Papier und Fett im Werk von Thomas Demand und Joseph Beuys

Wenn Thomas Demand vom Werk Joseph Beuys‘ nur den Song „Sonne statt Reagan“ als politisch relevant gelten lassen will und die Objekte und Installationen als irrelevant empfindet, spricht er seinem eigenen Werk die Wirkung ab, die schon durch die Entscheidung für ein in der Plastik ungebräuchliches Material ausgelöst wird.

Das ist eine Gemeinsamkeit und die andere liegt eher darin begründet, dass sich beide Künstler die Ränder und Extreme der Kunstgattung ausgesucht haben, um Wirkungen zu erzielen, bzw. sich der gattungsspezifischen Zuordnung und damit der theoretischen Ab-/Qualifikation zu entziehen.

Papier und Fett sind zwei Materialien, deren Vermischung gewöhnlich als ekelhaft empfunden wird. Und Fett durchdringt Papier, weshalb es manche schon als Schüler in Form der Pausenbrottüte als penetrant empfunden haben. So ist sie wohl auch wegen dieser Eigenschaft in Misskredit geraten. Bestenfalls wird noch das Wachspapier akzeptiert. Obwohl das bei Zimmertemperatur feste Wachs zum Imprägnieren von Papier noch akzeptiert wird, ist Fett, das beim Anfassen des fettgetränkten Papiers auf die Haut übergeht verpönt. Darin liegt seine subversive Qualität, die im Sinne der Überlegungen zum „Abject“, die Julia Kristiva ausgeführt hat, zur Überwindung des Ekels und mithin zu einem emanzipativen Akt führen kann.[1]

Im Hinblick auf die Kunstgattung der Plastik ist Papier sperrig und Fett zwar gut formbar, doch meist zu weich und chemisch an der Oberfläche reaktionsfähig, so dass es zur Bildung stark riechender Fettsäuren kommt. Diese Eigenschaften führen dazu, dass beide Materialien in ihrer Verschiedenheit auf ihre Weise als grenzwertig zu bezeichnen sind. Das hat künstlerische Konsequenzen darin, dass Demand gerade und rechtwinkelige Formen bevorzugt, während Beuys – und hier greife ich einmal den Ansatz der Anthroposophie auf – sich dem rechten Winkel verweigert. Die Ecken beim Fett sind sehr kurzlebig, weil sie leicht abbrechen oder abschmelzen. Und gerade dies hat Beuys interessiert, denn er hat die Ecken des Raums mit Fett getilgt, wodurch der Raum einer Kugel angenähert wird. Das wurde bisher übersehen, weil sich die Lesart vom Begriff „Fettecke“ leiten ließ und Beuys mit seinen Äußerungen über das Kristalline auch noch eine falsche Fährte ausgelegt hatte.

Demand geht ganz anderen konstruktiven Problemen nach, denn er muss Kleben und Fixieren, die Farben der Räume berücksichtigen, die er rekonstruierend konstruiert. Die Raumverhältnisse müssen so gestaltet werden, dass sie in der Fotografie dem Raumempfinden entsprechend rüberkommen. Dann erscheinen sie wie die Innenarchitektur, die dargestellt werden soll. Demand schafft, um nachzuschaffen, während Beuys durch originäres Schaffen einen imaginären Raum herstellt. Das Werk beider Künstler erfordert eine aktive geistige Tätigkeit, um den durch die Materialien geschaffenen Raum und die diesen konstituierenden  Raumvorstellungen zu begreifen.

Beide Künstler gehen an die Extreme des Raums. Der eine untersucht die Hüllen und geht an die Raumbegrenzungen und der andere geht an die Masse, die den Raum füllt. Dabei muss man bedenken, dass auch die massiven Talgmassen durch Oxydation in Wasserdampf und Kohlendioxyd verwandelt werden können, bis sie für das menschliche Auge unsichtbar geworden sind.

Nicht unerheblich ist die Tatsache, dass beide Materialien, also Papiere wie auch Fette spezifische Gerüche abgeben. Das liegt am Prozess ihrer Gewinnung aber auch an den chemischen Eigenschaften. Papier besteht aus Zellstoff, der mit Wasser und Bleichstoffen aus Pflanzenfasern gewonnen wird, während Fett aus Tieren oder Pflanzen herausgeschmolzen wird. Es handelt sich um reine Produkte, die durch Raffinierung in mehr oder weniger großen Reinheitsgraden aus Lebewesen hergestellt werden. Auch dadurch unterscheiden sie sich von Kunststoffen, Metallen, Gips und Mörtel, die mineralischen Ursprungs und charakteristisch für die Materialien der Plastik sind. Tendenziell sind Papier und Fett nicht sehr beständig. Demand beugt dem durch die fotografische Umsetzung vor, die das vorzeigbare Werk darstellt, und Beuys durch Masse, die sich einer schnellen Auflösung widersetzt.

