Und dann kommt das WIE

… it’s just a click away

Dank an Presseabteilung des Städels in Frankfurt, die mich vor ein paar Monaten darauf aufmerksam machte, dass das Museum nun Teil des Google Art Projekts ist. Beim Durchklicken der Kunstwerke dort und in zahlreichen weiteren Museen der Welt und der auszugsweisen Sichtung all der fabelhaften bekannten und unbekannten Werke blieb ich beim Turmbau zu Babel von Peter Breughel dem Älteren von 1563 im Kunsthistorischen Museum in Wien hängen. Mir stockte der Atem beim Wiedersehen mit diesem Bilde unter diesen Bedingungen. Der Detailreichtum war mit den Möglichkeiten des Zoomens fast besser zu erforschen als es mir bei meinen Reisen nach Wien je gelungen wäre. Ich wanderte also in die Details der sich auftürmenden Oberflächen dieses urbanen Kosmos aus dem 16. Jhd. und seines utopischen Gebäudes, das Himmel, Erde und die Gewässer miteinander verbindet. Daran Gerüste sowie ganze Häuser, die an dem Turm kleben, als wäre er ein Berg, an dem auch Menschen wie Ameisen hingen. Tatsachlich sind Teile auch der oberen Stockwerke noch aus dem gewachsenen Fels gehauen, der wie eine alpine Zinne einen erdgeschichtlichen Kern des Gebäudes bildet.

 Google-Tower of Babel-Google

Dieses Bild ist ein Sinnbild im elektronischen Turmbau unserer Zeit, das aus den Anstrengungen von unzähligen Menschen zusammengesetzt ist, die sich die Geschichte und die vielen Speicher dieser Geschichte aneigneten, die nun auf den Bildschirmen der Welt verfügbar gemacht werden und sich aus den Daten auf Millionen von Bildschirmen zusammenfügen. Im Moment des ersten Anschauens hat diese Verfügbarkeit schon etwas mit mir gemacht. Die kiloweisen Kunstbände und die wochenlangen Reisen zu diesen Werken stehen mit einem Mal in einer anderen Relation. Ob sie aber zur Disposition stehen, glaube ich nicht. Für mich werden sie sich nicht erübrigen, was man im ersten Augenblick annehmen könnte. Anders wird es für die Generation sein, die mit diesen heutigen Möglichkeiten aufwächst. Für mich gehören das Physische und die Reisen zu den Museen dazu. Für mich bilden sie sogar die Voraussetzung dafür, dass ich dieses Bild identifizieren kann, und sie haben meine Möglichkeiten geprägt und bereichert, sie bildeten das WIE, mit dessen Anleitung ich nun durch diesen anklickbar gemachten Datendschungel wandere. Die vielen anderen Bilder von Breughels Zeitgenossen, die ich in den letzten Jahrzehnten sah, sind Teil meiner Betrachtung; denn das Google Art Projekt folgt ja auf Google Earth, weil die Oberflächen der Kunstwerke hier eine Tiefendimension haben, die als die kulturelle Leistung von Menschen alle terrestrischen Oberflächen enthält, so wie es Google mit „Earth“ anstrebte. Weil die Künstler in die Tiefe der Prozesse gegangen sind, haben sie uns als Menschheit überhaupt erst in die Lage versetzt, elektronische Datenverarbeitungsmaschinen und -systeme zu ersinnen und zu betreiben. Breughels Werk ist wohl eines, das der Komplexität der Organisiertheit von Kultur und kulturellen Netzwerken, wie dem einer Großbaustelle, sehr nahe kommt. Die „Bauherren“ von Flughafen und Konzertgebäuden, denen heute ihre Vorhaben aus dem Ruder laufen, wären gut beraten gewesen, vor Beginn der Arbeiten mal einmal einen Blick auf das Bild von Breughel zu werfen.

Die Möglichkeiten das nachzuholen sind nur ein paar Klicks entfernt. Doch dann kommt das WIE.

Übertragung von Subjektivität

Dieser unveröffentlichte Artikel ist 2008 anlässlich einer Podiumsdiskussion “The Dilemma of Collecting Art in Times of Dematerialization”  entstanden. Heute steht er als Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Jan Hoet und ist als Beitrag zum Thema: Sammeln von Performance Art nach wie vor aktuell.

Auf Einladung von Die Neue Aktionsgalerie (DNA) diskutierten am 2. Nov. 2008 im Goethe-Institut in Berlin David Elliott, Mark Gisbourne, Jan Hoet, Fumio Nanjo, Berta Sichel und Mark Waugh.

