55 Jahre FLUXUS – und der Umgang mit Gewalt

Faksimilierte Seite des Artikels von Emmett Williams aus „The Stars and Stripes“ vom 30. Aug. 1962, S. 11. Es gilt als das erste Dokument über Fluxus in Deutschland. Mit einer kurzen Einleitung (S.81) ist es im Katalog 1962 Wiesbaden FLUXUS 1982, Katalog Wiesbaden, Kassel, Berlin 1982, auf S. 80 abgebildet.

Vor 55 Jahren erschien der erste Text über FLUXUS von Emmett Williams in STARS AND STRIPES, einer Zeitschrift für US-Militärangehörige in Europa erschienen ist. Mit einem Text über Neue Musik und Happenings mit dem Titel „WAY WAY WAY Out“ warb er für das Festival: Fluxus * Festspiele Neuester Musik im Hörsaal des Städtischen Museums in Wiesbaden (ab 1. September 1962). Der Text ist leicht und humorvoll mit Passagen aus einem „satirisch-fiktiven Interview“ aufgelockert. Auf die Bedenken seines Gesprächspartners Ben Patterson, das Publikum könnte faule Tomaten beisteuern, gibt Williams zurück, dass es ihn nicht überraschen würde, wenn stattdessen die Performer Tomaten ins Publikum werfen würden.

Neben dieser Ankündigung von Konzerten der verrücktesten Neuesten Musik hätten unbefangene Leser der Tageszeitung für die amerikanischen Streitkräfte in Europa die Szenen von Gewalt auf den den Text begleitenden Fotos bemerken konnen. Auf der Abbildung oben links zerschlägt ein Mann – es ist Nam June Paik – eine Violine auf einem Tisch und auf dem Foto links unten hängt eine Frau kopfüber. Das wirkt brutal und kann durchaus an Folterszenen erinnern, denn keine 20 Jahre zuvor war der italienische Diktator Mussolini von einer aufgebrachten Menge kopfüber an einem Laternenpfahl aufgehängt worden. Nicht zu reden von den Spuren der Gräuel, die die Soldaten der Alliierten in Europa, China und Korea zu Gesicht bekamen.

Papier und Fett im Werk von Thomas Demand und Joseph Beuys

Wenn Thomas Demand vom Werk Joseph Beuys‘ nur den Song „Sonne statt Reagan“ als politisch relevant gelten lassen will und die Objekte und Installationen als irrelevant empfindet, spricht er seinem eigenen Werk die Wirkung ab, die schon durch die Entscheidung für ein in der Plastik ungebräuchliches Material ausgelöst wird.

Das ist eine Gemeinsamkeit und die andere liegt eher darin begründet, dass sich beide Künstler die Ränder und Extreme der Kunstgattung ausgesucht haben, um Wirkungen zu erzielen, bzw. sich der gattungsspezifischen Zuordnung und damit der theoretischen Ab-/Qualifikation zu entziehen.

Papier und Fett sind zwei Materialien, deren Vermischung gewöhnlich als ekelhaft empfunden wird. Und Fett durchdringt Papier, weshalb es manche schon als Schüler in Form der Pausenbrottüte als penetrant empfunden haben. So ist sie wohl auch wegen dieser Eigenschaft in Misskredit geraten. Bestenfalls wird noch das Wachspapier akzeptiert. Obwohl das bei Zimmertemperatur feste Wachs zum Imprägnieren von Papier noch akzeptiert wird, ist Fett, das beim Anfassen des fettgetränkten Papiers auf die Haut übergeht verpönt. Darin liegt seine subversive Qualität, die im Sinne der Überlegungen zum „Abject“, die Julia Kristiva ausgeführt hat, zur Überwindung des Ekels und mithin zu einem emanzipativen Akt führen kann.[1]

