Dieser unveröffentlichte Artikel ist 2008 anlässlich einer Podiumsdiskussion “The Dilemma of Collecting Art in Times of Dematerialization” entstanden. Heute steht er als Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Jan Hoet und ist als Beitrag zum Thema: Sammeln von Performance Art nach wie vor aktuell.
Auf Einladung von Die Neue Aktionsgalerie (DNA) diskutierten am 2. Nov. 2008 im Goethe-Institut in Berlin David Elliott, Mark Gisbourne, Jan Hoet, Fumio Nanjo, Berta Sichel und Mark Waugh.
Hoets Zusammenarbeit mit Marina Abramović ist so legendär wie „Biography“, eine Revue, die anlässlich der von Hoet 1992 ausgerichteten documenta IX aufgeführt wurde und ihre eigenen und die mit ULAY realisierten Performances zusammenfasste. Hoet, der scheidende Direktor des MARTa in Herford, musste gar nicht auf dieses Re-enactment verweisen, das schon eine mögliche Antwort auf die mit dem Thema des Podiums gestellte Frage implizite. Doch was bleibt außer Legenden? Elliott und Waugh bestätigten die Besonderheiten der kuratorischen Praxis mit Performances und ihren Relikten, mit Life-acts und Medien. Während Elliott Ausstellungen und nicht Archive eine Herzensangelegenheit sind, blickte Waugh auf eine erfolgreiche Arbeit Britischer Institutionen zurück, die mit einem hohen Einsatz von Forschungsgeldern und Personal umfangreiche Sammlungen und elektronische Archive für Tanz, Theater, Oper und Performances angelegt und die Zugriffsmöglichkeiten auf den neuesten technischen Stand gebracht haben. Die mediale Vermittlung von Zeitkünsten ist für die Videokuratorin Berta Sichel eine permanente Herausforderung. Als Leiterin der Abteilung für audiovisuelle Kunst und Film am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid ist sie auch für die Konservierung und Präsentation von Medien zuständig, für die ständig Mittel eingeworben werden müssen. Sie verwies auf die Meilensteine: Fluxuskünstler, die seit 1963 TV-Apparate aus ihrer Funktion Fernsehprogramme sichtbar zu machen, befreit haben, und die Künstlerinnen, denen es in den 1970er Jahren gelang, ein neues Medium einzusetzen und Autofeedback (close circuit) zur Selbstdarstellung zu nutzen. Sichel weis genau, dass sich Audio- und Videoaufzeichnungen in Zeiten der Digitalisierung zwar unbeschränkt verbreiten lassen, doch das mangelhafte Wissens um die Geschichte und Andersartigkeit der zeitbasierten Künste bleibt ihrer Auffassung nach weiterhin ein Hindernis, das ihrer Verbreitung im Wege steht. Deshalb setzt sie auf Vermittlung, die neben der Organisation von Begleitprogrammen mit Vorträgen und Symposien auch scheinbar banale Dienstleistungen wie die Untertitelung fremdsprachiger Videos umfasst.
Ein großes Paradox bleibt die Tatsache, dass oft nur einmal aufgeführte Performances durch Medien zwar potentiell massenhaft verfügbar sind, aber im Kunstbetrieb weiterhin ein Nischendasein fristen. Oft sind nur wenige oder keine Kopien der Mitschnitte von Performances verfügbar, weshalb die Speichermedien bearbeitet werden müssen. Aus der Sicht von Galerien rechtfertigen die Kosten für Restaurierung und Digitalisierung der magnet- oder filmbasierten Medien die heute verlangten hohen Preise für die Aufzeichnungen von Performances auf dem Kunstmarkt. Schließlich werden nicht nur hohe Qualität, Datensicherheit und das exklusive Recht für öffentliche Aufführungen erworben, sondern auch Prestige und Aufmerksamkeit für Werke ephemerer Kunst sichergestellt. Zu diesem Punkt hätte man gerne auch die Meinung von Galeristen und Sammlern gehört.
Ohne die berechtigten kommerziellen und institutionellen Interessen zu bestreiten, trat Fumio Nanjo als Direktor des Mori Museums in Tokio für eine ungeschminkte Sicht auf das Ephemere ein; denn er ist sicher, dass Alles, was wir tun, verschwinden wird. In diesem Bewusstsein sieht er auch Performances, die nur in wenigen Aspekten ihrer Vielschichtigkeit dauerhaft zu konservieren sind. Die mentalen und pychophysischen Aspekte von Aktionen lassen sich kaum audio-visuell aufzeichnen, werden aber mit Gesten, Verhaltensweisen und mit jeder Performance wieder aktualisiert. Dieses bemerkenswerte Statement kam von einem Museumsmann und erinnerte en passant an die Wurzeln einer in den 1950er und 60er Jahren von der asiatischen Kultur inspirierten Haltung vieler Aktions- und Fluxuskünstler.
