From Carrying to Caring

PAST & NOW – a retrospective of Tatsumi Orimoto

PAST & NOW is the title of the retrospective of Tatsumi Orimoto organized by the Onomichi City Museum of Art (Hiroshima) from August 4th to September 16th. It honors one of the most active performance artists of Japan who has been traveling and showing his work in four continents since 1982.

The curators of the show and authors of the catalogue Noritoshi Motoda and Shinji Umebajashi enrol Orimoto’s work in 6 chapters.

The earliest works consisted of metal-bracelets and -tags which Orimoto attached to arms and clipped to ears of people – single or groups – he photographed in Thailand, India, Sri Lanka, Australia and Japan.

Carrying

In the 1980s Orimoto attracted attention by carrying-events, in which he carried bread, carton-boxes, a chimney, a tire-tube and other things alone or with somebody in various ways. This type of performance is still going on until today, when he carries a rabbit, a duck or a baby-pig, which are part of his performances with animals.

Tatsumi Orimoto: Carrying a Baby Pig on my Back, Juni 13, 2012, Poster (c) ART-MAMA Foundation

Bread-Man, which made him famous worldwide, developed out of carrying bread. Without a container Orimoto attached a loaf of bread or a number of different types of bread onto his face or around his head. Covered by this strange type of mask he performed not only in museums, but also in hospitals, stations and even in trains and boats. In public places and streets he often gathered large groups of people who formed surreal processions.

ART-MAMA

His father’s death forced Orimoto to take care of his mother who suffered from depression and Alzheimer. From 1996 on he created and documented numerous performances and events including “Art-Mama” as well as neighbors and friends within the domestic situation. After participating in the 49th Venice Biennale in 2001 he took the chance to expand these events with public lunches and gatherings of up to 500 grandmothers (Convent of Sao Bento de Castris, Evora, Portugal) in international locations and museums from Brazil to Denmark.

Last but not least the exhibition presented hundreds of his watercolors and pencil-drawings, which he created alongside of his performances especially while planning art-events, traveling and having his beer in the evening.

Everybody who likes the work of Orimoto or looks for an opportunity to get in touch with it should not miss this catalogue. Thoughtfully chosen examples of his work and shoots from the exhibition give an excellent overview on his work.

The catalogue is available at the ONOMICHI CITY MUSEUM OF ART, 17-19 Nishitsuchido-Cho, Onomichi-shi, Hiroshima 722-0032, Japan; please call for details!  Tel: 0081 (0) 849-23-2281 Fax: 0081 (0) 849-20-1682

Neuer Existenzialismus als Folge der Expansion der Künste

Es ist keine Neuigkeit dass der Aufbruch in den Künsten seit den 1960 Jahren nicht nur Bühnenbildner in die Museen geholt hat, sondern auch die Spezialisierung von Autoren mit interdisziplinären Fertigkeiten nach Orten der Präsentation verlangt, die Theater nicht bieten können, hingegen werden in Off-Räume und Kunstinstitutionen, die sich diesen Feldern geöffnet haben, neue Erfahrungen für alle Beteiligten möglich. Die GAK in Bremen setzt sich mit solchen Positionen auseinander. Noch bis zum 25. Februar 2018 zeigt Than Hussein Clark „The Director’s Theatre Writer’s Theatre“ Umgekehrt haben bildende Künstler Video als ihr Medium definiert und auf das Wissen der Filmindustrie gesetzt sowie mit Theater experimentiert. Dadurch konnten sich eminent erfolgreiche Installationskünstler wie Bruce Nauman und Paul McCarthy entwickeln.

Horror der Existenz und Existenzbeweise

Ganz andere weniger Raum greifende und dennoch eindringliche Werke aus einer Privatsammlung präsentiert die Weserburg auf dem Teerhof gegenüber noch bis Ende März 2018 (verlängert!). Schon der Titel „Proof of Life“ lässt aufhorchen und erfüllt auch noch die geweckten Erwartungen. Die Ausstellung versammelt 76 Werke von Künstlern, die die Expansion der Künste gut beobachtet haben und ihre Konsequenzen als Maler, Bildhauer und Fotografen daraus gezogen haben. Sie vergegenwärtigen die Grenzsituationen, wie sie von Performer in ihren besten Zeiten erforscht worden sind, und fixieren sie. Es ist vielleicht vermessen, das so eindeutig zu behaupten, doch liegt die Stärke dieser Sammlung in der Ballung von Werken, die sich so wie sie gehängt sind noch gegenseitig steigern. Der existenzialistische Druck, in den uns die Ereignisse und Brüche der letzten 100 Jahre in Europa und den USA bei durchweg guten materiellen Bedingungen geführt haben, wird transportiert. Es scheint, dass der Überfluss erst die Fähigkeit und die Mittel erzeugt hat, derartige Forschungen zu betreiben und zugleich die Konzentration deutlich macht, mit der wir als Europäer bestimmte Phänomene immer wieder neu zu erfassen und zu interpretieren zu versuchen. Mit der Bibel haben wir uns den Turmbau zu Babel als Erzählung der menschlichen Hybris angeeignet, die die Menschen in den Abgrund reißt. Jake & Dinos Chapman haben mit Tower of Babbel ein Miniaturmodell mit Tausenden von sich lustvoll gegenseitig abschlachtenden Nazis gebaut, in dem sich Uniformierte, Behelmte und Verwundete mit Clownsfiguren vermischt, die den Totentanz anscheinend organisiert haben, den sie auf einem provisorischen Holzturm fortsetzen, von wo sie den Leichenhaufen kontinuierlich erhöhen. In dieser von einer Apokalypse gezeichneten Landschaft kann der Turm nicht einmal mehr ein Mahnmal sein. Keiner mehr wird es anschauen können …

