„Ich bin euer Künstler; das verpflichtet mich.“

Dieter Rühmann wird 80

Als Dieter Rühmann 1973 das begehrte Alfred-Lichtwark-Stipendium gewann, düpierte der mit Malerei, Zeichnen, Film, Sprache und Objekten experimentierende Künstler die Jury mit dem Vortrag seiner Agitationsoper, die er zum Dank vortrug, und der Zerstörung seiner Bilder, die er aus den Rahmen schnitt. Was es hieß, zum Roten Tuch für Kunstsachverständige und ein Publikum zu werden, stand für ihn damals nicht im Vordergrund, denn es ging, um mehr, als sich Ausstellungsmöglichkeiten für Bilder zu sichern. Die Bilder selbst standen zur Debatte, und das Lob des Establishments hätte nur von den wesentlichen Fragen abgelenkt.

Den Zwischenrufern in der Hamburger Kunsthalle, die Rühmann gerne in die damals kommunistische DDR verfrachtet hätten, war überhaupt nicht klar, dass sie ihn damit zum Dissidenten im westdeutschen Kunstbetrieb gemacht hätten, denn man nahm damals ja an, dass es „Dissidenten“ nur in den Ländern des Warschauer Pakts geben würde. Warum sollte ein westdeutscher Künstler in der DDR Asyl suchen, wenn für ihn die kommunistische Alternative, wie für viele Protestierende im Westen, in der Volksrepublik China lag.

Weltraum im Kunstraum

Elf Jahre später gab es eine vorsichtige Annäherung an die führende Hamburger Kunstinstitution. Rühmann verbrachte als „Artonaut“ 10 Tage in einer 2x2x2 Meter großen geschlossenen Holzkiste über dem Altbau der Kunsthalle. Er betrachtete seine Klausur im djun-leb vom 9. – 19. Mai 1984 als Weltraumfahrt, die er als Künstler mit einfachen Bordmitteln bewerkstelligte; denn für ihn ging es im Weltraum nicht um Macht und militärische Kontrolle, sondern um die Möglichkeit als Mensch in der Isolation zu sich selbst zu kommen und die Grenzen des Menschen auszukundschaften.

djun-leb,1984, Installationsfoto, (c) Dieter Rühmann

Die auf Monitore innerhalb und außerhalb des Museums übertragene Aktion wurde zu einem Gegenentwurf zur konsumorientierten Lebensweise und zur technologischen und energieverschwenderischen Raumfahrt mit Raketen. Rühmanns Utopie war indes darauf aus, den Stoffwechsel und die Bedürfnisse des Menschen zu reduzierten, um alles Überflüssige wegzulassen zu können. Seitdem ist dieser radikale ökologische Ansatz von bleibender Aktualität, denn die Raumfahrttechnologie hat uns zwar in die Lage versetzt, die Schäden, die die Industrialisierung angerichtet hat, in Echtzeit zu beobachten, doch ist es bisher nicht gelungen, ihre Ursachen zu begrenzen. Im Gegenteil tragen Luft- und Raumfahrt besonders durch die mit ihr verbundene Militär- und Waffentechnologie zur Ausweitung der Schäden bei. Auch dieses Gebiet hatte Rühmann im Blick. Als er 2001 die Büchse der Pandora, eine 400 Meter hohe Plastik, entwarf, die wie ein Schilfrohr mit einer Konservendose an der Spitze im Wind schwingen sollte, dachte er auch an eine Beobachtungsstation der Welt auf der Erde, die ohne Raketen auskommen würde. http://buechsederpandora.de/espresso/index.php Im Verhältnis zur Höhe der Installation wäre die Konservendose kühlturmgroß und würde gleichzeitig als Observatorium und Mahnmal der Verschwendung von Ressourcen fungieren.

Die Herstellung des Menschen als Bild

Das Museum war dem Kunstexperimentator schon 1993 zu eng geworden. Seinen 50 Meter hohen ECCE HOMO stellte er drei Tage lang vor dem Turm der Hamburger Nicolaikirche an der Ost-West-Straße (heute: Willy-Brandt-Straße) aus. Die von einem realen Menschen abgenommene Fotokopie wurde vergrößert und auf 5000 Fotokopien aus Spezialpapier übertragen, um zu einem im Wind rauschenden Feld aus Blättern in der Vertikalen zusammengestellt und ausgestellt zu werden.

