Künstler-Schamane im dokumentarischen Schwarz-Weiß

Zum Film über Beuys von Andres Veiel

Erfreulich, dass mit dem Film von Andres Veiel ein Dokumentarfilm über den Künstler Joseph Beuys entstanden ist. Seine Uraufführung während der Berlinale fand große  Beachtung in den Feuilletons.(*) Die Erwartungen waren hoch und man war neugierig, Neues über den inzwischen legendär gewordenen Künstler der Bundesrepublik (West) zu erfahren. Für die Verbreitung von Legenden indes hat Beuys selbst schon zu Lebzeiten gesorgt. Sie gehen auf seine Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zurück, in dem er als Berufssoldat in einem Sturzkampfbomber als Bordfunker und MG-Schütze Dienst tat.

Diese Zusammenhänge streift der Film nur marginal und muss mithin nicht nur den Ballast der Tatarenlegende mitschleppen sondern kann folglich auch den Mythos nicht wirklich durchbrechen. Veiel hat allerdings zahlreiche filmische Mittel aufgeboten, um dem Publikum das umfangreiche Foto- und Filmmaterial mit heutigen Mitteln und Animationstricks vor Augen zu führen? Die Schwarz-Weiß-Ästhetik mit der Beuys sich am Liebsten damals für das Fernsehen in Szene setzen ließ, wurde gefeiert und durch das Kinoformat ins Monumentale gesteigert. Aus einem Meer von Einzelfotos auf Kontaktbögen wird durch punktuelles Beleuchten einzelner Bilder das damalige Auswahlverfahren zur Herstellung von Abzügen simuliert. Daraus und aus Beta-Cam-Videos sowie 16mm-Filmen entstanden Übertragungen in das heutige digitale Kinoformat. Doch ist es fraglich, ob mehr als eine Faszination am Material erreicht wurde, das ein jüngeres Publikum an die heute unbekannten Medien der 1960er und 70er Jahre heranführt. Mit Erstaunen nimmt man nebenbei zur Kenntnis, dass damals überall geraucht wurde, so dass bisweilen Gesichter von Interviewten hinter Tabakrauch ausgeblendet werden.

Bilder gegen Klischees

Beeindruckend fand ich die Filmsequenz zur Eröffnung des Films, die zeigt, wie Beuys den Raum betritt, Platz nimmt und nervös in einem Band der Zeitschrift FILMKRITIK blättert. Gelesen hat er darin nicht; deshalb werden hier schon Zweifel an der Legende eines souveränen Künstlers wach. Oft sieht man nicht nur hier einen angespannten etwas fahrigen wenn nicht sogar unsicheren Protagonisten. Das lag daran, dass sich Beuys erst in seinen 40er Jahren von der Bildhauerei kommend in die Aktionskunst hineingearbeitet hat. Noch in den 1970ern war Beuys – obwohl allseits bekannt – ständig unter dem Beschuss der Feinde der Aktionskunst (Kunstkritiker und zahlreiche Kollegen), von Politikern und großen Teilen der Bevölkerung. Man vergisst aus heutiger Sicht leicht, dass Beuys sich in dieser Zeit erst nach vorne arbeiten musste, als Wolf Vostell der führende Vertreter von Happening und Fluxus in Deutschland war. Das kann der Film noch nicht hervorbringen, denn diese Art des Künstlerdokumentarfilms mit vorgegebenem Material, wie in Veiel herstellte, ist als Gattung neu. Man sieht schon, welche Arbeit auf diesem Gebiet noch zu leisten ist.

