Mit Politikern schmusen

Während des Wahlkampfs vor den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft 2008 forderte der Hamburger Künstler Christian 3Rooosen Freunde und Kollegen auf, mit „Politikern zu schmusen“. Das bedeutete für alle, die mitmachten, mit Plakaten, die eigentlich für eine Fernbetrachtung gestaltet werden, auf Tuchfühlung zu gehen, eventuell das Plakat zu umarmen und die Oberfläche zu streicheln, mit dem Gesicht zu berühren oder zu küssen. Damit durchbrachen die Akteure die Distanz zu den Gegenständen, die den öffentlichen Raum zeitweise möblieren. So erlangten sie symbolisch eine Nähe zu prominenten Politikern, die selbst bei öffentlichen Auftritten durch Sicherheitsvorkehrungen und Personenschutzleute vom Publikum abgeschottet werden.

Foto: 3Rooosen

Foto: 3Rooosen

Die Intervention drehte diese Distanz in ihr Gegenteil, indem Umarmungen, Streicheleinheiten und Küsse eine intime Begegnung mit den Bildträgern herbeiführten, wobei die dabei entstandenen Videos und Fotos der Aktion das Trennende, das auf den Plakaten durch die von der Wirklichkeit abweichenden Größenverhältnisse gegeben ist, zusätzlich abschwächten. Deshalb scheinen die real schwer unüberbrückbaren Schranken mittels der Dokumente der Aktionen auf einer visuellen Ebene ebenso nachhaltig durchbrochen worden zu sein wie zuvor durch die Aktion.

Populisten suchen Nähe

Street-Art und Graffiti-Künstler arbeiten ähnlich, doch zielen sie auf ein sichtbares visuelles Ergebnis ihrer Intervention ab, wogegen 3Rooosen gerade erreichen will, dass die von ihm inszenierten Performances als Interventionen im öffentlichen Raum live gesehen werden. Insofern ist es durchaus folgerichtig, dass er als Aktionskünstler die Videos erst jetzt – also 8 Jahre nach der Aktion – auf YouTube gestellt hat.

https://www.youtube.com/watch?v=6kdwmNKE3yM

3Rooosen empfiehlt dazu folgende Musik zu laden:

https://www.youtube.com/watch?v=2bsdkj_JkYs

Was also aus Sicht der Live-Art nicht so bedeutend sein mag, trifft dagegen in den sozialen Medien in Zeiten des wachsenden Populismus auf einen aktuellen Kontext. Populisten reagieren ja auch auf eine gefühlte Entfernung von gewählten Volksvertretern. Sie unterstellen ihnen pauschal Ahnungslosigkeit sowie Abhängigkeit von einflussreichen Geldgebern und Beratern und reagieren mit der in den sozialen Medien praktizierten Distanzlosigkeit, die sich bei realen Begegnungen im öffentlichen Raum gar nicht so respektlos entfalten könnte. Da Politiker physisch nicht leicht erreichbar sind, erzeugt die dadurch gegebene Distanz einen emotionalen Überschuss, der bei manchen Menschen schon in Wut und Hass umgeschlagen ist, wie die Angriffe auf Oskar Lafontaine, Wolfgang Schäuble und Henriette Reker bezeugen.

Schmusen mit Politikern, courtesy 3Rooosen

Schmusen mit Politikern, courtesy 3Rooosen

Populisten nutzen die mangelnde Nähe zwischen Profipolitikern und Wählern und geben sich kumpelhaft sowie durch markige Sprüche scheinbar volksnah. Dank des permanenten und massenhaften Austauschs von einfachen Erfolgsrezepten in den sozialen Medien sind viele dieser Volkstribunen überzeugt, dass sie den Schlüssel für die Lösung komplizierter Probleme hätten. Sie bemerken dabei nicht, dass ihre Ideen selbst auf die Distanz zurückzuführen ist, in der sie sich zu aktiven Politikern sehen, von denen sie naiverweise annehmen, diese hätten das anscheinend Offensichtliche noch nicht bemerkt.

Nähe als Illusion

Dieses Spiel mit Erreichbarkeit zwischen Publikum und Politikern setzte 3Rooosen durch seine Aktion auf eine bemerkenswerte Weise in Szene. Er ließ die Plakate für seine Protagonisten zu lebendigen Symbolträgern werden und überwand die Distanz zu den Abgebildeten durch eine offen vorgetragene Illusionslosigkeit. Jeder weiß, dass die Bilder nicht mit den Abgebildeten identisch sind, doch gelangen die Personen auf der medialen Ebene der Abbildung zueinander. Anders als in der Life-Aktion sind die Protagonisten des Künstlers auf dem Video ebenfalls zweidimensionale Abbilder und erlangen so dieselbe mediale Präsenz wie die Politiker.