Hoets Zusammenarbeit mit Marina Abramović ist so legendär wie „Biography“, eine Revue, die anlässlich der von Hoet 1992 ausgerichteten documenta IX aufgeführt wurde und ihre eigenen und die mit ULAY realisierten Performances zusammenfasste. Hoet, der scheidende Direktor des MARTa in Herford, musste gar nicht auf dieses Re-enactment verweisen, das schon eine mögliche Antwort auf die mit dem Thema des Podiums gestellte Frage implizite. Doch was bleibt außer Legenden? Elliott und Waugh bestätigten die Besonderheiten der kuratorischen Praxis mit Performances und ihren Relikten, mit Life-acts und Medien. Während Elliott Ausstellungen und nicht Archive eine Herzensangelegenheit sind, blickte Waugh auf eine erfolgreiche Arbeit Britischer Institutionen zurück, die mit einem hohen Einsatz von Forschungsgeldern und Personal umfangreiche Sammlungen und elektronische Archive für Tanz, Theater, Oper und Performances angelegt und die Zugriffsmöglichkeiten auf den neuesten technischen Stand gebracht haben. Die mediale Vermittlung von Zeitkünsten ist für die Videokuratorin Berta Sichel eine permanente Herausforderung. Als Leiterin der Abteilung für audiovisuelle Kunst und Film am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid ist sie auch für die Konservierung und Präsentation von Medien zuständig, für die ständig Mittel eingeworben werden müssen. Sie verwies auf die Meilensteine: Fluxuskünstler, die seit 1963 TV-Apparate aus ihrer Funktion Fernsehprogramme sichtbar zu machen, befreit haben, und die Künstlerinnen, denen es in den 1970er Jahren gelang, ein neues Medium einzusetzen und Autofeedback (close circuit) zur Selbstdarstellung zu nutzen. Sichel weis genau, dass sich Audio- und Videoaufzeichnungen in Zeiten der Digitalisierung zwar unbeschränkt verbreiten lassen, doch das mangelhafte Wissens um die Geschichte und Andersartigkeit der zeitbasierten Künste bleibt ihrer Auffassung nach weiterhin ein Hindernis, das ihrer Verbreitung im Wege steht. Deshalb setzt sie auf Vermittlung, die neben der Organisation von Begleitprogrammen mit Vorträgen und Symposien auch scheinbar banale Dienstleistungen wie die Untertitelung fremdsprachiger Videos umfasst.

Ein großes Paradox bleibt die Tatsache, dass oft nur einmal aufgeführte Performances durch Medien zwar potentiell massenhaft verfügbar sind, aber im Kunstbetrieb weiterhin ein Nischendasein fristen. Oft sind nur wenige oder keine Kopien der Mitschnitte von Performances verfügbar, weshalb die Speichermedien bearbeitet werden müssen. Aus der Sicht von Galerien rechtfertigen die Kosten für Restaurierung und Digitalisierung der magnet- oder filmbasierten Medien die heute verlangten hohen Preise für die Aufzeichnungen von Performances auf dem Kunstmarkt. Schließlich werden nicht nur hohe Qualität, Datensicherheit und das exklusive Recht für öffentliche Aufführungen erworben, sondern auch Prestige und Aufmerksamkeit für Werke ephemerer Kunst sichergestellt. Zu diesem Punkt hätte man gerne auch die Meinung von Galeristen und Sammlern gehört.

Ohne die berechtigten kommerziellen und institutionellen Interessen zu bestreiten, trat Fumio Nanjo als Direktor des Mori Museums in Tokio für eine ungeschminkte Sicht auf das Ephemere ein; denn er ist sicher, dass Alles, was wir tun, verschwinden wird. In diesem Bewusstsein sieht er auch Performances, die nur in wenigen Aspekten ihrer Vielschichtigkeit dauerhaft zu konservieren sind. Die mentalen und pychophysischen Aspekte von Aktionen lassen sich kaum audio-visuell aufzeichnen, werden aber mit Gesten, Verhaltensweisen und mit jeder Performance wieder aktualisiert. Dieses bemerkenswerte Statement kam von einem Museumsmann und erinnerte en passant an die Wurzeln einer in den 1950er und 60er Jahren von der asiatischen Kultur inspirierten Haltung vieler Aktions- und Fluxuskünstler.