Damals jährten sich die alliierten Bombenangriffe auf die Hansestadt zum 50. Mal. Nicht alle dachte bei diesem Thema an Superlative, doch Rühmanns ECCE HOMO war definitiv das größte je in Hamburg gezeigte Bild eines Menschen. In einem Statement, in dem er wie oft in seinen Werken auch seine Gefühle bei der Arbeit und sein Verhältnis zur Rolle als Künstler offen legte, gab er seine Befriedigung über die gelungene Installation bekannt und verkündet zudem, dass dieses Bild ihn nahe an seine ideale Vorstellung von seiner Arbeit als Künstler gebracht habe:

„Ich anerkannte den Fotokopierer als Vervielfältigungsgerät. Es sollte mir eine Kopie des Menschen herstellen, einen Abdruck, in meinen Augen ein reines, unverfälschtes Bild des Menschen. Dieses Gerät sollte statt meiner machen. Ich wollte dabei sein und zuschauen, wie es den Menschen abbildet.
(…)
Ich erlebte wie ein Mensch, das Individuum, das sich mir als Modell zur Vergnügung stellte, in seiner Abbildung so viel von seiner Individualität verlor, dass er zum Zeichen wurde. Zum Zeichen des Menschen.
(…)
»Mein« Bild des Menschen setzte sich inzwischen aus vielen Generationen zusammen, bis es eine Größe erreichte, die ich in meinem Atelier nicht mehr ansehen konnte. Von da an bis zur Größe des Kirchturms hatte ich nur noch nummerierte Fragmente vor Augen. Ich verstand das Bild nicht mehr, seinen lebendigen Zusammenhang nicht. Stattdessen nummerierte ich Blätter mit abstrakten Formen, die der Kopierer ausspuckte.“

(Statement des Künstlers 1993)

Dieter Rühmann, ECCE HOMO, 1993, (c) Dieter Rühmann

Diese Äußerungen Rühmanns belegen, dass sein Künstlerethos von der Maschine inspiriert worden war. Damit ergänzte er die Ansicht Andy Warhols, der von sich sagte, er sei eine Maschine durch die Auffassung, sich in ihren Dienst zu stellen, womit er sich wie ein mittelalterlicher Künstler einer höheren Macht unterwarf. Das hatte zur Konsequenz, dass er das Ergebnis seines Schaffens nicht mehr visuell kontrollieren, sondern nur noch indirekt steuern konnte. Die Übersicht behielt er bis zur Aufhängung des Bildes durch Nummerieren und Organisieren sowie die Konstruktion eines Mechanismus, mit dem das Bild vor dem Turm mit zwei Teleskopkränen hochgezogen werden konnte.

Im Moment des Sichtbarwerdens des gesamten Bildes ereignete sich dann etwas, für das die Moderne den Blick verloren hatte. Es entfaltete sich ein Werk, das sich jenseits der Kontrolle des Künstlers ereignete, und ihm letztlich als Fremdes entgegentrat. Er fasste den Eindruck in Worte:

„Das Bild des Menschen war noch größer geworden als meine Vision. Mir war, als habe man mir eine Binde von den Augen genommen, und ich sah, dass ich bisher nur an einem einzigen Bild gearbeitet hatte, am Bild des Menschen. Dort hing er also. Seht, welch ein Mensch.“, schrieb Rühmann 1993, nachdem er erlebt hatte, wie sich das Bild Abschnitt für Abschnitt vor dem Kirchturm entfaltet hatte. Als Wind durch die frei hängenden Einzelblätter fuhr, erzeugte er das Raunen eines vorbeifliegenden Vogelschwarms.

(c) Johannes Lothar Schröder

 

Das Buch „Bilder und Gefühle verwerfen“ über Dieter Rühmann, Boris Nieslony und Annegret Soltau ist in Vorbereitung. Nach dem Erscheinen im ConferencePoint Verlag wird es im Buchhandel und beim Autor zu bestellen sein.