Da 3Rooosen als Künstler auf seinem Feld, also der Herstellung von Illusionen arbeitet, erzeugte er den direkten Umgang mit dem Medium im Sinne von McLuhan, der das Medium als die Botschaft definierte. Dabei geht es nicht um den Glauben an die Beeinflussung des Publikums, sondern die unmittelbare eigene Aktion als konkrete Beeinflussung von Zuschauern und Mitwirkenden, wodurch 3Roosen eine überraschende Nähe zu den scheinbar so entrückten Politikern erreichte, die gerade heute wieder ins Bewusstsein rückt, obwohl viele Zeitgenossen vor lauter Wischen auf der glatten Smart-Phone-Oberfläche vergessen haben: Politiker sind zwar austauschbar aber konkret handelnd. Die zeitversetzte Veröffentlichung der 8 Jahre alten Videos zeigt fast schon vergessene Politiker auf den Plakaten und verdeutlicht, wie schnelllebig politische Kampagnen sind. Dagegen ist es frappierend zu erleben, dass die Plakate von Politikern tatsächlich eine Nähe herstellen können. Deshalb kann die Auseinandersetzung mit der symbolischen Ebene gerade der populistischen Suche nach Nähe und Direktheit, die auch einer falsch verstandenen Performance-Art unterstellt wird, entgegenwirken.

Der Umgang mit Performance-Art, die oftmals mit dem Authentischen spielt, aber selten ihre Wirkung daraus bezieht, kann heute helfen, den Irrglauben zu erschüttern, mit dem in den Medien und unter Veranstaltern kokettiert wird, um Performances als Besonderheit aller möglichen Aufführungstypen anzupreisen. Ein jüngstes Beispiel ist die in diesem Monat gesendete dreiteilige Produktion von ZDF und 3SAT über Performances, in der wider besseres Wissen z.B. die Legende von der Heilung des verletzten Jagdfliegers Beuys durch Krimtataren als Tatsache kolportiert wird. Dagegen ist es geradezu lehrstückhaft, wie 3Rooosen in seiner neueren Performance „Bilder singen“ vor leeren Leinwänden den Inhalt eines Bildes singt, um die Illusion eines Inhalts durch eine Performance aufzurufen (über den obigen YouTube-link einfach zu erreichen). Hierdurch wird das Bild unmissverständlich als ein suggerierbares individuelles Resultat der Vorstellungskraft beschworen.

Ein Lokal der Emigranten

100 Jahre Cabaret Voltaire

(find an english text with the following illustrations and in the contribution on Hugo Ball from June 2016)

Wegen großer Nachfrage hatte das Künstlerlokal Cabaret Voltaire seit Freitag vor 100 Jahren täglich außer freitags geöffnet. Doch Vorsicht die Marke „DADA“ ließ sich die Parfümerie- und Seifenfabrik Bergmann & Co. schon 1906 beim Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum schützen. Wo also schlug die Geburtsstunde von DADA wirklich? Man weiß es nicht genau und deshalb hat man sie auf ein Datum gelegt, das die Entrepreneurship des Ereignisses feiert: Die Gründung einer Künstlerkneipe. Das versteht jeder, denn heute ist es nicht anders, wenn Emigranten nach einer Existenzmöglichkeit suchen. Man macht ein Lokal auf, und hofft mit Gastfreundschaft zu punkten. Und für die Emigranten selbst war es damals wichtig sich auszutauschen. Das gilt selbst heute, wo die sozialen Medien dieses leisten. Doch schenkt ein Smartphone an kalten Tagen kein Heißgetränk aus und selbst in Zeiten des WWW bringt es oft mehr, sich persönlich kennenzulernen, wenn man weiter kommen will.

