statt eines Nachrufs auf Gustav Metzger, der am 2. März 2017 90-jährig in London starb einige Zeilen über Säure als Material in der Kunst
„Säure ist seit jeher ein Werkstoff, mit dem Oberflachen von Plastiken behandelt werden, doch hatte Beuys‘ Aktion offensichtlich nicht mit diesem klassischen Gebiet der Kunst zu tun. Auch wenn die Verwendung von Saure ein Ballast des Alten sein sollte, den Beuys mitschleppte, so wurde sie in der Aktion zu einem Katalysator des Neuen. Des Weiteren hatte es in England aufsehenerregende Experimente mit Saure gegeben, die sich unter interessierten Kunstlern schnell herumgesprochen hatten: 1961 war Gustav Metzger mit seinem Manifest AUTO-DESTRUCTIVE ART hervorgetreten und hatte mit Saure auf Vinyl und Nylon gemalt, um die „Bilder“ im Moment der Herstellung zu zerstören.
Noch bevor sich Beuys durch die Begegnungen mit Nam Jun Paik 1962 und den Fluxus-Kunstlern anlässlich des FESTUM FLUXORUM FLUXUS (Jan. 1963) in Düsseldorf neu orientierte, hatten seine Kollegen und namentlich die vier, die auch in Aachen dabei waren, nämlich Robert Filliou, Arthur Køpcke, Ben Vautier und Emmett Williams, an der von Daniel Spoerri und Filliou organisierten Ausstellung Festival of Misfits in der Gallery One in London vom 23.10. bis 8.11.1961 teilgenommen. Das machte es mehr als wahrscheinlich, dass Beuys Kenntnis von Metzgers Liste mit Materialien der Sich-selbst-zerstörenden-Kunst erlangen konnte, die mit Teilen der Materialien und Gerate, die Beuys für die Aktion in Aachen mitgeführt hatte, übereinstimmte:
„Materialien und Techniken der Sich-selbst-zerstörenden-Kunst umfassen: Saure, Klebstoff, Ballistik, Leinwand, Lehm, Verbrennung, Druck, Beton, Korrosion, Kybernetik, Herabfallen, Elastizität, Elektrizität, Elektrolyse, Elektronik, Sprengstoffe, Feed-back, Glas, Warme, menschliche Energie, Eis, Strömung, Licht, Ladung, Massenproduktion, Metall, Filme, Naturkräfte, Kernenergie, Farbe, Papier, Fotografie, Gips, Kunststoffe, Druck, Strahlung, Sand, Sonnenenergie, Klang, Dampf, Stress, Terrakotta, Schütteln, Wasser, Schweißen, Drahte und Holz.“ (23)
Ein Vergleich ist insofern aufschlussreich, weil zahlreiche der von Metzger aufgezahlten Gegenstande, Kräfte und technischen Methoden auch in den damals neuen Arbeiten von Beuys vorkommen. Besonders auffällig ist, dass Saure an erster Stelle der Liste steht!
Metzger war als Kind von Nürnberger Juden durch einen Eisenbahntransport nach England gerettet und dort von einer Familie aufgenommen worden. Nach der Schule hatte er eine Tischlerlehre absolviert und danach eine Kunstakademie besucht. Unter dem Eindruck der Zerstörung britischer Städte durch den Bau von Schnellstraßen und der Aufrüstung Englands mit Atomwaffen hatte er seine künstlerische Arbeit aufgegeben und sich selbst zerstörenden Verfahren künstlerischen Arbeitens gewidmet. Mit öffentlichen Malaktionen, bei denen er mit Saure auf aufgespannten opaken Kunststofffolien malte, die sich noch wahrend des Malakts auflösten, hatte er für Aufsehen gesorgt. Er nannte es „Auto-destructive-Art“ und demonstrierte das Missverhältnis des künstlerischen Anspruchs, Werke von Dauer zu schaffen, während gleichzeitig die Zerstörungskräfte durch Atomwaffen, die Automobilisierung der Gesellschaft und andere Ergebnisse der technologischen Entwicklung weiter entfesselt wurden. Diese Kunstpraxis demonstrierte aus damaliger Sicht nicht nur das Ende der Kunst angesichts der Möglichkeit einer totalen Auslöschung von Städten und Landstrichen, sondern konkret eine tief empfundene Machtlosigkeit der traditionellen künstlerischen Mittel.(24)
Diese bis heute aktuellen Themen bilden eine Verwandtschaft zwischen beiden Kunstlern, die im Falle von Beuys nach seiner Aktion in Aachen eine besondere politische Bedeutung erlangen sollte und ihn dazu bewegte, Alternativen zu entwickeln.“
Auszug aus dem Abschnitt Säure und sich selbst zerstörende Kunst aus dem 1. Kap. von: Johannes Lothar Schröder, Vorsicht bei Fett! Übersehenes bei Joseph Beuys, Hamburg 2016, S, 73-75.
ISBN 978-3-936406-55-9
Anmerkungen:
(23) Flyer von Metzger, in: (Breitwieser, 2005), S. 117.
(24) Alle Angaben sind dem Band von Sabine Breitwieser, Gustav Metzger. Geschichte Geschichte, Ausstellungskat. Generali Foundation, Wien, Ostfildern-Ruit 2005 entnommen. Ebd