Das zumindest sind in aller Kürze formuliert die Grundlagen der Distanzierung von der klassischen Kunstgattung der Plastik, die wiederum eine Grundlage für eine Untersuchung der politischen Wirkung beider Künstler sein könnte.

©Johannes Lothar Schröder

Dieser Text entstand nach meinem Einwurf gegen Thomas Demand, der Beuys‘ plastischem Werk die politische Relevanz absprach, nach einer Podiumsdiskussion „Kunst und/oder Politik“ am 12. Juli 2017 in der HfbK, Hamburg. www.hfbk-hamburg.de/250

[1] Vgl. dazu: Johannes Lothar Schröder: Vorsicht bei Fett, Hamburg und Berlin 2016, S. 115-150, Kristeva 130-2

Künstler-Schamane im dokumentarischen Schwarz-Weiß

Zum Film über Beuys von Andres Veiel

Erfreulich, dass mit dem Film von Andres Veiel ein Dokumentarfilm über den Künstler Joseph Beuys entstanden ist. Seine Uraufführung während der Berlinale fand große  Beachtung in den Feuilletons.(*) Die Erwartungen waren hoch und man war neugierig, Neues über den inzwischen legendär gewordenen Künstler der Bundesrepublik (West) zu erfahren. Für die Verbreitung von Legenden indes hat Beuys selbst schon zu Lebzeiten gesorgt. Sie gehen auf seine Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zurück, in dem er als Berufssoldat in einem Sturzkampfbomber als Bordfunker und MG-Schütze Dienst tat.

Diese Zusammenhänge streift der Film nur marginal und muss mithin nicht nur den Ballast der Tatarenlegende mitschleppen sondern kann folglich auch den Mythos nicht wirklich durchbrechen. Veiel hat allerdings zahlreiche filmische Mittel aufgeboten, um dem Publikum das umfangreiche Foto- und Filmmaterial mit heutigen Mitteln und Animationstricks vor Augen zu führen? Die Schwarz-Weiß-Ästhetik mit der Beuys sich am Liebsten damals für das Fernsehen in Szene setzen ließ, wurde gefeiert und durch das Kinoformat ins Monumentale gesteigert. Aus einem Meer von Einzelfotos auf Kontaktbögen wird durch punktuelles Beleuchten einzelner Bilder das damalige Auswahlverfahren zur Herstellung von Abzügen simuliert. Daraus und aus Beta-Cam-Videos sowie 16mm-Filmen entstanden Übertragungen in das heutige digitale Kinoformat. Doch ist es fraglich, ob mehr als eine Faszination am Material erreicht wurde, das ein jüngeres Publikum an die heute unbekannten Medien der 1960er und 70er Jahre heranführt. Mit Erstaunen nimmt man nebenbei zur Kenntnis, dass damals überall geraucht wurde, so dass bisweilen Gesichter von Interviewten hinter Tabakrauch ausgeblendet werden.

Bilder gegen Klischees

Beeindruckend fand ich die Filmsequenz zur Eröffnung des Films, die zeigt, wie Beuys den Raum betritt, Platz nimmt und nervös in einem Band der Zeitschrift FILMKRITIK blättert. Gelesen hat er darin nicht; deshalb werden hier schon Zweifel an der Legende eines souveränen Künstlers wach. Oft sieht man nicht nur hier einen angespannten etwas fahrigen wenn nicht sogar unsicheren Protagonisten. Das lag daran, dass sich Beuys erst in seinen 40er Jahren von der Bildhauerei kommend in die Aktionskunst hineingearbeitet hat. Noch in den 1970ern war Beuys – obwohl allseits bekannt – ständig unter dem Beschuss der Feinde der Aktionskunst (Kunstkritiker und zahlreiche Kollegen), von Politikern und großen Teilen der Bevölkerung. Man vergisst aus heutiger Sicht leicht, dass Beuys sich in dieser Zeit erst nach vorne arbeiten musste, als Wolf Vostell der führende Vertreter von Happening und Fluxus in Deutschland war. Das kann der Film noch nicht hervorbringen, denn diese Art des Künstlerdokumentarfilms mit vorgegebenem Material, wie in Veiel herstellte, ist als Gattung neu. Man sieht schon, welche Arbeit auf diesem Gebiet noch zu leisten ist.