Wie nichtssagend der 5. Februar ist, sieht man auch daran, dass es für dieses Datum keine Ikone gibt. Deshalb leiht man sich Hugo Ball in seinem Kostüm aus Pappe aus, das er am 23. Juni 1916 beim Vortrag seines Gedichts Karavane trug. Es ist zum Markenzeichen für das Cabaret Voltaire und den Dadaismus geworden. Der Sender ARTE nutzt es, um auf sein Programm am 5. Feb. 2016 aufmerksam zu machen und es sorgt auch als Kostüm beim Karneval im Museum für Aufmerksamkeit, besonders wenn der Hut des „magischen Bischofs“ verlängert wird, so dass die Bedrängnis des damals um sein Überleben kämpfenden fragilen Hugo Ball verschwindet, mit der dieser seinen ganzen Körper wie mit einem Panzer schützt.

Ball in der Werbung für 100 Jahre DADA auf ARTE

Ball in der Werbung für 100 Jahre DADA auf ARTE, Screenshot

Fasching im Lehnbachhaus in München getwittert am 31. 1. 2016 (Gesichter wurden unkenntlich gemacht)

Fasching im Lenbachhaus in München getwittert am 31. 1. 2016 (Gesichter wurden unkenntlich gemacht)

Das erste Studiofoto einer Künstlerperformance

Eine Abbildung des Fotos, das Hugo Ball bei der Rezitation von Lautgedichten am 23. Juni 1916 im Cabaret Voltaire zeigt, ist vermutlich das erste fotografische Dokumente einer künstlerischen Performance. Es wird allgemein als ein Foto der Performance von drei Lautgedichten des Gründers und Mitinitiators von DADA in Zürich ausgegeben. So auch in dem Standardwerk von RoseLee Goldberg[1], wo ein Ausschnitt aus dem Originalfoto (aus der Fondation Arp in Clamart) verwendet worden ist, das erst 1989 anlässlich einer Ausstellung zum 100 Geburtstag von Ball[2] veröffentlicht worden ist. Man sieht den Künstler, Dichter und Philosophen in einem Kostüm aus gebogener Pappe stecken, in dem er unter anderem sein Lautgedicht Karawane vortrug. Die Legenden aller konsultierten Schriften behaupteten, es würde ein authentisches Foto abgebildet, das während der Lesung im Cabaret Voltaire aufgenommen worden ist. Auch im Ausstellungskatalog, in dem das unbeschnittene Foto erstmalig abgebildet wird, steht als Bildlegende: „Diese Aufnahme vom 23. Juni 1916 zeigt Hugo Ball beim erstmaligen Vortrag seiner Lautgedichte…“[3] und zitiert aus seiner Tagebucheintragung.[4] Da Ball darin aber von drei Notenständern spricht, auf die er wegen seiner kostümbedingten Unbeweglichkeit und der Handattrappen die Manuskripte mit seinen drei Lautgedichten bereitgelegt hatte, und auf dem Foto nur zwei Notenständer zu sehen sind, kann man hier eine erste Unstimmigkeit bemerken.

Hugo Ball im Kostüm, 1916 (Quelle: H. Ball 1886 - 1986, Leben und Werk, Pirmasens 1986, S. 134

Hugo Ball im Kostüm, 1916 (Quelle: H. Ball 1886 – 1986, Leben und Werk, Pirmasens 1986, S. 134

Wie eine Ikone entsteht

Um die behauptete Authentizität des Fotos weiter zu prüfen, versetzte man sich einmal in den engen Raum des Künstlercafés Voltaire in Zürich, das während des 1. Weltkriegs ein Treffpunkt rauchender Emigranten war, die hier sowohl ein Wohnzimmer wie auch eine Informationsbörse fanden. In diesem bei einer Sonderveranstaltung, wie an jenem Abend der Dadaisten, prall gefüllten Raum, muss man sich einmal einen Fotografen bei der Arbeit vorstellen, der mit einem damals relativ großen Kamerakasten auf einem sperrigen Dreibein aus Holz einen sicheren Standplatz suchte, um mit einer relativ langen Belichtungszeit sicher fotografieren zu können. Das Foto bildet ja viele Details sehr klar ab. Sogar das Muster eines Teppichs unter Balls Füßen ist deutlich zu erkennen. Man sollte sich angesichts des Fotos auch daher erinnern, dass die sicher nicht technikfeindlichen Futuristen nur relativ verwaschene Fotos und sehr körnige Filmstills von ihren Aktionen hinterlassen haben und z.B. Umberto Boccioni es vorzog, die Bühnensituation während der ersten futuristischen serate 1911 zu zeichnen, um das Geschehens zu überliefern. Im Gegensatz zu den nur schemenhaften Darstellungen von einzelnen Personen und Mustern auf dem Filmmaterial gibt die Zeichnung in ihrer karikaturhaften Pointierung, ein genaues Bild dieser turbulenten Abende. Man identifiziert nicht nur einzelne Akteure auf der Bühne, sondern erkennt auch die Reaktionen des Publikums, das zahlreiche Gegenstände auf die Bühne herabregnen lässt.