Adrenalinmassaker feinliniert auf makellosem Zeichenpapier

„AS IF“, Ralf Ziervogel, in den Deichtorhallen, Sammlung Falkenberg in Harburg

Kreis- und Kettensägen, Bohrer, Elektrohämmer, Schraubendreher, Dildos, Butt-Plugs, Schleifmaschinen, Laptops, Flüssigkeiten aller Art und mehr werden ihnen zum Verhängnis, wenn sie aufeinander losgehen. Es ist der Lärm der Arbeits- und Haushaltsgeräte, der vielen Menschen eine Bestätigung ihrer Existenz bietet, wenn spirituelle und transzendente Verbindungen nicht mehr kraftvoll genug sind, um das Leben mit Sinn zu füllen. Die trostlose Welt langweiliger Routine, manischer Konsum und permanenter Kämpfe in den schlaflosen Metropolen erfüllt viele Menschen mit dem Drang, ihre sinnlose Existenz mit Drogen erträglich zu machen oder ihre Angst mit Waffen zu bekämpfen.

Paraden grotesker Gewalt

Ralf Ziervogel spielt Gott und hat zeichnend eine Auswahl nackter Menschen in die Quarantäne seiner weißen Zeichenpapiere gesetzt. Hintergrundlos fliegen und schweben aufgeriebene und zerfetzte Menschenleiber zwischen verschiedenen Dingen herum. Fein gezeichnete Linien, die Geschoßbahnen, pulsierendes Blut, hausgerissene Sehnen und Nerven darstellen, verbinden sie zu Konglomeraten oder binden sie in Muster ein. Mit Spritzen bestückte Hautfetzen ornamentieren verklumpte Torsi und Extremitäten, die auf bis zu 10 Meter hohen Bahnen makellosen Spezialzeichenpapiers arrangiert werden. Aus der Fernsicht verschwinden die hässlichen Details und man blickt auf Netze, die von einer Parade von durch Gewalt in Verbindung stehenden Menschen auf einem Gerüst oder auf Hängebrücken gebildet werden, die bisweilen die Gestalt einer Partitur annehmen können. Wenn man weiß, dass die Gewalt der Musik auch erst im Konzertsaal hervortritt, so fällt hier die schwierige Aufgabe der Orchestrierung der Seheindrücke keinem Dirigenten zu, sondern die Vervollständigung und Einordnung der Bilder erfordert einen nachdenkenden Betrachter. Wer kein Voyeur sein will und zufrieden damit ist, die hochkonzentrierte Kunst eines ausdauernden Zeichners zu bewundern, muss sich fragen, wohin die jeweils monatelange Arbeit an Tausenden blutrünstiger Details mit spritzendem Blut und anderen Flüssigkeiten ohne einen einzigen unabsichtlichen Tuscheklecks führt?

Ralf Ziervogel, Immobilie, 2004, Ausschnitt, ca. 160×110 cm

Ziervogel hat die Stürzenden und Fallenden im Business-Dress, die Robert Longo in den 1980er bekannt gemacht haben, entkleidet. Er gibt sie nicht nur nackt wieder, sondern nimmt ihnen auch noch jeden lokalen oder territorialen Bezug, und sie haben Pfunde zugelegt. Historisch andere unerträgliche Zustände führten Günter Brus zu Aktionen und zeichnerischen Untersuchungen seiner Existenz, um die Auswirkungen der Gewalt zu bearbeitet, die in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Österreich noch allgegenwärtig war. Dabei stellte er sich anfänglich meist selbst als Opfer ins Bild, so dass man den Hintergrund in Wien, im Berliner Exil und in Europa (die literarischen Bezüge der Text-Bilder) mitdenken konnte. Bei Ziervogel lässt der weiße Zeichengrund die Figuren bindungslos und ohne Kontext erscheinen und nimmt den Massakern ihren Schauplatz. Wenn überhaupt eine Verortung benennbar ist, dann wäre es der Abgrund – nur einmal ruft er – nicht ohne Humor – eine Schweizer Gegend auf, in der wohl die gelb gemalten Sackgesichter beheimatet sind. Sind also am Ende die meisten Männer, Frauen und Kinder seiner Bilder Märtyrer? Wofür oder wozu sie leiden bleibt unbestimmt.