Bilder, Objekte, Skulpturen, Installationen, Fotos und mehr in ähnlicher Qualität von folgenden Künstlern haben weitere Aspekte so zugespitzt, dass man die aktuellen Themen nicht unbedingt vermissen muss. Es sind:
Hilary Berseth, Louise Bourgeois, Berlinde de Bruyckere, Patrick van Caeckenbergh, Jake & Dinos Chapman, George Condo, Anton Corbijn, Thierry de Cordier, Danny Devos, Tracey Emin, Tom Friedman, Line Gulsett, Damien Hirst, Roni Horn, Thomas Houseago, John Isaacs, Sergej Jensen, Nadav Kander, Anne-Mie van Kerckhoven, Anselm Kiefer, Esther Kläs, Wolfe von Lenkiewicz, Alastair Mackie, Christian Marclay, Kate MccGwire, Richard Prince, Leopold Rabus, Daniel Richter, Terry Rodgers, Sterling Ruby, Richard Serra, Andres Serrano, Stephen Shanabrook, Mircea Suciu, Gavin Turk, Jonathan Wateridge.

Was bedeutet Theatralität?

Die Frage, warum und wodurch die Theatralik in der bildenden Kunst so bedeutend geworden ist, muss dann gar nicht mehr auf die GAK beschränkt bleiben. Ihre Leiterin Janneke de Vries hatte jedenfalls Jörn Schafaff aus Berlin eingeladen, um über dieses Thema zu referieren. Anhand der Praxis von Rirkit Tiravanija wurde deutlich, dass zumindest bei isoliert gezeigten Objekten und Situationen in Ausstellungsräumen ein Distanzierungseffekt auftritt, der die Einstellung des Publikums zu Nachstellungen privater Räume und Mitteilung intimer Erfahrungen verändert. Die erhöhte Aufmerksamkeit ermöglicht ein „erfahrungsbasiertes Verstehen“. Aus der theoretischen Diskussion ist die Kritik Michael Frieds mitzunehmen, die sich gegen die minimalistischen Objekte (Collum, 1961) und ihre Arrangements im Raum von Robert Morris richtete. Doch sind diese Objekte theatralisch? Morris versuchte sie ja durchaus durch Interventionen in Bewegung zu bringen oder gar umzuwerfen, was dazu führte, dass sowohl Allan Kaprow 1963 in „Push and Pull. A Furniture Commedy for Hans Hoffmann“ wie auch Chris Burden mit „Sculpture in Three Parts“ (10. bis 12. September 1974) darauf Bezug nahmen. Burden benutzte eine Säule als Platz für einen Stuhl, auf dem er so lange saß, bis er sich nicht mehr halten konnte und abstürzte, und Kaprow machte die Möbel durch Umrücken zu Akteuren, die zugleich auf Hoffmann als den Maler anspielten, von dem er als sein Assistent auch lernte, sich den Weg zum Happening zu bahnen. Beide Künstler distanzierten sich durch ihre Aktionen sowohl vom Minimalismus glatter und polierter Objekte wie auch von einem bis heute gepflegten akademischen Verständnis der Theatralität. Dadurch gelangten sie zu einer Darstellungsform, der nicht nur eine künstlerische Demonstration gelang, sondern diese auch in Richtung einer Stellungnahme zu erweitern, die geeignet ist sich in akademische Diskurse einzumischen. In den 1970ern wurden also nicht nur Bilder Worte (Bilder werden Worte hieß 1977 die Dissertation von W.M.Faust), sondern auch Installationen und Performances erwiesen sich als geeignet, auf Basis der aktuellen Diskurse aktionistisch Argumente vorzutragen.

Klingen in Hüllen

Die Ankündigung der „performativen Skulptur“ „in-visible“ von Florian Huber als 2. Akt des Stückes „Regeldrama“ ruft die KATASTASE auf, die im antiken griechischen Drama die Bewusstwerdung der Protagonisten bezeichnet, die aufbegehrend zur Erkenntnis kommen und sich schließlich handelnd wiederfinden. So begegnen sie dem Verlust des kindlichen Einvernehmens mit dem Leben, denn als Heranwachsende müssen sie sich nunmehr Tod und Gewalt stellen und erfahren Schmerzen.