Ein aussagekräftiges Gemälde

Ein Foto und ein Gemälde

Ein Foto und ein Gemälde

Die Maler unter den Dadaisten benutzten ebenfalls traditionelle Mittel, um die Situation im Cabaret Voltaire wiederzugeben. Die überlieferte Schwarz-weiß-Abbildung eines verschollenen Gemäldes von Marcel Janko (siehe Power-Point) gibt das Geschehen auf der relativ schmalen Bühne vor der Außenwand des Cafés wieder. Anhand der Gesichtszüge lassen sich die Akteure, darunter Hugo Ball am Klavier hinter Tristan Tzara, der mit vorgestreckten Armen wie ein Traumwandler zum Bühnenrand schreitet, sowie Hans Arp und Richard Huelsenbeck erkennen. Rechts steht Emmi Hennings, Balls Frau. An der Wand hängen einige Masken.

Hugo Ball auf dem Foto und auf einem Gemälde von Marcel Janco, beide 1916

Hugo Ball auf dem Foto und auf einem Gemälde von Marcel Janco, beide 1916

Zum Vergleich nun das Foto, das Ball auf einem Teppich stehend, wiedergibt. (siehe Power Point) Ein solcher Bodenbelag ist nicht nur auf dem Gemälde nicht zu erkennen, sondern würde genau wie der Vorhang, der sich hinter dem Performern unmittelbar vor der Außenwand eines Cafés zuziehen lässt, als Bühnenausstattung hinderlich sein. Auf dem Foto ist der Vorhang zwar geöffnet, doch erkennt man, dass er beim Zuziehen, den vor dem hellen Hintergrund stehenden Ball schneiden würde. Ungewöhnlich für einen Theatervorhang, der vor der Bühne hängen müsste oder einen tiefen Bühnenraum aufteilt. Doch von einer geräumigen Bühne kann man im Cabaret Voltaire nicht sprechen. Nach dem Augenschein, den das Gemälde liefert, ist die Bühne sehr eng und ein Vorhang genauso wie ein Teppich überhaupt nicht vorhanden. Ein Vorhang als Hintergrund ist hingegen für Fotostudios durchaus geläufig und noch heute in den Passbildboxen z.B. in Bahnhöfen anzutreffen. Da es damals üblich war, auch Möbel z.B. für Familienfotos zu platzieren, macht ein Teppich beim Fotografen durchaus Sinn.

Die auf dem Foto identifizierbaren Details deuten darauf hin, dass es aus einem Fotostudio stammt. Insofern hätte Ball die Aktion nachgestellt, um ein aussagekräftiges Foto zu erhalten. Diese Entscheidung stellt Balls Medienbewusstsein unter Beweis, denn die Überlieferung seiner Aktion hatte er nicht einem wackeligen Schnappschuss überlassen. Ein professionell gemachtes Foto in hoher Qualität sorgte vielmehr dafür, dass seine einmalige Performance, für die er sogar das Kostüm eines „Magischen Bischofs“ angefertigt hatte, visuell überliefert werden konnte und heute die Dada-Ikone ist. Dass mehreren Generationen von Forschern diese Tatsache bisher entgangen ist, spricht für ein naives Authentizitätsbewusstsein, das in der Fotogeschichte schon längst überwunden ist.

Von hier ausgehend lässt sich nur sagen, dass in der Überlieferung von Performance-Art nur weniges authentisch ist oder für authentisch genommen werden kann, bloß weil es durch ein Medium belegt ist. Das gilt nicht nur für Fotografie sondern sinngemäß auch für Video etc. Das Bemerkenswerte ist aber, dass sich ein Gemälde, wie hier das von Marcel Janco in vielen Details als aufschlussreicher erweist als Fotografien dieser Zeit. Janco gelang es, lange vor der Verfügbarkeit von Weitwinkelobjektiven und Panoramafotografie den engen Raum in seiner Charakteristik mit Plakaten, Masken und typographischen Elemente an den Wänden so detailreich und lebendig zu erfassen, dass in Ermangelung des verschollenen Originals noch die Reproduktion aussagekräftig genug bleibt.

