Joseph Beuys als John Dillinger

Als „John Dillinger“ hat sich Beuys mit Amerika, Gangstertum, Gefahr und Tod auseinandergesetzt. Zum 30. Todestag von Joseph Beuys biete ich einen Text über ihn als John Dillinger aus dem 6. Kapitel meines Buchs über die Reflexe des Soldatenlebens in den Aktionen von Beuys an.

Das Buch wird dieses Jahr bei Conferencepoint in Berlin/Hamburg erscheinen.

Joseph Beuys als John Dillinger

Joseph Beuys Auftritt als John Dillinger bei seinem ersten Besuch in Chicago am 14. Januar 1974 könnte als Rollenspiel bezeichnet werden. Beuys stieg vor dem Biograph-Kino in der North Lincoln Avenue aus dem Auto und spielte die Hinrichtung des verurteilten mehrfachen Raubmörders, der sich seiner Todesstrafe durch Flucht entzogen hatte, als ein Solo. Nach einem Kinobesuch wurde Dillinger am 22. Juli 1934 von FBI-Beamten vor dem Kino gestellt und an Ort und Stelle mit Geschossen durchsiebt. Beachtlich ist die aus der Durchsicht der Fotoserie von Klaus Staeck zu lesende Leichtigkeit und Bereitschaft zur Improvisation, mit der Beuys sich spielerisch in einen Gesetzesbrecher verwandelte. Es sind die wenigen Kleidungsstücke, also Beuys Hut und sein Hasenfellmantel, die ihn glaubwürdig in eine Figur der Geschichte verwandelten und doch zugleich ihn selbst darstellen, also als eine Figur der Zeitgeschichte erkennbar machten. Je nach Informationen über die Hintergründe springen einem aus dem persona-Doppelpack, in dem beide wie ein Sandwich zur Deckung gebracht worden sind, einmal Dillinger und ein anderes Mal Beuys ins Auge. Beide kommen zur Deckung. Aber warum gilt dieses Spiel einem Gesetzesbrecher?

1.       Die Energie des John Dillinger (1. Variante: Schuldgefühle)

Es ist möglich, dass die weltweite Berichterstattung über Dillingers Hinrichtung durch das FBI 1943 den damals 13-jährigen Beuys erreichte und ihn das gewaltsame Ende dieses Gesetzesbrechers ebenso erschrocken wie fasziniert hatte.[1] Vielleicht hatte diese Episode auch sein Amerikabild mit der Botschaft geprägt, dass man sich nimmt, was man braucht, wenn man bereit ist, das Risiko einzugehen, erschossen zu werden. Erstaunlich ist jedenfalls, dass sich Dillinger dem jungen Beuys bis zu seinem ersten Besuch in den USA 40 Jahre später eingeprägt hatte, wo ihn Erinnerungen und Recherchen bewogen, diese Szene in einem Live-Act zu aktualisieren. Seinem Begleiter Staeck gegenüber äußerte sich Beuys über sein Interesse an diesem Gangster: „Ich lege großen Wert auf die Energie, die in einer Biographie wie der des John Dillinger liegt. Diese Energien, die beim Dillinger beispielsweise negativ gepolt waren, können einen positiven Impuls abgeben. Nach dem Motto: Unser Liebesimpuls für solche Menschen oder überhaupt Menschen ist dreifach: untermenschlich, menschlich und übermenschlich.“[2] Für den in diesem Kapitel zur Diskussion stehenden Ansatz ist wichtig, dass Beuys hier von einem Liebesimpuls, also von einer irrationalen Energiequelle spricht und sie auf mehreren Stufen der Menschlichkeit ansiedelt, wo sie von ihm ähnlich gestaffelt werden wie in der Psychologie das Bewusstsein (Unterbewusstsein, Ich und Über-Ich). Ein zweiter Aspekt ist die Umpolung des Negativen. Dazu hat Schneede Äußerungen aus verschiedenen Interviews mit Beuys zusammengetragen, die deutlich machen, wie sehr ihn das Böse faszinierte. So sagte er Birgit Lahann für ihn wäre Hitler „ein großer Aktionist“[3], der wie die großen Gangster „seine schöpferischen Fähigkeit negativ gebraucht“ hätte. Unter dem Gesichtspunkt des Aktionismus hat ihn die Energie fasziniert, die das Böse im Kampf gegen seinen Antagonisten freisetzen konnte. Und inzwischen hatte er genug Erfahrungen als Performer, um zu wissen, welche Energien seine Aktionen benötigten, bzw. durch sie und günstige Umstände freigesetzt werden konnten. Diese haben natürlich mit den Energieschüben zu tun, die er während seiner Tätigkeit im Sturzkampfbomber durch Amphetamine und Lebensgefahr angestachelt erlebt hatte.