Kollektiv verinnerlichtes Wissen
Im radikal Ephemeren nähern sich Performances der Sichtweise des Theaters, auf die der versierte Kritiker und Diskussionsleiter dieser Runde Mark Gisbourne aus der Shakespearestadt Stratford aufmerksam machte. Legendäre Schauspieler zehrten nämlich oft ihr ganzes Leben von dem Ruf, den sie mit einer überragenden Aufführung erworben hätten, wobei sich ihr Ruhm ausschließlich durch Hörensagen, also immateriell, verbreite. Gisbourne erinnerte deshalb auch an Gustav Metzger, den in England lebenden Initiator des Destruction in Art Symposions (DIAS) 1966. Seine Malaktionen mit Säure auf die davon zerstörten Vinylfolien trugen maßgeblich dazu bei, die Grundlagen der westlichen Kunst, die im Zeigen und Bewahren der materiellen Substanz liegt, in Frage zu stellen.
Ein wenig kühn mutete es schon an, als Hoet bekundete, dass sich das Problem des Immateriellen für ihn erst vor 20 Jahren gestellt hätte, als ihn eine musikalische Performance trotz der Grobkörnigkeit eines Videomitschnitts nachhaltig angerührt habe. Man muss ihm verzeihen, dass er damit Yves Klein überging, der 1959 – 1962 je 20 Gramm Feingold, als Wechsel für „eine Zone immaterieller bildnerischer Empfindsamkeit“ (transfer for a zone of immaterial pictorial sensitivity) ausgab. Die Diskrepanz zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen wird noch viele Debatten zu diesem Thema antreiben, denn die Frage nach der Übertragung von Subjektivität muss interdisziplinär gestellt werden. Die zukünftige Forschung müsste sich durch zahlreiche Geschichten der Aktionskunst mit unzähligen Facetten arbeiten; denn auf keinem anderen Gebiet der Kunst gibt es so viele individuelle Zugänge. Um das zu kompensieren schweiften auch die Teilnehmer dieser Runde immer wieder in eine Metadebatte über Medien ab. Ob aber ein Medieninhalt tatsächlich unhinterfragbar bleibt, so dass die Subjektivität der letzte Schluss ist, ist so fragwürdig wie das Persönliche. Hoet sprach konsequenterweise das kollektive Wissen und die dadurch verinnerlichte Erwartung an Kunstwerke an, die etwa beim Betrachten eines Bilds von Cézanne immer auch das Bewusstsein und die Wertschätzung seines Gesamtwerks mitschwingen lässt.
Übertragene Aufführungsrechte und Ethos des Ephemeren
Als wesentlichen Impuls wertete man den Ankauf der Aufführungsrechte einer Performance von Tino Sehgal durch das Museum Ludwig in Köln, der als Präzedenzfall hinsichtlich der Handelbarkeit eines konzeptuell angelegten ephemeren Werks begrüßt wurde. Eine Galerie als Agentur für Aufführungsrechte stellt Performances auf eine Ebene mit Film, Musik und Theater, so dass dann ein Sammler die Rolle eines Produzenten oder Auftraggebers einnehmen kann. Sympathisch an dieser Lösung, die auch für Künstler und Galeristen als Konvention der Kommerzialisierbarkeit von Performances annehmbar erscheint, ist der Ausweg aus der Materialisierung. Doch bleiben Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Ethos vieler Performer. Fumio Nanjo, der an die Asche auf der Haut, als rituell wirksames Relikt des Totenkultes im Butho erinnerte, wusste als Schüler des Meisters Kazuo Ohno, dass diese Re-materialisierung des Gedenkens nur im Augenblick der Aktion oder des Rituals erträglich und schicklich ist; denn die Teilnahme am Ritual erneuert eine Erinnerung. Wie aber, so müssen wir hier nachhaken, kommen wir dann mit der metaphysischen Herausforderung zurecht, die daraus erwächst, dass die Erscheinung des Gewesenen und damit der Toten durch Medien jederzeit verfügbar gehalten wird? Hier berühren sich die mit den Medien verbundenen Ansätze zur Vermittlung ephemerer Kunst mit ethischen und kulturellen Fragestellungen, die in Zukunft auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen.
Johannes Lothar Schröder
Chris Burdens Arm, Köln 1992, Foto: johnicon, Courtesy: NONNOMPRESS, Kiel; VG-Bild-Kunst 2014