Veiel verwendet aber auch Aufnahmen der Aktion „Celtic“, die im Edinburgh College of Art entstanden ist, wo Beuys Ende August 1970 „Celtic (Kinloch Rannoch), Schottische Symphonie“ an mehreren Tagen wie ein Theaterstück aufführte. Der Film präsentiert jedoch die erneute Aufführung 1971 in Basel, die ein großes Publikum in einer Halle anzog, das hier Zeuge eines Stücks wird, mit dem Beuys auf die Höhepunkte seiner Karriere als Aktionskünstler zusteuerte. Dass beide Aktionen im Ausland stattfanden, belegt, dass ihm dort vorbehaltlose Anerkennung gezollt wurde, während sie in Deutschland jeweils erkämpft werden musste. Die Aktion „Celtic“ führte er wie viele andere mit Henning Christansen auf, der für den musikalisch-technischen Teil der Aktion zuständig war. Auch hier wird ersichtlich, dass Beuys oft von Kooperationen mit anderen Künstlern profitieren konnte. So kam er überhaupt erst durch die Begegnung mit George Maciunas 1963 mit der Aktionskunst in Berührung. Davon sieht man im Film leider nichts. Auch hat Beuys entgegen des Spiels, das er mit dem Begriff „Eurasien“ betrieb, immer wieder den Kontakt gerade auch zu amerikanischen Künstlern gesucht und gefunden, so dass man nicht sagen kann, er hätte die USA und den amerikanischen Lebensstil ignoriert. Dass dies ausgerechnet von Caroline Tisdall in einem Statement verlautbart wird, verdreht die Geschichte. Vielleicht wird hier auch eine offene Rechnung mit Klaus Staeck beglichen – er kommt ebenfalls im Film zu Wort – ,der mit Beuys im Januar 1974 auf einer ersten Reise  in die USA das Terrain sondiert hatte. Mit der Aktion „Dillinger“  in Chicago hat Beuys diesen Besuch dauerhaft in die Kunstgeschichte eingeschrieben, und mit dem Slogan  „energy plan for the western man“, hatte er eine weitreichende Übertragung des Begriffs „soziale Plastik“ ins Englische geschaffen, die auf Vorträgen in den USA gut ankam. Vielleicht wird er sich sogar auf Dauer als schlagkräftiger erweisen als die kunstgattungsspezifische deutsche Bezeichnung.

Konflikte

Dass dieses unerwähnt bleibt, ist ein weiteres Manko des Films, in dem wegen der beeindruckenden Bilder der Aktion „I like America and America likes Me“ der Mythos des Künstler-Schamanen unkritisiert vordergründig bleibt, weshalb schließlich der politische Künstler Beuys nicht wirklich zu verstehen ist. Die revolutionäre Kraft, die man in Beuys sehen mag und die der Film durch die Konzentration auf das Charisma des Künstlers hervorbringen will, erschließt sich nicht allein visuell. Sie muss kunsthistorisch und begrifflich herausgearbeitet werden. Nur mit dem Zeigen seines Äußeren, das selbst ein Kunstprodukt ist, und der Wiedergabe seiner Äußerungen, wird man Beuys nicht gerecht.

Das in Kürze. Wer mehr wissen will, findet in den Ausführungen über die Aktion „Dillinger“ aus dem 5. Kapitel meines Buchs „Vorsicht bei Fett!“ hier auf dem Blog einige Anhaltspunkte.

Johannes Lothar Schröder

 

Hämmern und die Neubestimmung von Bildhauerei

Im Dezember 1941 begann der deutsche Angriff auf die Festung Sewastopol (Das frühere griechische Chersones auf der Halbinsel Krim, das unter byzantinischer Herrschaft zur Stadt des Sebastian wurde, eroberten die Truppen des russischen Zaren 1783.) Eine Erwähnung der Schlacht um die damals bedeutendste Seefestung zum 75. Jahrestag an dieser Stelle ist für den Autor auch wegen eines kunsthistorisch relevanten Umstands von Bedeutung.

