frauenkörper schlugen bei Unseld Ressentiment und Leibfeindlichkeit durch, gegen das ihn das Verlegen der Schriften von Bloch, Adorno, Habermas, Benjamin etc. nicht immunisiert hatten. Dieser Mann ließ vielmehr die Schranken zwischen den Geschlechtern, den Klassen und den verschiedenen Ästhetiken erneut absenken, weil ihm die Vernähungen von vier Frauenkörpern unterschiedlichen Alters (Urgroßmutter, Großmutter, Mutter und Tochter) zu ungeheuer waren, als dass er seinen persönlichen Abscheu durch Vernunft hätte überwinden können.

Annegret Soltaus Werk verkörpert das Potential einer Kunst, für das die Türen in einer von anderen gesellschaftlichen Erfahrungen bestimmten Kunstwelt nur widerstrebend und wenn dann zunächst nur einen Spalt breit geöffnet werden. Dieser jetzt vorliegende biografische Band lässt erkennen, dass die ästhetischen Differenzen um das Werk dieser Künstlerin nicht nur die feministische Seite ihrer Kunst betreffen, sondern auch gespaltene Lebenswelten eine Rolle spielen. Wie das Netz vor dem Gesicht der Künstlerin offenbart die Zensur Unselds exemplarisch die meist unsichtbaren aber gleichwohl folgenreichen Parzellierungen in Kunst und Gesellschaft. Entsprechend abgestuft fällt der Aufwand aus, mit dem die Institutionen ihre Protagonisten aus verschiedenen Klassen würdigen.

Umschlag, Rückseite

Umschlag, Rückseite