Veiel verwendet aber auch Aufnahmen der Aktion „Celtic“, die im Edinburgh College of Art entstanden ist, wo Beuys Ende August 1970 „Celtic (Kinloch Rannoch), Schottische Symphonie“ an mehreren Tagen wie ein Theaterstück aufführte. Der Film präsentiert jedoch die erneute Aufführung 1971 in Basel, die ein großes Publikum in einer Halle anzog, das hier Zeuge eines Stücks wird, mit dem Beuys auf die Höhepunkte seiner Karriere als Aktionskünstler zusteuerte. Dass beide Aktionen im Ausland stattfanden, belegt, dass ihm dort vorbehaltlose Anerkennung gezollt wurde, während sie in Deutschland jeweils erkämpft werden musste. Die Aktion „Celtic“ führte er wie viele andere mit Henning Christansen auf, der für den musikalisch-technischen Teil der Aktion zuständig war. Auch hier wird ersichtlich, dass Beuys oft von Kooperationen mit anderen Künstlern profitieren konnte. So kam er überhaupt erst durch die Begegnung mit George Maciunas 1963 mit der Aktionskunst in Berührung. Davon sieht man im Film leider nichts. Auch hat Beuys entgegen des Spiels, das er mit dem Begriff „Eurasien“ betrieb, immer wieder den Kontakt gerade auch zu amerikanischen Künstlern gesucht und gefunden, so dass man nicht sagen kann, er hätte die USA und den amerikanischen Lebensstil ignoriert. Dass dies ausgerechnet von Caroline Tisdall in einem Statement verlautbart wird, verdreht die Geschichte. Vielleicht wird hier auch eine offene Rechnung mit Klaus Staeck beglichen – er kommt ebenfalls im Film zu Wort – ,der mit Beuys im Januar 1974 auf einer ersten Reise  in die USA das Terrain sondiert hatte. Mit der Aktion „Dillinger“  in Chicago hat Beuys diesen Besuch dauerhaft in die Kunstgeschichte eingeschrieben, und mit dem Slogan  „energy plan for the western man“, hatte er eine weitreichende Übertragung des Begriffs „soziale Plastik“ ins Englische geschaffen, die auf Vorträgen in den USA gut ankam. Vielleicht wird er sich sogar auf Dauer als schlagkräftiger erweisen als die kunstgattungsspezifische deutsche Bezeichnung.

Konflikte

Dass dieses unerwähnt bleibt, ist ein weiteres Manko des Films, in dem wegen der beeindruckenden Bilder der Aktion „I like America and America likes Me“ der Mythos des Künstler-Schamanen unkritisiert vordergründig bleibt, weshalb schließlich der politische Künstler Beuys nicht wirklich zu verstehen ist. Die revolutionäre Kraft, die man in Beuys sehen mag und die der Film durch die Konzentration auf das Charisma des Künstlers hervorbringen will, erschließt sich nicht allein visuell. Sie muss kunsthistorisch und begrifflich herausgearbeitet werden. Nur mit dem Zeigen seines Äußeren, das selbst ein Kunstprodukt ist, und der Wiedergabe seiner Äußerungen, wird man Beuys nicht gerecht.

Das in Kürze. Wer mehr wissen will, findet in den Ausführungen über die Aktion „Dillinger“ aus dem 5. Kapitel meines Buchs „Vorsicht bei Fett!“ hier auf dem Blog einige Anhaltspunkte.

Johannes Lothar Schröder

 

„Vorsicht bei Fett!“ ist erschienen

Aktionen von Joseph Beuys neu gesehen

(zu den Links bitte nach unten rollen!)

In dem Buch setze ich mich mit bisher übersehenen Zusammenhängen auseinander, die für die Aktionen von Joseph Beuys maßgelblich sind. Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Betrachtung von Objekte und Installationen des umstrittensten deutschen bildenden Künstlers in den 1960er bis 1980er Jahren und hat auch Konsequenzen für die Kunstgeschichte; denn durch die Darlegungen über Fett, Kaninchen und Hasen, Fliegerei, Trauma, Ritual und homo sacer ergeben sich neue Möglichkeiten, Beuys zu sehen und die Werke anderer Künstler zu betrachten.

Titelblatt und Klappentext, johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Titelblatt und Klappentext, johnicon, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Das Paperback hat 312 Seiten und 29 teils farbige Abbildungen von Illustrationen des Autors, wird bei Conference Point verlegt und kostet 18 Euro. Es kann über den Buchhandel  (ISBN 978 – 3 – 936406 – 50 – 4) oder beim Verlag bezogen werden.
Wer möchte, bestellt es beim Autor per E-Mail: jo.lo.sc@gmx.de.

Der hier im Blog (Jan. 2016) veröffentlichte Beitrag über Joseph Beuys als John Dillinger ist Teil des 5. Kapitels.