Im Hinblick auf die Kunstgattung der Plastik ist Papier sperrig und Fett zwar gut formbar, doch meist zu weich und chemisch an der Oberfläche reaktionsfähig, so dass es zur Bildung stark riechender Fettsäuren kommt. Diese Eigenschaften führen dazu, dass beide Materialien in ihrer Verschiedenheit auf ihre Weise als grenzwertig zu bezeichnen sind. Das hat künstlerische Konsequenzen darin, dass Demand gerade und rechtwinkelige Formen bevorzugt, während Beuys – und hier greife ich einmal den Ansatz der Anthroposophie auf – sich dem rechten Winkel verweigert. Die Ecken beim Fett sind sehr kurzlebig, weil sie leicht abbrechen oder abschmelzen. Und gerade dies hat Beuys interessiert, denn er hat die Ecken des Raums mit Fett getilgt, wodurch der Raum einer Kugel angenähert wird. Das wurde bisher übersehen, weil sich die Lesart vom Begriff „Fettecke“ leiten ließ und Beuys mit seinen Äußerungen über das Kristalline auch noch eine falsche Fährte ausgelegt hatte.

Demand geht ganz anderen konstruktiven Problemen nach, denn er muss Kleben und Fixieren, die Farben der Räume berücksichtigen, die er rekonstruierend konstruiert. Die Raumverhältnisse müssen so gestaltet werden, dass sie in der Fotografie dem Raumempfinden entsprechend rüberkommen. Dann erscheinen sie wie die Innenarchitektur, die dargestellt werden soll. Demand schafft, um nachzuschaffen, während Beuys durch originäres Schaffen einen imaginären Raum herstellt. Das Werk beider Künstler erfordert eine aktive geistige Tätigkeit, um den durch die Materialien geschaffenen Raum und die diesen konstituierenden  Raumvorstellungen zu begreifen.

Beide Künstler gehen an die Extreme des Raums. Der eine untersucht die Hüllen und geht an die Raumbegrenzungen und der andere geht an die Masse, die den Raum füllt. Dabei muss man bedenken, dass auch die massiven Talgmassen durch Oxydation in Wasserdampf und Kohlendioxyd verwandelt werden können, bis sie für das menschliche Auge unsichtbar geworden sind.

Nicht unerheblich ist die Tatsache, dass beide Materialien, also Papiere wie auch Fette spezifische Gerüche abgeben. Das liegt am Prozess ihrer Gewinnung aber auch an den chemischen Eigenschaften. Papier besteht aus Zellstoff, der mit Wasser und Bleichstoffen aus Pflanzenfasern gewonnen wird, während Fett aus Tieren oder Pflanzen herausgeschmolzen wird. Es handelt sich um reine Produkte, die durch Raffinierung in mehr oder weniger großen Reinheitsgraden aus Lebewesen hergestellt werden. Auch dadurch unterscheiden sie sich von Kunststoffen, Metallen, Gips und Mörtel, die mineralischen Ursprungs und charakteristisch für die Materialien der Plastik sind. Tendenziell sind Papier und Fett nicht sehr beständig. Demand beugt dem durch die fotografische Umsetzung vor, die das vorzeigbare Werk darstellt, und Beuys durch Masse, die sich einer schnellen Auflösung widersetzt.

Das zumindest sind in aller Kürze formuliert die Grundlagen der Distanzierung von der klassischen Kunstgattung der Plastik, die wiederum eine Grundlage für eine Untersuchung der politischen Wirkung beider Künstler sein könnte.

