Ein neuer Wettstreit der Künste

Der Kunstverein Hamburg organisiert zusammen mit dem Deutschen SchauSpielHaus „Jed Martin. Die Karte ist interessanter als das Gebiet“ nach dem Roman „Karte und Gebiet“ von Michel Houellebecq. Dieses Double Feature aus Ausstellung und Theaterstück wurde von Bettina Steinbrügge, Anita Schmid und Christoph Luser kuratiert. Verbunden werden beide Teile als Eröffnungsfeierlichkeit der Ausstellung mit einem kleinen Spaziergang vom Theater in der Kirchenallee zum Kunstverein am Klosterwall, wobei am 21. April schon ein Teil der Zuschauer, die den Weg in die Kunsthalle einschlugen, verloren ging. Ein interessanter Umstand, weil sich daraus ablesen lässt, dass Theaterbesucher um Kunst zu sehen reflexartig die Kunsthalle und nicht den Kunstverein ansteuern. Vielleicht kann die Besonderheit des Projekts das verändern, indem die Ausstellungseröffnung als „Theatrale Feierlichkeit“ während der bis zum 18. Juni laufenden Ausstellung ritualisiert wiederholt wird. So finden am 16. und am 21. Mai jeweils um 19h im Schauspielhaus und um 20:30h im Kunstverein die dritte und vierte Aufführung der Eröffnung der Ausstellung statt. Das ist ein gewaltiges Rufzeichen, und außerdem zieht eine Eröffnung ja immer mehr Zuschauer an als eine laufende Ausstellung. Es wird sich zeigen, ob diese Überlegung aufgeht; denn man muss ja mit der Frage einhaken: Ist Theater schon Ritual oder ist eine Ausstellungseröffnung ein Theater?

Nach einem Stück, das Versatzstücke aus dem genannten Roman und anderen Quellen als Dialog, Monolog, Statement etc. verlautbarte, um eine Idee zu vermitteln, was in einem Künstler vorgehen könnte oder auch nicht, entstand Leere und auch Ratlosigkeit; denn mit der Erforschung dieser Fragen haben sich schon viele WissenschaftlerInnen beschäftigt. Ist aber der Zauber aufzulösen, der von der Kunst ausgeht? Er verlangt doch vielmehr nach Wiederholung.  Die Ausweitung einer Ausstellungseröffnung zu einer „Theatralen Feierlichkeit“ orientiert die Besucher schließlich auch in Richtung auf ein ‚wir wollen mehr!‘ und bietet einen Vorgeschmack auf die diesjährigen Großereignisse, die an so vielen Orten aufwendig in Szene gesetzt und gefeiert werden. Dazu zählen das Theater der Welt in Hamburg, die documenta14 in Kassel und Athen, die Biennale in Venedig und Skulpturenprojekte in Münster, um nur einige zu nennen. Viele Ankündigungen, Erinnerungen und Hinweise auf Begleitprogramme und Publikationen, Interviews mit Preis- und Würdenträgern, Verlautbarungen und Life-Streams werden also wieder Postfächer füllen und schon ohne einen tatsächlichen Ausstellungsbesuch viel Zeit verbrauchen.

Wer ist Jed Martin?

Der Kunstverein möchte mit diesem Stück und einer Ausstellung mit Werken von 10 KünstlerInnen, die wahlweise Jed Martin zugeordnet werden oder unter ihren wirklichen Namen gesehen und interpretiert werden können, Zuschreibungen und Originalität von Werken in Frage stellen. Nur die Kunstakademien weigern sich noch, Künstler als multiple Persönlichkeiten auszubilden, denn dauernde Brüche und Schwenks einer Person würden dem Kunstmarkt schwer zu vermitteln sein. Deshalb lernen KunststudentInnen zuerst einmal, sich als unverwechselbare Produkte zu vermarkten. Dagegen kann ein Schriftsteller wie Houellebecq relativ ungefährdet eine Person erschaffen, die das ignoriert und trotzdem erfolgreich ist. Daher werden Kunstfreundinnen und -freunde Jed Martin im wirklichen Leben nie treffen. Dafür aber können sich LeserInnen des Romans für ein paar Euro daran erfreuen, herrauszufinden, wie künstlerischer Fanatismus und die Selbstgefälligkeit wachsen, wie Tragik entsteht, denen verzweifelte Künstler, zynische Stars und ihr bisweilen selbstbezogenes Publikum immer wieder nachrennen.

Wer bringt die meisten Menschen auf die Beine?

Was aber gibt dem Kunstbetrieb gegenüber der individuellen Lektüre eines Buchs seinen Vorzug? Jedenfalls lockt er die Menschen aus ihren Wohnungen in die Giardini, die Museen und die Hallen der Biennalen und auf viele andere Weltkunstversammlungsplätze der Welt. Die kleine Tour zwischen Theater und Kunstausstellung, die in Hamburg anlässlich der „Theatralen Feierlichkeiten“ den Besucher abverlangt wird, kann als ein Symbol dieser Reisebereitschaft der Kunst-Affectionados gesehen werden. Die Sehnsucht nach Geselligkeit und der Wunsch, das Fernweh zu stillen, werden von den Kunstevents herausgefordert, während Leser und Leserinnen für sich bleiben können, solange sie nicht auf Dichterlesungen Widmungen und Autogramme sammeln. Aber ist es nicht auch so, dass Kunst- und Theaterbetrieb heute die Dichte und die Intensität eines gelungenen Buches, wie dem von Houellebecq, schwerlich erreichen, und man sich als Leser fragt, warum man sich überhaupt auf die Socken gemacht hat, um eine Theaterkarte zu erwerben und sich überdies in die zu einer Ausstellungseröffnung zusammengekommene Menschenmenge zu quetschen. Beim Kauf der Eintrittskarte kam es mir schon in den Sinn, dass eventuell diese Karte, die mir sogar erlaubte, den Bus zur Fahrt ins Theater und zurück zu nehmen, interessanter sein könnte, als das Gebiet, auf dem doch wieder nur ein weiteres Theaterstück aufgeführt werden und eine Ausstellung zu sehen sein würde. Beide Veranstaltungen erreichen nicht einmal im Entferntesten die immersiven Qualitäten der Stücke von SIGNA. Das Beste am Format der „Theatralen Feierlichkeit“ ist also wahrscheinlich der Umstand, dass mit Jed Martin ein Feld eröffnet wurde, das es erlaubt, den Wettstreit zwischen den Künsten neu zu überdenken.

Jochen Schmith, wahlweise Jed Martin: Picnic Blancet 2017, je 240x170cm, geschredderte Geldscheine, Textilfarbe, Baumwolle, Ausstellungsansicht, courtesy Kunstverein in Hamburg, Copyright photo: Fred Dott

Kunstwerke einmal lüften

Vielleicht wäre es nicht schlecht, man würde die 240 x 170 Zentimeter großen Picknickdecken des Künstlerkollektivs Jochen Schmith wirklich einmal in einem Park ausbreiten und auf dem sauerkrautartig auf Hosentaschenstoff fixierten Schredder von Banknoten feiern. Dann wären die Flächen nicht nur nach dem Muster von Parkanlagen kartografiert, sondern bekämen obendrauf eine Imprägnierung durch die Feiernden und von Untendrunter würde ihnen der Rasen als Muster aufgeprägt. Das Leben würde sozusagen das Kunstwerk patinieren wie die Hände einst die zirkulierenden Geldscheine!

Ausstellung im Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, Hamburg
geöffnet: Di.-So. 12-18h, bis 18. Juni