 

Die beiligende Liste der Links soll das Aufrufen der Links, die im Buch genannt werden, erleichtern.

zum Vorwort

http://www.performance-festival.de/2005/start.html

zu Kap. I

http://www.deutschlandfunk.de/vertuschte-vergangenheit-der-fall-schwerte-und-die-ns.700.de.html?dram:article_id=79412 (vom 18. Februar 2014)

https://ms-plueth.de/icm-48086-1/48-wwii-dt.-luftwaffe-piloten-und-bodenpersonal-in-winteruniform (am 24.10.2014)

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/632221/ (05.11.13)

http://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Wigman (04.02.2015)

http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/143118/uebertragung-der-olympiade-1936 (04.02.2015)

zu Kap. II

http://deu.anarchopedia.org/Georg_Elser

http://www.deutschlandfunk.de/vertuschte-vergangenheit-der-fall-schwerte-und-die-ns.700.de.html?dram:article_id=79412 (18. Februar 2014)

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19285864.html/

http://www.zeit.de/2007/30/Heinrich-Luebke/komplettansicht/

zu Kap. III

http://einstellungsraum.de  genaue angabe

http://www.gutefrage.net/frage/warum-sagt-man-bombenwetter, Antwort von Bautzmann vom12.07.2012 (aufgerufen am 5.1.2015)

http://www.fremdwort.de/suchen/bedeutung/blockbuster (aufgerufen am 5.1.2015)

zu Kap. IV

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/joerg-herold-verfolgte-den-beuys-mythos-bis-auf-die-krim-und-dokumentiert-seine-ermittlungen-in-der-galerie-eigen—art-kein-fett–kein-filz,10810590,9900314.html

https://www.wired.de/collection/latest/un-konferenz-gesteht-tieren-kultur-zu (29. Juni 2015)

http://www.jugend1918-1945.de/thema.aspx?s=3504&m=3440&open=3504(12. Feb. 2014)

http://www.zeit.de/1968/51/kein-fall-fuer-mich (10.11.2014)

http://mmk-frankfurt.de/de/sammlung/werkdetailseite/?werk=2003%2F134

Margolles  http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/kunst-die-schoenen-und-die-leichen-1161900.html (4.4.2016)

http://www.thisisliveart.co.uk/projects/performance-and-politics-in-the-1970s/ Video on vimeo, Part I, (4.4.2016)

Grundlegende Informationen auf: http://epigenetics.uni-saarland.de/de/links/, http://epigenetics.uni-saarland.de/de/home/ (mehrere Besuche 2015)

zu Kap. V

http://it.wikipedia.org/wiki/Complesso_aeroportuale_di_Foggia (07.06.2012)

(Waelde et al., 2001) https://isst-d.org/default.asp?contentID=75 (besucht am 25. Jan. 2016)

ein Holzkeil mit dem Titel „Ende der Implosion“ 1973, http://pinakothek-beuys-multiples.de/de/product/hier-ende-der-implosion/ (besucht am 19. Januar 2016)

Hinweis von Willoughby Sharp in einem Interview für Artforum, Dec. 1969, S. 46, http://pinakothek-beuys-multiples.de/de/product/vakuum%E2%86%94masse/ (besucht am 19. Januar 2016)

http://pinakothek-beuys-multiples.de/de/product/schlitten/ (besucht am: 12. Januar 2016)

zu Kap. VI

http://www.moma.org/collection/works/35478

http://www.lindamontano.com/14-years-of-living-art/living_art/index.html

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/632221/

 

Rethinking 100 Years of “KARAWANE”

– Ein vergleichbarer Text in deutscher Sprache wurde in diesem Blog im Februar 2016 zum 100-sten Jahrestag der Gründung des Cabaret Voltairs in Zürich veröffentlicht

– In an other text in this blog, which is about the first opening of the Cabaret Voltaire 100 years ago please find diagrams of the photographs.

Compared to the reproduction of a lost painting of Marcel Janko, which shows the interior of the Cabaret Voltaire in Zurich, some contradictions appear in the photograph of Hugo Ball receiting his poem „KARAWANE“ June 23rd 1916. So there is the question: What happened in the bar of immigrants around 1916 and what did artists when not performing there to make a living in these hard times and to reflect the situation?