Stuka (JU 78) In der Pilotenkanzel sieht man vorne den Piloten und den Bordfunker nach hinten blickend vor dem Maschinengewehr. Illustration vom Autor

Zum ersten ereignete sich im weiteren Verlauf dieses Angriffs die Feuertaufe von Joseph Beuys, der als Funker und Schütze am Bord-Maschinen-Gewehr auf einem Sturzkampfbomber vom Typ JU 87 seinen Dienst verrichtete. In seiner 1965 veröffentlichten Biographie, die er Lebenslauf Werklauf nannte, ordnete er dem Jahr 1942 seine 19. Ausstellung zu, die er „Sewastopol  Ausstellung während des Abfangens einer JU 87“ betitelte. Dabei kann es sich nicht um das Abfangen eines Flugzeugs durch Abfangjäger handeln, weil einen Abschuss in einer Schlacht kaum überlebt hätte, sondern um das Abfangen des Sturzkampfbombers aus dem Sturzflug unter Einsatzbedingungen – also den Übergang in den Steigflug und die Flucht, die die Maschine außer Reichweite der gegnerischen Flugabwehr bringen musste.

Eine zweite mir bekannte Person, Josef Prior, wie Beuys 1921 geboren, erlebte die Zerstörung von Sewastopol aus der Sicht eines Artilleristen. Er wurde als Sohn eines Bauern zur Artillerie eingezogen, weil er mit Pferden umgehen konnte, von denen allein die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs 2,8 Millionen einsetzte. Jede der Batterien eines Artillerieregiments benötigte bis zu 180 Pferde. Allein eine Haubitze vom Kaliber 10,5 cm, für die Prior zuständig war, wurde von sechs Pferden gezogen. Nachdem seine Einheit im August 1941 mit dem Zug über Prag und durch die Ukraine an die Ostfront verlegt worden war, gelangte er mit der 11. Armee auf die Krim, wo er an den Angriffen auf Feodossija, Kertsch und Simferopol beteiligt war, um auch gegen Sewastopol eingesetzt zu werden. Darüber schrieb er: „Während des ganzen Winters lag Sewastopol unter »Feuerzauber«. Ununterbrochen hämmerten unsere Artillerie und Stukas auf die Stadt ein. Sewastopol, das als die stärkste Seefestung der Welt galt, erwies sich mit ihren unterirdischen Befestigungsanlagen wirklich als solche.“[1] Der Kampf um die Stadt dauerte bis zur Einnahme am 4. Juli 1942 ganze sieben Monate und man kann sich gut vorstellen, wie häufig die Maschine, in der Beuys Dienst tat, besonders in der Zeit der konzentrierten Angriffe von Mai bis Juni 1942 starten musste, um jedes Mal eine zerstörerische Fracht von bis zu 500 kg Bomben und Granaten auf die Festung zu werfen.

Der Bauer, der zwar viele der Geschützpferde, die er pflegen und füttern musste, damit sie die schwere und gefährliche Arbeit verrichten konnten, durch Gegenangriffe verlor, hat häufig über seine Erfahrungen gesprochen und auch in einem Buch über Pferde im Landkreis Brilon seine Kriegserfahrungen kundgetan. Nicht so der spätere Künstler Beuys, der zumeist über den Krieg schwieg. Wahrscheinlich lag es daran, dass letzterer dem Werk der Zerstörung so nah kam, wie kaum sonst einer der Angreifer. Rücken an Rücken mit dem Piloten sitzend, konnte er nach hinten aus der Maschine blicken und hatte im Steigflug den besten Blick auf die Wirkung der soeben abgeworfenen Bomben und Granaten. Bei den Luftangriffen auf Sewastopol setzte man die Stukas allerdings erst 1942 ein, um zunächst mit der Artillerie die Flaktürme und andere Flugabwehrein-richtungen der Festung auszuschalten, damit die Angriffe aus der Luft nicht mehr durch Flugabwehrfeuer gefährdet wurden.

Im Hinblick auf die spätere Berufswahl hatte das Zertrümmern der Festung für den Künstler Beuys auch bildhauerische Qualitäten, denn es handelte sich um das Ab- und Herausschlagen von Material aus einer mächtigen Architektur auf einer weitläufigen unterirdischen Konstruktion. Diesen Aspekt bringt die Beschreibung von Prior an den Tag, denn er teilt dem Leser mit, dass er die Geräusche in Verbindung mit dem explosiven Abtragen der Festungsgebäude als ein „Hämmern“ empfand. Die Erfahrung, die in dieser Metapher eingefangen wurde, ist möglicherweise maßgeblich dafür gewesen, das Beuys sich abgesehen von wenigen Objekten, die z.B. aus Holz herausgeschlagen worden sind, für plastische Verfahren und überwiegend weiche Materialien zur Herstellung seiner Werke entschieden hat.

Johannes Lothar Schröder

Anmerkung:
[1] Peter Becker: Leute und Pferde im Kreis Brilon, Podszun Brilon 1998, S. 113-116,
S. 114