Die Personen, die Beuys aus verschiedenen Anlässen aufgeführt hat, haben jeweils auf ihrem Gebiet und zu ihrer Zeit Verbrechen begangen, Schuld auf sich geladen oder wurden bestraft, bzw. richteten sich selbst. Wenn Beuys diese Biographien auf sich zog, indem er sie wie die Episode vom gewaltsamen Ende des Dillinger sogar nachspielte, zeigte sich darin neben der Absicht der Identifikation konkret auch die Bemühungen des Verzeihens und des Abtragens von Schuld, die er nicht nur als Individuum sondern auch als Angehöriger seiner Generation im Krieg auf sich geladen hatte. Es ging dabei auch um den Fluss von Lebensenergie. Im Moment, in dem der Kampf oder der Krieg als Energiereservoire endete, brach diese Energiequelle zusammen und es entstand eine Leerstelle, die durch die Erschließung anderer Energiequellen aufgefüllt werden musste. Die Beziehungen zwischen den Energien des modernen Lebens mit Kunst und Fiktion, wie sie z.B. durch F.T. Marinetti und später auch durch Ernst Jünger namhaft gemacht worden, die die Gefahr als einen Katalysator zu Steigerung des Lebensgefühls propagierten, wurden durch Aktionen – heute Re-doings – an neue Energiequellen angeschlossen. Das Rauchen einer Zigarette war die Kompensation solcher Aktionen sozusagen zwischendurch für jeden Tag ohne umfangreiche Aktionen.

2.       Erfahrungspool (2. Variante: Opfer)

Auf den ersten Blick erscheinen die Handlungen, von denen hier die Rede ist, identifikatorisch, doch ist darüber hinaus festzustellen, dass Energieentfaltung, Traumata und fatale Ereignisse zusammenhängen und einen Erfahrungspool bilden, der zwischen Menschen mit vergleichbaren Biographien wirksam ist und sich wie ein virtuelles Wurzelgeflecht zwischen ihnen ausbreitet. Außerdem können durch Nachspielen, also Re-doings, historische Zusammenhänge mit der Gegenwart gekoppelt, und folglich auch der Neubearbeitung und Umdeutung zugänglich gemacht werden. Neben der Darstellung und der durch die Aktion gesteigerten Energie liegt das Eigeninteresse von Beuys nicht nur in der Heilung, sondern darüber hinaus auch in der Revision seiner bisherigen Erfahrungen mit Amerikanern als Feinden. Deshalb kann die Personifikation des Dillinger auch als eine Entlastung betrachtet werden, die dazu beigetragen hatte, dass Beuys als Künstler von seiner Vorgeschichte unbelastet in den USA auftreten konnte. Die Aktion „Dillinger“ gestaltete sozusagen Beuys‘ verinnerlichtes Amerikabild um und war deshalb mehr als ein Rollenspiel, denn sie ermöglichte ihm durch die Identifikation seine eigenen Schuldgefühle auf Dillinger abzuwälzen, der sich im christlichen Sinn stellvertretend und im Voraus schon für den Künstler geopfert hatte. So gelang es Beuys durch das doubeln dieser persona auch Schuldgefühle, die er nicht nur als Soldat akkumuliert hatte, sondern auch durch Aneignung der Methoden von FLUXUS und des Begriffs auf sich geladen hatte zu kompensieren. Wie Dillinger sich das Geld aus den Banken holte, sich also materielles Kapital beschaffte, so hatte sich Beuys FLUXUS angeeignet, um seine im Krieg und während seiner persönlichen Krise hinter den Entwicklungen zurückgebliebenen Mittel zur Verwirklichung seiner künstlerischen Ideen umzubauen und aufzustocken, um sie auf den neuesten Stand zu bringen.[4] Man kann mit Beuys‘ Worten diesbezüglich vom immateriellen kulturellen Kapital sprechen, das er sich von jüngeren Kollegen aneignet hatte. Insofern hat die Personifikation des Dillingers, der sich seiner Strafe nicht entziehen konnte, eine für Beuys durch die katholische Erziehung geprägte, also eine Strafe erwartende, Seele eine entlastende Wirkung. Da er der Kirche nicht mehr verbunden war, fand Beuys seine eigenen Wege der Vergebung und konnte nach der performativen Sühne auf die Bezeichnung FLUXUS verzichten und seine eigene Form der Aktions- und Installationskunst verwirklichen.