Hugo Ball receiting KARAWANE, 1916 (Quelle: H. Ball 1886 - 1986, Leben und Werk, Pirmasens 1986, S. 134

Hugo Ball receiting KARAWANE, 1916 (Quelle: H. Ball 1886 – 1986, Leben und Werk, Pirmasens 1986, S. 134

Examining the picture of Ball in his costume we see the artist-philosopher standing on a carpet in front of an undefined wall. It looks provisory and seems to be from cardboard or plywood. The curtain could deliver an argument for the stage but one of the manuscripts on the music-stands is overlapping it. This set does not look very much like a stage in a cabaret. They might have had curtains but why they cover the wall and not the stage?

Curtains in front of walls however are common however in a photographer’s studios. And there is an other photograph showing Ball in front of a camera around the same year 1916. The picture shows the same carpet; however a person appears in a different costume, which hides the face under a roll of paper with a huge “13” replacing the artist’s eyes, ears, nose and mouth. That makes him silent, without sight, dump and unable to scent. Topped with a top hat it represents a bourgeois, not being able to open his senses for the situation full of innovations and chances.

Hugo Ball receiting KARAWANE, 1916 (Quelle: Raoul Schrott, Dada 15/25, Köln 2004, S. 54)

Hugo Ball and the poem 3 PIFFALAMOZZA, 1916 (Quelle: Raoul Schrott, Dada 15/25, Köln 2004, S. 54)

The way of innovations

The print of a lost painting of Marcel Janco of 1916 illuminates the space and the atmosphere of the cafe-house of immigrants with Dadaists performing simultaneously on a stage in front of a small space filled with an audience. Being aware of such a stuffed place filled with a smoking audience one may ask, where a photographer with a tripod would find a stand with a clear view during a life act on a small stage?

Marcel Janco, lost painting of 1916 (Vorlage: Arche Literatur Kalender 16.-22. Feb. 2015)

Marcel Janco, lost painting of 1916 (Vorlage: Arche Literatur Kalender 16.-22. Feb. 2015)

The observations on documents about the happenings at the Cabaret Voltaire and their quotations over the decades may lead an observer to reflect about the character of innovations. It is remarkable that artists and researchers have been attracted by the few documents about DADA, especially the rare ones about the short Dadaistic career of Hugo Ball, without getting to the crucial point in it. Finding the Dadaistic spirit in chaos and anarchy they missed the nicely planned and directed part in the work of Hugo Ball who was smart enough to consult a professional photographer and rehearse the visual part his performance in a studio. As the former dramaturge of the Münchner Kammerspiele he and the unknown photographer were able to produce the relicts of his ephemeral artworks for the future and to create an image, which looks as if it was taken during the performance. Taking that in account it becomes obvious that it is the un-authenticity of the image, which is responsible for the iconic character it has for DADA until today.

Also the typography of the poem is famous, although it is not fully understood either. We do not know how it sounded in 1916, but nevertheless we call it a sound-poem, as the changing characters give the idea of changing voices. Both of the documents of “Karawane” are “simulacra” in the sense of the “hyperreal” (Jean Baudrillard) that transform the surface of everything undergoing the forces of human activity, which is making everything “real” but destroying its metaphysics.

To give an idea of that, which is destroyed, Ball described the performance very precisely in his diary and called the reading of the poem different from the visual appeal of the poem in various types, monotonous like a litany. By giving it the appeal of a collective ritual in catholic churches Ball recalls the metaphysics missing today. It was not only stress that motivated him to leave the dada-circus shortly after that and beginning his study in the history of Christianity. He was a taboo-breaker and doing so he became aware of his time, which makes him after Nietzsche a protagonist in reflecting the trap of modernity.

Referring to Balls writings on “Byzantine Christianity” in the 1920s it becomes evident, that the “Bishop” of “Karawane” was one of the “saints” and “heroes” Ball was searching for, when he looked for ways to tame the “furor teutonicus”, which he was part of. At the outbreak of World War I Ball himself tried to become a volunteer in August 1914 however he was invalided out for health reason. It becomes obvious, that he worked on the attraction of war, which got so many artists and intellectuals, who – surprising to us –  were excited by war and numerously volunteered. Being aware of this we can see that Balls turn to his two iconic figures is a way to seek distance from that involvement and find out way he became intrigued into this. In unpublished notes for a foreword to his polemic “Kritik der deutschen Intelligenz” (Bern 1919) Ball states, that the gesture of “the rebel disappeared”. Instead he was seeking for ways to integrate the desire of the savage, which was another big issue of DADA.

@ Johannes Lothar Schröder