Die Nichtigkeit der Individuen

Trotz all dieser nicht jugendfreien Gewalt und Sexualität könnten diese Riesenformate in eine Lobby hängen, wo sie sich sowieso kaum jemand aus der Nähe anschaute, insofern eine Nahsicht zum Erkunden der Details überhaupt noch naheliegend wäre. Diese Tatsache zeigt, wie klein und belanglos das Wüten jedes dieser Individuen tatsächlich ist. Aus der Ferne gleichen die Zeichnungen Wimmelbildern und den Bildern der niederländischen Künstler, die zur Vorgeschichte dieses Sujets gehören. Menschen und Gruppen von Menschen, in bis heute rätselhaften Zusammenstellungen schuf Hieronymus Bosch mit Bildern von Himmel und Hölle. Auch die Gemälde der Brueghels mit summarischen Darstellungen von Kinderspielen, Sprichwörtern sowie von Karnevals- und Fastenbräuchen etc. im Getümmel auf Dorfplätzen gehören in diese Kategorie. Triftige Zusammenstellungen von Szenen weisen auch spätmittelalterliche Höllendarstellungen auf, die bis in die Renaissance hinein Kirchen außen und innen schmückten. Hier sind außerdem massenhaft Nackte zu sehen, die Ziervogels Figuren überraschenderweise sogar mit dem christliche Totsündenschema in Verbindung bringen; denn sie töten, prassen, sind lüstern, überfressen, gierig, sex- und rachsüchtig und viel mehr. Doch die Hand des zeitgenössischen Künstlers sortiert die Menschen anders als die Gotteshand. Ziervogels Figuren sind alles andere als demütig. Sie tun gerade das Gegenteil, sie haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Sie kämpfen noch während sie in Fetzen durch die Luft fliegen.

Ralf Ziervogel, Tuschezeichnung und Sprühlack, Seitenansicht

Den Himmel auf Erden haben sie nicht gefunden, also machen sie sich und ihresgleichen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Hölle heiß. Die „Deterritorialisierung“ (Deleuze/Guattari) hat die Existenz der Abgebildeten an den Rand eines Zustands getrieben, der in den Religionen als Hölle beschrieben wurde. Selbst das Feuer hat auf den Blättern Spuren in Gestalt mit mattschwarz besprühten Flächen in Gestalt von Rauch- und Rußfahnen hinterlassen.

© Johannes Lothar Schröder

P.S.: Noch viel mehr lässt sich beobachten und auffinden, wenn man die zahlreichen Klein- und Großformate genau inspiziert. Auffallend sind die Blätter mit Fingerabdrücken und winzigen Zahlenkombinationen.

Ralf Ziervogel, Ech, 2016, Bodyprint und Zeichnung, Detail

Neueren Datums sind Body-Prints. Hier werden Finger, Arme, Penisse und andere Körperteile seriell als Objektdrucke gesetzt, bis sie sich zumindest soweit zu Ornamenten fügen, dass sie sich wieder öffnen können, um Verbindung mit der anschließenden Druckfolge aufzunehmen.

Die Ausstellung bis 27. Januar 2019, Wilstorfer Straße 71, 21073 Harburg
Weitere Infos und interessantes Begleitprogramm: www.deichtorhallen.de/ralfziervogel

Klingen in Hüllen

Die Ankündigung der „performativen Skulptur“ „in-visible“ von Florian Huber als 2. Akt des Stückes „Regeldrama“ ruft die KATASTASE auf, die im antiken griechischen Drama die Bewusstwerdung der Protagonisten bezeichnet, die aufbegehrend zur Erkenntnis kommen und sich schließlich handelnd wiederfinden. So begegnen sie dem Verlust des kindlichen Einvernehmens mit dem Leben, denn als Heranwachsende müssen sie sich nunmehr Tod und Gewalt stellen und erfahren Schmerzen.

Huber hat ein Bild dafür gefunden, das er als Installation mit 30 Meter S-Draht aufgebaut hat. Seine Aktion verändert diesen mit messerscharfen Klingen bewehrten spiralig ausziehbaren Draht mit Schafsdarm. Geduldig schiebt er Meter um Meter des für die Wurstherstellung gereinigten Dünndarms zunächst auf ein Stück Schlauch, mit dessen Hilfe er das zarte aber unglaublich feste Gewebe schließlich um den klingenbewehrten Draht zieht.