3.       Identifikationsfiguren (3. Variante: Freibeuter)

John Dillinger hatte aber auch etwas, was Beuys nicht erreicht hat. Das Echo auf den lapidaren Satz, den Beuys als Untertitel der Ausstellung ARENA wählt, „Wo wäre ich hingekommen, wenn ich intelligent gewesen wäre“ hallt hier nach. Der Satz klingt wie eine Frage, doch ohne Fragezeichen ist er eine Aussage. Nachdem Hitler ihm und Millionen anderen zum Aufbruch in eine neue Zeit bereiten Jugendlichen eine neue Welt vorgegaukelt hatte, hatte der junge Flieger Beuys durch das Kriegsfiasko alles, was er damals erträumt und worauf er sich eingelassen hatte, verloren. Vom Krieg gezeichnet, musste er wie die anderen Überlebenden des Krieges in seine zerstörte Heimat zurückkehren. Diese deprimierende Situation ließ Alles in einem anderen Licht erscheinen, und besonders andere Kontinente schienen außer Reichweite gerückt zu sein. Insofern war der Dillinger, der den Alten Kontinent schon Generationen vorher verlassen hatte und sich in der „Neuen Welt“ als Gangster einfach genommen hatte, was ihm gefiel, auch ein Heldenfigur, dessen Handeln von Unabhängigkeitsstreben durchdrungen war. Eine solche Haltung mag die jungen Soldaten anlässlich der Eroberungszüge zu Beginn des Krieges fasziniert haben, bis diese nach Kriegsende diskreditiert und sanktioniert worden waren. Der gewaltsame Tod Dillingers kompensierte diesen Verlust gleichsam stellvertretend, weshalb er für den jungen Beuys, der sich im Krieg und in seiner Krise 1956/57 mit dem Sterben auseinander setzen musste, eine Figur wurde, die auch wegen der Ferne – in Amerika und in der Zeitung – für ihn als Identifikationsfigur eine Distanz zu sich selbst ermöglichte. Diese Distanz verkürzte Beuys in Chicago, als er sich schließlich genau an den Schauplatz des Show-downs chauffieren ließ. Hier hatte es dann den Anschein, dass er die Wirksamkeit der Aktionskunst, die er sich in den vorausgegangenen 10 Jahren angeeignet und erarbeitet hatte, nun an diesem Dillinger, hinsichtlich ihrer Belastbarkeit in einer anderen kulturellen Umgebung überprüfen wollte.

In Bezug auf die Kunst der Moderne waren die Fluxuskünstler Figuren, die eine negative Utopie verkörperten, als sie in den 1960er Jahren als Freibeuter in Europa aufgetaucht waren, denn sie waren wie die Zirkusleute mit Festivals, die nur einen Abend dauerten, unterwegs. Das stieß in der Kunstwelt nicht einmal auf Unverständnis, denn man wollte diese Leute gar nicht zur Kenntnis nehmen, auch wenn man sich über den Professor wunderte, der bei diesem Zirkus partiell mitmachte. Zuvor hatten schon die Surrealisten mit „Ersatzporträts“ Identifikationsfiguren verwendet, um die Aussagekraft ihrer eigenen Porträts zu hinterfragen. Dazu verwendeten sie die Porträts bekannter zeitgenössischer Krimineller, die den illegitimen Status unterstreichen sollten, den die Literaten und Künstler damals in den Augen der Offiziellen hatten – und sie sollten die Öffentlichkeit provozieren. Doch die Kunstauffassung der Fluxuskünstler und ein Dillinger hatten Beuys in der Zeit der Umwälzungen in der Kunst noch wegen anderer Vorzüge angesprochen. Durch die Begegnungen mit Nam June Paik und Georges Maciunas standen Beuys erweiterte künstlerische Mittel zur Verfügung, als die, die ihm die Hochschule, an der er studiert hatte und die ihm nun von Jahr zu Jahr einen neuen Lehrauftrag erteilte, anbieten konnte. In den 1960er Jahren noch in dieser Sackgasse steckend, aus der er durch den Rauswurf aus der Akademie befreit wurde, hatte er Ambivalenz, möglicherweise sogar Neid gegenüber den Angehörigen der U.S.- Army empfunden, die wie Maciunas und George Brecht als zivile Angestellte in einer beeindruckenden Weise künstlerisch ambitioniert sein konnten. Beuys hatte ja Erfahrungen damit, wie es beim Militär zuging, und es ist wahrscheinlich, dass er dort mit seinen Kameraden und Ausbildern vor den Fronteinsätzen ähnliche Aktivitäten und seinen Interessen in Bezug auf die Naturwissenschaften nachgegangen war, die er dann nach der Begegnung mit Maciunas in Lebenslauf Werklauf „Ausstellungen“ genannt hatte. Die Einträge für 1940 mit den „Ausstellungen“ in Posen, in Sewastopol „während des Abfangens einer JU 87“, auf dem Flugplatz Erfurt-Bindersleben und dem Flugplatz Erfurt-Nord deuten das an.