Huber hat ein Bild dafür gefunden, das er als Installation mit 30 Meter S-Draht aufgebaut hat. Seine Aktion verändert diesen mit messerscharfen Klingen bewehrten spiralig ausziehbaren Draht mit Schafsdarm. Geduldig schiebt er Meter um Meter des für die Wurstherstellung gereinigten Dünndarms zunächst auf ein Stück Schlauch, mit dessen Hilfe er das zarte aber unglaublich feste Gewebe schließlich um den klingenbewehrten Draht zieht.

Florian Huber, KATASTASE (performative Skulptur), 2025 Kunst und Kultur e.V., Hamburg, Foto: johnicon @VG Bild-Kunst

Martialische Sperren

Durch die Aktion wird der Draht umhüllt und seine Gefährlichkeit zumindest symbolisch reduziert. Das ist der Befund, doch hat das Stück heute weitgehende Implikationen, weil es in einem Europa spielt, in dem die einige Jahrzehnte offenen Grenzen im vermehrten Maß wieder geschlossen werden. Wer an den messerscharfen Klingen hängen bleibt, riskiert beim Versuch, solche martialischen Absperrung zu überwinden, sich im federnden Draht immer stärker zu verheddern und schließlich zu verbluten.

Der Logik des Stückes und der Technologie des Drahts folgend umhüllt der Darm die scharfen Zacken real und dämpft zumindest symbolisch ihre Schärfe. Doch lässt sich im Draht, der mit dem transparenten tierischen Gewebe symbolisch-wahnwitzig gebändig wird, im Hinblick auf die Menschen und Gemeinwesen, die sich dahinter verschanzen, auch eine weitere Aussage lesen. Es zeigt sich das Selbstbild derjenigen, die sich einzäunen. Die Einheger, die sich von Schmerz, ja sogar von Unbequemlichkeit, befreien wollen, vermeiden es offensichtlich, sich der Katastase zu stellen und versuchen so das eigene Erwachsenwerden zu umgehen. Daher muss denen, die sich hinter Drahtverhauen verschanzen, eine narzisstische Störung unterstellt werden. Sie wollen ihrer kindlichen Bruchlosigkeit nicht entwachsen und versuchen diejenigen aufzuhalten, die erwachsen genug sind, um zu handeln. Diese versuchen unerträglichen Verhältnissen zu entkommen und werfen sich wie die jungen Helden des antiken Dramas in die Welt. Auf ihrer Flucht haben sie schon bewiesen, dass sie mit solchen Hindernissen fertig werden können, was natürlich die Furcht derer, die sich in ihrer EXPOSITION (1. Akt von „Regeldrama“) einigeln, noch erhöht.

Zeitdimension der Aktion

Das Besondere des Stücks ist die Dauer der Handlung, die sich in ihrer handwerklichen Einfachheit dem Zuschauenden schon nach einem Durchgang erschlossen hat. Dennoch blieben die meisten Anwesenden, allein um dem Künstler beizustehen oder um den Fortgang der Aktion zu gewährleisten. Eine stille Anfeuerung vielleicht für eine Fortsetzung

Florian Huber, KATASTASE (performative Skulptur), 2025 Kunst und Kultur e.V., Hamburg, Foto: johnicon @VG Bild-Kunst

des Tuns, das man langweilig nennen könnte, wenn es nicht eine Aufgabe enthalten hätte, wie z.B. über das Gesehene nachzudenken. Dabei ist die Zeit nicht unerheblich, die uns im Alltag offensichtlich so oft fehlt und der man auch im Theater kaum begegnet, wo es immer Schlag auf Schlag gehen muss. Hier wird eben die Symbolik, von der man meint, dass sie eine Kurzform ist, zu einer Langform: Die Durchführung des Symbols – also des Drahts durch den Darm – erwies sich als ausgesprochen langwierig und veränderte so auch den Symbolbegriff hin zum Erkenntnisakt, der wiederum in der Vorstellung einer konkreten leiblichen Handlung einen äußerst scharfen Schmerz evozieren könnte.

Trotz allem leben wir heute nicht mehr in der Antike und wollen das Schauspiel der Folter nicht geboten bekommen, weshalb Künstler Möglichkeiten wie diese Performance ersinnen. Sie arbeiten daran, wenn auch symbolisch, den Schmerz zu bezwingen. Doch ist das nur ein weiterer Hinweis darauf, dass er uns in welcher Weise auch immer, weiter quält.

Die Aktion fand statt am 13. 10. 2017 im 2025 Kunst und Kultur e.V. Ruhrstrasse 88  (Im Hinterhof, gr. zweispurige Toreinfahrt, bis zum Ende durchgehen), 22761 Hamburg.      Dort wird am 20.10. von 20-23 h Retardation, der 3. Teil des Stückes „Regeldrama“ (in 4 Teilen) gezeigt.