© Johannes Lothar Schröder, VG-Wort, Bonn 2016

[1] Goldberg, RoseLee: Performance. Live Art 1909 to the Present, London 1979, S. 40

[2] Hugo Ball (1886 – 1986) Leben und Werk, Ausstellungskatalog, Pirmasens, München und Zürich 1986, S. 148

[3] ebd.

[4] Flucht aus der Zeit, Zürich 1992, S. 105

Und dann kommt das WIE

… it’s just a click away

Dank an Presseabteilung des Städels in Frankfurt, die mich vor ein paar Monaten darauf aufmerksam machte, dass das Museum nun Teil des Google Art Projekts ist. Beim Durchklicken der Kunstwerke dort und in zahlreichen weiteren Museen der Welt und der auszugsweisen Sichtung all der fabelhaften bekannten und unbekannten Werke blieb ich beim Turmbau zu Babel von Peter Breughel dem Älteren von 1563 im Kunsthistorischen Museum in Wien hängen. Mir stockte der Atem beim Wiedersehen mit diesem Bilde unter diesen Bedingungen. Der Detailreichtum war mit den Möglichkeiten des Zoomens fast besser zu erforschen als es mir bei meinen Reisen nach Wien je gelungen wäre. Ich wanderte also in die Details der sich auftürmenden Oberflächen dieses urbanen Kosmos aus dem 16. Jhd. und seines utopischen Gebäudes, das Himmel, Erde und die Gewässer miteinander verbindet. Daran Gerüste sowie ganze Häuser, die an dem Turm kleben, als wäre er ein Berg, an dem auch Menschen wie Ameisen hingen. Tatsachlich sind Teile auch der oberen Stockwerke noch aus dem gewachsenen Fels gehauen, der wie eine alpine Zinne einen erdgeschichtlichen Kern des Gebäudes bildet.

 Google-Tower of Babel-Google

Dieses Bild ist ein Sinnbild im elektronischen Turmbau unserer Zeit, das aus den Anstrengungen von unzähligen Menschen zusammengesetzt ist, die sich die Geschichte und die vielen Speicher dieser Geschichte aneigneten, die nun auf den Bildschirmen der Welt verfügbar gemacht werden und sich aus den Daten auf Millionen von Bildschirmen zusammenfügen. Im Moment des ersten Anschauens hat diese Verfügbarkeit schon etwas mit mir gemacht. Die kiloweisen Kunstbände und die wochenlangen Reisen zu diesen Werken stehen mit einem Mal in einer anderen Relation. Ob sie aber zur Disposition stehen, glaube ich nicht. Für mich werden sie sich nicht erübrigen, was man im ersten Augenblick annehmen könnte. Anders wird es für die Generation sein, die mit diesen heutigen Möglichkeiten aufwächst. Für mich gehören das Physische und die Reisen zu den Museen dazu. Für mich bilden sie sogar die Voraussetzung dafür, dass ich dieses Bild identifizieren kann, und sie haben meine Möglichkeiten geprägt und bereichert, sie bildeten das WIE, mit dessen Anleitung ich nun durch diesen anklickbar gemachten Datendschungel wandere. Die vielen anderen Bilder von Breughels Zeitgenossen, die ich in den letzten Jahrzehnten sah, sind Teil meiner Betrachtung; denn das Google Art Projekt folgt ja auf Google Earth, weil die Oberflächen der Kunstwerke hier eine Tiefendimension haben, die als die kulturelle Leistung von Menschen alle terrestrischen Oberflächen enthält, so wie es Google mit „Earth“ anstrebte. Weil die Künstler in die Tiefe der Prozesse gegangen sind, haben sie uns als Menschheit überhaupt erst in die Lage versetzt, elektronische Datenverarbeitungsmaschinen und -systeme zu ersinnen und zu betreiben. Breughels Werk ist wohl eines, das der Komplexität der Organisiertheit von Kultur und kulturellen Netzwerken, wie dem einer Großbaustelle, sehr nahe kommt. Die „Bauherren“ von Flughafen und Konzertgebäuden, denen heute ihre Vorhaben aus dem Ruder laufen, wären gut beraten gewesen, vor Beginn der Arbeiten mal einmal einen Blick auf das Bild von Breughel zu werfen.

Die Möglichkeiten das nachzuholen sind nur ein paar Klicks entfernt. Doch dann kommt das WIE.