© Johannes Lothar Schröder, VG-Wort, Conferencepoint 2016

[1] Schneede erwähnt, dass sich in Beuys Nachlass eine Kopie des Berliner Lokal-Anzeigers vom 23.07.1935 mit dem Bericht über dieses Ereignis befindet. Uwe M. Schneede: Joseph Beuys. Die Aktionen [Buch]. – Ostfildern-Ruit : Hatje, 1994 S. 324 Auch wenn die Kopie nicht aus der Zeit sein kann, sondern später hergestellt wurde, ist es möglich, dass der damals 13-jährige Beuys von dem sensationellen Show-down Dillingers erfuhr, und die Person faszinierend genug war, um von Kindern nachgespielt zu werden, um das Böse zu konkretisieren. Bis heute belegen Spiele – auch solche in digitaler Form – das Interessen von Kindern, sich dynamisch und performativ mit Gewalt, den Grenzen zwischen Gut und Böse sowie Leben und Tod auseinanderzusetzen.

[2] Beuys in: Staeck/Seidel 1987, S. 210. Zit. nach: Schneede, ebd.

[3] In: Stern, Heft 19, 30.April 1981, S. 77-82, 250-253, S. 82

[4] Thomas Kellein äußerte das ganz drastisch als er in einem Radiointerview sagte: am 4.6.2007 auf D-Radio-Kultur: „In Wahrheit hat Beuys Fluxus ausgebeutet. Er hat den Begriff, er hat die Werkformen auf sein eigenes Oeuvre übertragen, hat seine eigene Ausstellung ‚Fluxus‘ betitelt, um dann so eine Art Systemführerschaft zu übernehmen. Und das schließlich hat dazu geführt, dass viele Beuys-Forscher sich noch nicht einmal die Mühe machen zu überlegen: Wo kommt Fluxus eigentlich her?“ http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/632221/

Beuys und der Traum vom Zirkus

Vor 50 Jahren

In einem Brief an den Künstlerkollegen Wolf Vostell legte Joseph Beuys am 3. Nov. 1964 dar, was ihm über FLUXUS durch den Kopf ging. George Maciunas hatte Beuys im Jahr zuvor gebeten, an der Düsseldorfer Akademie die Vorbereitungen für ein Fluxuskonzert zu übernehmen. Diese Begegnung mit FLUXUS hatte einiges ins Rollen gebracht und die Kunst von Beuys nachhaltig verändert.

Debüt in „The Stars and Stripes“

Unter dem Begriff FLUXUS hatten sich 1962 unter der Federführung von George Maciunas mehrere Künstlerkollegen in Wiesbaden zusammengefunden. Maciunas war als Designer bei der U.S. Air Force tätig und mit Emmett Williams befreundet, der in Darmstadt für „The Stars and Stipes“ schrieb und Claus Bremer und Daniel Spoerri aus dem „Darmstädter Kreis“ kannte, wo sie sich mit Konkreter Poesie und experimentellem Theater beschäftigten. Zu ihnen stieß Benjamin Patterson, der versuchte, sich mit dem Verkauf von Enzyklopädien über Wasser zu halten. Gemeinsam heckten sie einen Beitrag über FLUXUS in der Soldaten-Zeitschrift aus, der am 30. Aug. 1962 erschien. Ein Anfang war gemacht, und weitere Künstler, die Maciunas aus Manhattan kannte, wo er eine Zeitschrift gegründet hatte, die Kollegen aus dem Umkreis von John Cage ein Forum gab, kamen aus Übersee, nachdem Maciunas in Europa Auftrittsmöglichkeiten organisiert hatte. Die Idee der Festivals als passendes Format für FLUXUS war geboren.