©Johannes Lothar Schröder

Dieser Text entstand nach meinem Einwurf gegen Thomas Demand, der Beuys‘ plastischem Werk die politische Relevanz absprach, nach einer Podiumsdiskussion „Kunst und/oder Politik“ am 12. Juli 2017 in der HfbK, Hamburg. www.hfbk-hamburg.de/250

[1] Vgl. dazu: Johannes Lothar Schröder: Vorsicht bei Fett, Hamburg und Berlin 2016, S. 115-150, Kristeva 130-2

Under the Surface of Intellectuals (on PSi #23, Part 3 of 3)

Keynotes of leading intellectuals like Vandana Shiva, Tim Etchells, Carolin Emcke, Didier Eribon and Avital Ronell opened the Performance Studies international conference #23 to a general audience of Kampnagel and of Theater der Welt hosted also in Hamburg this year.

a)     Things Disappear or do not Fit Anymore

Tim Etchells read from manuscripts of his new book. Among the flow of observation in streets I enjoyed his reflections on 35 years of Forced Entertainment in which he discovered flow as well as containment. The latter word nicely contrasted to entertainment. I cherished that he mentioned the reuse of props, equipment and tools which were kept from previous performances. But unexpectedly all these items in case they are still available would not represent an overflow or material reserve. In contrary Etchell said, that every piece being reused would require a restart as well as a new piece and every performance of the repertoire in a new space.

b)     Between Shame and Hate

Emcke and Eribon described escape as trouble which was initiated by their decision to leave their familiar background to become intellectuals. Both put it in relation to shame, which they suffered also because of their sexual orientation. While Eribon referred to the social class background of his family and childhood-milieu, Emcke said that the communication of her decision to become an intellectual to her “upper-middle-class” family was more shameful, while being gay reward her with pleasures, compensating for that shame. In contrast to this Eribon felt that the repression his working-class family enforced on him because of his sexual orientation deeply hurt his feelings, while his intellectual career helped him to seek distance. Thus it became an act of emancipation, although he could never fully separate the private and public spheres. According to Eribon the refusal of society to accept and discuss the term social class anymore would not help to understand the problem. He said that the workers of his hometown Reims had lost their pride, when steel- and car-companies closed down their plants.

Unfortunately the podium did not approach what the title of the podium “Beyond the New Hate” announced. In this context it is important to understand that not only did coal and steel based industries create the fundaments of the wealth of Europe but steel workers and miners also formed a political nucleus of the European Union. It was established to coordinate the European Steel- and Carbon-industries internationally. The mining industries also were the foundations for the car- and machine-industries and have established European worker-participation. So it is no wonder that the steel and coal-crises, which escalated in the 1980s, became a crisis of Europe and separated the worker-elite from the political union of Europe.

Avital Ronell dancing when audience entered the space. Photographed by johnicon

c)      Avital Ronell on “twitterature and shitterature”

The crisis of the mining-industry was also a major issue in Donald Trump’s campaign. He took advantage of it addressing voters from the “rust-belt”, however without concepts in a heated world. This is no excuse for “mistweating” and “buffoonery”, which was addressed by Avital Ronell on Sunday-morning, when her lecture “Mistweated: On Civic Grievance” rivaled the sermon of churchgoers, as she puts it with Karl Kraus. Referring to an aggressive and sadistic behavior of the Potus, who is also known as a man being proud of “grabbing” women “by” instead of at the pussy. That provoked to ask for the nature of the object that is grabbed “by”? Is it the reel of the gangway of the big airplanes Trump fiercely holds, when descending. Trump fears descending and strangely feels also menaced by his German origin in third generation and pretends to have ancestry in Sweden instead. This should have helped him to avoid bad manners, encouraging bad behavior in political culture. (Theatre can educate about the tragic rise of protagonists such as Aturo Ui in: “The Resistible Rise of Arturo Ui” by Bert Brecht; added by the author) Ronell said that she felt attracted by the banner in front of the Kampnagel-doors welcoming refugees. Those who lost their homes and existence have to be welcomed every day, she remembered from her ancestors who found exile in America. She told that the book and the light of enlightenment in the hands of the mighty female Statue of Liberty encouraged her during her childhood. Later however she got to know that Franz Kafka – in his novel “Amerika” – had envisioned the Statue with a sword in her hands.

Have a look at the photograph of “Überfluss II” correspondence between Ric Allsopp and the author in: Performance Research 2(1), pp 31-33, 1997, p 33

Performance Research 2 (1) 1997, p33