Kollektiv verinnerlichtes Wissen

Im radikal Ephemeren nähern sich Performances der Sichtweise des Theaters, auf die der versierte Kritiker und Diskussionsleiter dieser Runde Mark Gisbourne aus der Shakespearestadt Stratford aufmerksam machte. Legendäre Schauspieler zehrten nämlich oft ihr ganzes Leben von dem Ruf, den sie mit einer überragenden Aufführung erworben hätten, wobei sich ihr Ruhm ausschließlich durch Hörensagen, also immateriell, verbreite. Gisbourne erinnerte deshalb auch an Gustav Metzger, den in England lebenden Initiator des Destruction in Art Symposions (DIAS) 1966. Seine Malaktionen mit Säure auf die davon zerstörten Vinylfolien trugen maßgeblich dazu bei, die Grundlagen der westlichen Kunst, die im Zeigen und Bewahren der materiellen Substanz liegt, in Frage zu stellen.

Ein wenig kühn mutete es schon an, als Hoet bekundete, dass sich das Problem des Immateriellen für ihn erst vor 20 Jahren gestellt hätte, als ihn eine musikalische Performance trotz der Grobkörnigkeit eines Videomitschnitts nachhaltig angerührt habe. Man muss ihm verzeihen, dass er damit Yves Klein überging, der 1959 – 1962 je 20 Gramm Feingold, als Wechsel für „eine Zone immaterieller bildnerischer Empfindsamkeit“ (transfer for a zone of immaterial pictorial sensitivity) ausgab. Die Diskrepanz zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen wird noch viele Debatten zu diesem Thema antreiben, denn die Frage nach der Übertragung von Subjektivität muss interdisziplinär gestellt werden. Die zukünftige Forschung müsste sich durch zahlreiche Geschichten der Aktionskunst mit unzähligen Facetten arbeiten; denn auf keinem anderen Gebiet der Kunst gibt es so viele individuelle Zugänge. Um das zu kompensieren schweiften auch die Teilnehmer dieser Runde immer wieder in eine Metadebatte über Medien ab. Ob aber ein Medieninhalt tatsächlich unhinterfragbar bleibt, so dass die Subjektivität der letzte Schluss ist, ist so fragwürdig wie das Persönliche. Hoet sprach konsequenterweise das kollektive Wissen und die dadurch verinnerlichte Erwartung an Kunstwerke an, die etwa beim Betrachten eines Bilds von Cézanne immer auch das Bewusstsein und die Wertschätzung seines Gesamtwerks mitschwingen lässt.

Übertragene Aufführungsrechte und Ethos des Ephemeren

Als wesentlichen Impuls wertete man den Ankauf der Aufführungsrechte einer Performance von Tino Sehgal durch das Museum Ludwig in Köln, der als Präzedenzfall hinsichtlich der Handelbarkeit eines konzeptuell angelegten ephemeren Werks begrüßt wurde. Eine Galerie als Agentur für Aufführungsrechte stellt Performances auf eine Ebene mit Film, Musik und Theater, so dass dann ein Sammler die Rolle eines Produzenten oder Auftraggebers einnehmen kann. Sympathisch an dieser Lösung, die auch für Künstler und Galeristen als Konvention der Kommerzialisierbarkeit von Performances annehmbar erscheint, ist der Ausweg aus der Materialisierung. Doch bleiben Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Ethos vieler Performer. Fumio Nanjo, der an die Asche auf der Haut, als rituell wirksames Relikt des Totenkultes im Butho erinnerte, wusste als Schüler des Meisters Kazuo Ohno, dass diese Re-materialisierung des Gedenkens nur im Augenblick der Aktion oder des Rituals erträglich und schicklich ist; denn die Teilnahme am Ritual erneuert eine Erinnerung. Wie aber, so müssen wir hier nachhaken, kommen wir dann mit der metaphysischen Herausforderung zurecht, die daraus erwächst, dass die Erscheinung des Gewesenen und damit der Toten durch Medien jederzeit verfügbar gehalten wird? Hier berühren sich die mit den Medien verbundenen Ansätze zur Vermittlung ephemerer Kunst mit ethischen und kulturellen Fragestellungen, die in Zukunft auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen.

Johannes Lothar Schröder

 

Chris Burdens Arm, Köln 1992, Foto: johnicon, Courtesy: NONNOMPRESS, Kiel; VG-Bild-Kunst 2014

Chris Burdens Arm, Köln 1992, Foto: johnicon, Courtesy: NONNOMPRESS, Kiel; VG-Bild-Kunst 2014

 

 

Reflecting the unvisible

(scroll down for german version)

Curtains are closed behind locked doors and windows of the houses, which Yoshiaki Kaihatsu photographed in 2012. The empty houses of Iidate do not really look like those in ghost-towns, as they are in good shape. However you cannot tell, what has driven the inhabitants out of their houses. You have to read the plates, which inform you about the breakdown of the atomic reactors in Fukushima, and Iidate is located in the decontaminated zone. The inhabitants had to leave their houses although the latter were in a proper condition. The citizens had no idea when they would get a permission to return home or could ever return at all. No reason is visible why nobody should live there. The whole situation seems eerie.