Ein Brief an Vostell

In der Passage eines Briefs an Vostell dachte Beuys über FLUXUS nach:
„Im großen und ganzen kann man sagen, daß Fluxus gegen seriöse Kunst oder Kultur und ihre Institutionen opponiert, gegen den Europäismus. Auch gegen den Kunstprofessionalismus, gegen Kunst als kommerzieller Artikel oder Weg zum Lebensunterhalt. Auch gegen jede Form der Kunst, die das Künstler-Ego fördert. Fluxus neigt also dazu, Oper und Theater (Kaprow, Stockhausen, etc.), die die Institutionalisierung der seriösen Kunst repräsentieren, abzulehnen, und ist stattdessen für Vaudeville oder Zirkus, die mehr die populäre Kunst oder gar nicht-künstlerisches Amüsement repräsentieren (und von »kultivierten« Intellektuellen schief angesehen werden).“[1]

Ausstellungen statt Zirkus

Nach der Lektüre dieses Briefs wird nachvollziehbar, was Beuys nach seinen ersten Aktionen im Jahr zuvor (1963) auf Fluxusfestivals durch den Kopf gegangen war. Nach seiner Teilnahme an der documenta 3 stand er einerseits auf der Schwelle zur internationalen Anerkennung, doch konnte durch seine Teilnahme an Fluxusveranstaltungen dieses junge Pflänzchen schon wieder gefährdet werden. Wohl deshalb erwog er, was die Intellektuellen – also die Kritiker – , die er als „kultiviert“ apostrophiert, wohl davon halten würden? (Man muss sich darüber im Klaren sein, dass in der Zeit in Deutschland noch kritisch über den Surrealismus diskutiert wurde.) Also antizipierte Beuys, was sie ihm vorwerfen könnten, nämlich einem Zirkus zu folgen und sich am Schaustellertheater zu beteiligen. Diese Sorgen beschäftigen ihn, als er sich an Vostell wandte, der mit diesem Thema robuster umgehen konnte, da er die „De-Collage“ – dieses ist sein Begriff für Happenings – schon als junger Künstler für sich entdeckt hatte und darin seine künstlerische Perspektive sah.

Ein Traum wird verraten …

Beuys ging demgegenüber rigoroser mit seinen Träumen um. Immerhin hatte er erzählt, dass er als Junge von zuhause abgehauen war, um bei einem Zirkus mitzureisen. Diesen Traum verriet er, obwohl er die Herausforderung der Aktionskunst annahm und den Begriff FLUXUS auch für seine Objekte beanspruchte. Mit bereits 43 Jahren älter als die anderen Fluxuskünstler blieb er in seinen öffentlichen Äußerungen diesbezüglich zurückhaltender und suchte nach eigenen Mitteln und Wegen, seine Entscheidungen zu begründen. Es scheint, dass er die Sympathien der Kunstfunktionäre und Museumsleute gewann, weil er in den Auseinandersetzungen mit FLUXUS nicht nur die Fahne der Institutionen hochhielt, obwohl er auch ihren Mangel an Theorie beklagte: „Es fehlt ihnen eine richtige Theorie, ein erkenntnismäßiger Unterbau.“ Als er das schrieb, unterlief ihm ein Schnitzer, denn Theorien gehören zum Überbau. Er aber nannte sie Unterbau und sprach damit den Mangel an Erfahrung an, die er aus Sicht seiner Kriegserfahrung zu haben glaubte und mit der er im Kreise seiner Kollegen alleine stand. Sie hatte ihn wohl auch gegen seinen Traum aufgebracht.

Schon vier Jahre später trug seine abwägende Haltung Früchte, und er wurde zum zweiten Mal zur Teilnahme an der documenta eingeladen, während – es war1968 und die Happenings erreichen einen Höhepunkt – Vostell samt aller anderen Aktions- und Fluxuskünstler übergangen wurden.