Florian Huber, KATASTASE (performative Skulptur), 2025 Kunst und Kultur e.V., Hamburg, Foto: johnicon @VG Bild-Kunst

Martialische Sperren

Durch die Aktion wird der Draht umhüllt und seine Gefährlichkeit zumindest symbolisch reduziert. Das ist der Befund, doch hat das Stück heute weitgehende Implikationen, weil es in einem Europa spielt, in dem die einige Jahrzehnte offenen Grenzen im vermehrten Maß wieder geschlossen werden. Wer an den messerscharfen Klingen hängen bleibt, riskiert beim Versuch, solche martialischen Absperrung zu überwinden, sich im federnden Draht immer stärker zu verheddern und schließlich zu verbluten.

Der Logik des Stückes und der Technologie des Drahts folgend umhüllt der Darm die scharfen Zacken real und dämpft zumindest symbolisch ihre Schärfe. Doch lässt sich im Draht, der mit dem transparenten tierischen Gewebe symbolisch-wahnwitzig gebändig wird, im Hinblick auf die Menschen und Gemeinwesen, die sich dahinter verschanzen, auch eine weitere Aussage lesen. Es zeigt sich das Selbstbild derjenigen, die sich einzäunen. Die Einheger, die sich von Schmerz, ja sogar von Unbequemlichkeit, befreien wollen, vermeiden es offensichtlich, sich der Katastase zu stellen und versuchen so das eigene Erwachsenwerden zu umgehen. Daher muss denen, die sich hinter Drahtverhauen verschanzen, eine narzisstische Störung unterstellt werden. Sie wollen ihrer kindlichen Bruchlosigkeit nicht entwachsen und versuchen diejenigen aufzuhalten, die erwachsen genug sind, um zu handeln. Diese versuchen unerträglichen Verhältnissen zu entkommen und werfen sich wie die jungen Helden des antiken Dramas in die Welt. Auf ihrer Flucht haben sie schon bewiesen, dass sie mit solchen Hindernissen fertig werden können, was natürlich die Furcht derer, die sich in ihrer EXPOSITION (1. Akt von „Regeldrama“) einigeln, noch erhöht.

Zeitdimension der Aktion

Das Besondere des Stücks ist die Dauer der Handlung, die sich in ihrer handwerklichen Einfachheit dem Zuschauenden schon nach einem Durchgang erschlossen hat. Dennoch blieben die meisten Anwesenden, allein um dem Künstler beizustehen oder um den Fortgang der Aktion zu gewährleisten. Eine stille Anfeuerung vielleicht für eine Fortsetzung

Florian Huber, KATASTASE (performative Skulptur), 2025 Kunst und Kultur e.V., Hamburg, Foto: johnicon @VG Bild-Kunst

des Tuns, das man langweilig nennen könnte, wenn es nicht eine Aufgabe enthalten hätte, wie z.B. über das Gesehene nachzudenken. Dabei ist die Zeit nicht unerheblich, die uns im Alltag offensichtlich so oft fehlt und der man auch im Theater kaum begegnet, wo es immer Schlag auf Schlag gehen muss. Hier wird eben die Symbolik, von der man meint, dass sie eine Kurzform ist, zu einer Langform: Die Durchführung des Symbols – also des Drahts durch den Darm – erwies sich als ausgesprochen langwierig und veränderte so auch den Symbolbegriff hin zum Erkenntnisakt, der wiederum in der Vorstellung einer konkreten leiblichen Handlung einen äußerst scharfen Schmerz evozieren könnte.

Trotz allem leben wir heute nicht mehr in der Antike und wollen das Schauspiel der Folter nicht geboten bekommen, weshalb Künstler Möglichkeiten wie diese Performance ersinnen. Sie arbeiten daran, wenn auch symbolisch, den Schmerz zu bezwingen. Doch ist das nur ein weiterer Hinweis darauf, dass er uns in welcher Weise auch immer, weiter quält.

Die Aktion fand statt am 13. 10. 2017 im 2025 Kunst und Kultur e.V. Ruhrstrasse 88  (Im Hinterhof, gr. zweispurige Toreinfahrt, bis zum Ende durchgehen), 22761 Hamburg.      Dort wird am 20.10. von 20-23 h Retardation, der 3. Teil des Stückes „Regeldrama“ (in 4 Teilen) gezeigt.