In contrast to this the series of photographs, which Kaihatsu took in Kesennuma City, show destroyed storefronts, and you can see that there was violent force at work, which made the people homeless. For a photographer the two types of destruction are quite precarious, as it takes into question the quality of visibility, which he refers to. Many contemporary crises, which the title of his exhibition “Naturkatastrophe Atomenergie Disput Terrorismus (Natural disasters, Nuclear energy, Dispute, Terrorism)” refers to, are like this.

Y. Kaihatsu: Iidate, Fukushima, 2012, courtesy of Mikiko Sato Gal.

Y. Kaihatsu: Iidate, Fukushima, 2012, courtesy of Mikiko Sato Gal.

Invisibility and Aesthetics

It is the crisis of the visible, which affects Kaihatsu as a specialist of visual arts. While his problem is academic the inhabitants of the contaminated parts of the province of Fukushima who have to live in camps, baseball-halls etc. without knowing whether they will be ever allowed to return to their houses are doubly traumatized by the disaster and by the uncertainness of living under provisional conditions. This motivated Kaihatsu to interview these people who cannot understand why they have to stay away from home, while the government pretends that the radiation is under control. There are a lot of areas, where helpers collected the soil in plastic-sacks displayed on the ground as far as your eyes can see. So they did something, which is visible, which signals that action has been taken. For most of the people it is not so clear that this is only provisional, just like the storage of the radioactive water in containers that are already rusty after 3 years, while they should be able to keep the water for centuries or millennia. The public work-force is waiting for new instructions.

Meanwhile Kaihatsu has been busy and has built a simple cabin, which is as wide as four tatami-mats. A wooden plate informs that this is a „house for politicians“. Until now he has invited 750 of them to spend some time in the hut, which is located right in the contaminated zone of Fukushima. Kaihatsu is sure, that a stay in the decontaminated zone will inspire politicians to find lasting solutions to solve the problem, which was not caused by the tsunami but by humans who assumed that atomic energy would be safe. Convinced of being able to control nuclear energy the Japanese Government has decided to continue using nuclear power stations.

Learning from Concept-Art

Kaihatsu is an artist, but why does he take over the initiative to build a log cabin?

This probably is a question of the achievements of modernism, which paradoxically can lead into chaos by using methods of rationality. The risks of our time are made by humans and have produced results which often exceed the destruction caused by natural disasters. During the last two decades culture has faced not only uncontrolled escalations of financial markets, nuclear energy and terror, but additionally we see climate change and possible totalitarianism developing from the global net, misused by governments, criminals and companies.

Kaihatsu’s use of photography by goes back to the pioneering work of Ed Rusha, who in 1965 pictured all buildings of the sunset Strip in Los Angeles, which he displayed in the form of a leporello.

http://www.medienkunstnetz.de/werke/sunset-strip/

The fixing of the status quo became also a sample of pictures which make evident, that the status quo is only temporary, as the quick change of things like buildings, fashion and cars in streets is under way.

The possibilities of conceptual photography have changed the way to prove something, what is visible. Traditionally the buildings of a street were checked by architectural maps and the land register, while today the visual media records information and later serve to realize the change. Paradoxically the use of the visual provides less and less information, as it is limited to optical phenomena, while advanced technology and the use of information become increasingly dependent on the use of  forces of the micro- and macrocosm, which are not visible at all.

Y. Kaihatsu: The House of Politicians, courtesy of Mikiko Sato Gal.

Y. Kaihatsu: The House of Politicians, courtesy of Mikiko Sato Gal.

That’s why existing habits of looking at things make it impossible to judge on the debris of atomic energy plants in Tschernobyl, Fukushima and other places. We are senseless for these hazards. Hidden beyond the capability of senses it is easy to forget the debris and chaos of modern culture. Are visual artists helpless though or are they able to widen their horizons and cope with the problems which civilization causes?  Kaihatsu’s idea to invite politicians to come and meditate in his small cabin is a step. But apart from politicians there are immense numbers of people who have to reflect the invisible, and should be invited for meditation to sharpen their minds to face and reflect upon contemporary conditions.

Johannes Lothar Schröder

Exhibition:  „Naturkatastrophe Atomenergie Disput Terrorismus“ in der Galerie Mikiko Sato, Klosterwall 13, 20095 Hamburg, until April 19th, 2014

www.mikikosatogallery.com