… und dennoch der Rauswurf

Trotz der Argumente, die Beuys gegen FLUXUS in der Prägung von Maciunas anführte und mit denen die akademische Organisation der Kunstakademien und –museen bestätigt wurde, blieb sein Wirken an der Kunstakademie in Düsseldorf keineswegs unumstritten. Seine zunehmenden Aktivitäten stießen schließlich bei einer Mehrheit der Professorenschaft auf Ablehnung und wurden von der politischen Führung des Landes NRW als Infragestellung der politischen Vorgaben wahrgenommen und geahndet. Hier zeigte sich, dass die Verteidigung des Institutionellen, die ihn im Kunstbetrieb voranbrachte, ihn nicht vor dem Rausschmiss aus der Akademie bewahren konnte. Als Lehrbeauftragter, dessen Anstellung auf der Basis von Jahresverträgen auf wackeligen Füßen stand, war er sowieso Professor auf Abruf, und die fristlose Kündigung 1972 brachte schließlich ins Bewusstsein, dass Akademien und Museen staatliche Institutionen sind, die von der jeweiligen Kulturpolitik gelenkt und alimentiert werden.

[1] Adriani, Götz, u.a.: Joseph Beuys, erweiterte Neuauflage 1981, 2. aktualisierte Auflage, Köln 1984, S. 99.

Als Medien noch Menschen waren

"Hereinspaziert" Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

„Hereinspaziert“
Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Auf dem Hamburger Dom kommt 2013 die Performance Art an ihren Ausgangsort zurück. Heuer gastieren über 20 Performance-Künstler auf dem diesjährigen Frühjahrsdom vom 22.03. – 21.04. auf dem Heiligen Geistfeld. Als Schaubude holte die geheimagentur den attraktiven historischen Jahrmarktswagen der Varietee-Show „Revue der Illusionen“ nach Hamburg. Für alle, die lange nicht mehr auf dem Jahrmarkt waren und sich kaum noch daran erinnern, dass Medien einmal menschliche Vermittler zwischen dem physikalisch und ökonomisch kontrollieren Alltag und der Welt des Unheimlichen, des Zauberhaften und der Verschwendung waren, ist dieses eine Gelegenheit, sich aufs Neue verzaubern zu lassen. Laufend gibt es Blöcke aus insgesamt über 50 Kurzperformances von Künstlern, darunter Joy Harder, Florian Feigl, Otmar Wagner, Manuel Muerte und Lars Schmid. Diese lassen unmittelbar erleben, wie es in der Zeit war, ehe Foto, Film, Audio, Video und Datenverkehr die Herrschaft über unsere Einbildung übernommen haben.

Im Hellen gibt es für Eltern mit Kindern („Kinder die Hälfte“) Wunder und nach Sonnenuntergang Kopf-, Bauch-, und Muskelakrobatik à la Dada, Fluxus bis Body Art und was daraus geworden ist, zu entdecken. Während der Dämmerung Vermischtes.

Aktionen und Interaktionen

Otmar Wagner erschreckt den "Cardiff Giant" mit dem Re-doing von George Brecht: 'Drip-music' (1959) Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Otmar Wagner erschrickt den „Cardiff Giant“ mit dem Re-doing von George Brecht: ‚Drip-music‘ (1959) in der Fassung von Tom Marioni (1970)
Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Am Freitag (5. April) überraschte Otmar Wagner mit einem Re-doing eines FLUXUS-event-scores. Diese sind oft ultra-kurze Beschreibungen von Aktionen und Interaktionen, die jeder aufführen kann. Ken Friedman hat alle FLUXUS-event-scores in einem allgemein zugänglichen Buch zusammengefasst: http://www.deluxxe.com/beat/fluxusworkbook.pdf

Daniel Ladnar, Re-doing eines FLUXUS-event-scores. Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Daniel Ladnar performed einen seiner für den Frühjahrsdom geschriebenen Scores.
Foto: johnicon, VG Bild Kunst, Bonn

Außerdem sehens- und hörenswert der „Gigant von Cardiff“, Shelvis und die Wolfsfrau.

Aktionen//Attraktionen auf dem Hamburger Frühjahrsdom gegenüber dem Riesenrad. Tägliche updates auf: http://www.geheimagentur.net