Unbetretbare Ausstellung sichtbar gemacht

Diese Woche erhielt ich eine E-Mail von Dieter Rühmann mit dem Hinweis auf seine Ausstellung von „WAHRPLAKATEN“. Die Ausstellung wurde 2011 eröffnet und der Künstler sieht darin eine Vorwegnahme dessen, was aktuell gang und gäbe ist: Ausstellungen, die keiner besuchen darf. Seine Ausstellung auf dem gesperrten Gelände des Altonaer Güterbahnhofs reklamiert Rühmann als Prototyp einer geschlossenen Ausstellung. Rund um den Erdball präsentieren heute viele Künstler ihre Werke und keiner darf sie besichtigen.

Ausstellung der WAHRPLAKATE auf dem Gelände des Güterbahnhofs, 2011, Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers

Wer wissen will, was vor neun Jahren hinter dem Zaun des abgesperrten Geländes am alten Güterbahnhof in Altona geschehen ist, kann die indirekte Betrachtung jetzt vor dem Bildschirm nachholen. Dabei sind die Umstände dieser Ausstellung nur die eine Seite der Medaille. Die andere, die inhaltliche Seite ist bei Rühmann von bleibender Aktualität geblieben, weshalb es sich lohnt, die Texte der „Wahrplakate“ zu lesen. Sie bieten Thesen zu Themen wie Wirtschaftskrise, Umdenken, Rekordstreben oder Gut und Böse, die aus künstlerischer Sicht geäußert im Format von Plakaten, zum Umdenken auffordern.

Die Dokumentation der Ausstellung befindet sich hier:

http://www.buechse-der-pandora.de/espresso/pagina.php?id=57

Welche Ausstellungen vermissen wir?

Angesichts zahlreicher unbetretbarer Ausstellungen in der Corona-Krise erhebt sich die Frage: Welche Ausstellungen vermissen wir? Können unbetretbare Ausstellungen die Kunst aufhalten?

Die Ausstellung von Dieter Rühmann hat gezeigt, dass auch die Unzugänglichkeit ein ständiges Experiment ist. Es zeigt, dass besonders die Künstler*innen mit sich ringen, wenn sie sich fragen, ob ihre Werke ausstellbar sind? Schon 1973, als Rühmann mit dem Lichtwark-Stipendium ausgezeichnet wurde, hatte der Künstler Skrupel, seine Arbeiten zu zeigen. Obwohl sich die Jury für ihn ausgesprochen hatte, war er nicht sicher, ob die ausgestellten Arbeiten wirklich seinen Ansprüchen genügen würden. Er schnitt sie vorsichtshalber während der Ausstellungseröffnung aus dem Rahmen, was Museumsleitung und Jury erboste.

Diese Fragen und mehr über Dieter Rühmann, Annegret Soltau und Boris Nieslony wird im neuen Buch ABHÄNGEN von Johannes Lothar Schröder erörtert.

Es erscheint 2021 im ConferencePoint Verlag, Hamburg

Myth and Orange Desert Dust

(A German version is available. Please scroll down./Eine deutsche Version der Rezension wurde am 13. Juni veröffentlicht. Siehe unten!)

While the ruins of the Haitian Sans-Souci provide a theatrical attraction in front of the building of the Akademie der Künste in Tiergarten, you have to enter the KunstWerke (KW) at Auguststraße to realize the attractions. The two story central space in the basement has been transformed into an abandoned battlefield bathed in an orange light by Dineo Seshee Bopape. It reminds me at strangely illuminated days, when dust from Sahara sandstorms travel into central Europe and the sunlight changes its color. Becoming aware of the reason of the orange light we might realize that this atmospheric phenomenon connects two continents. Perhaps the matter of the smashed bricks covering major parts of the floor, contain parts of original Sahara-sand.

Dineo Seshee Bopape: Untitled (Of Occult Instability) [Feelings] 2016-18, 10. Berlin-Berlinale, Kunstwerke (KW) Auguststraße, Foto: johnicon

Where the continents are in touch

Such phenomena tell us that continents stay in touch, no matter if people stay disconnected from the word or in private realms. Also history offers evidence of global exchange.  A visit of the cloister of Monreale near Palermo gives evidence that Sicily was a center of the world in Medieval times. Every single pillar, capital and corbel of a total of 228 is formed by different craftspeople from all over the world as far it was known thousand years ago. Forms and constellations of plants, animals, humans, masks, monsters etc. prove a ‘global’ exchange between Africa, Asia and Europe at that time. (Do not miss this place when visiting Palermo, which is hosting the MANIFESTA 12 this year.)

Among numerous artworks at KW there was a video that attracted me. It suggested a re-interpretation of Oedipus by Grada Kilomba. She challenges the power of the ancient myth by seven dancers, including herself, who was the storyteller, too, and music. The research examines whether or not the myth has the power of predicting fate and biography of humans and their relatives. The video presents ways, in which the dancers act, move and play to break the spell of the role. How strong is the frame given by the oracle, and when the spectators cannot identify the play anymore. Kilomba accepts the plots and the persons of the myth and fulfills the symbolic form up to a certain point and despite of her intention to get rid of the symbolic system as a semantic relic of oppression. The only chance is to actualize the frame in which every person acts and shoulders the struggle against the spell as a challenge in searching variations to escape the power of the past.

Grada Kilomba: Ödipus, Video mit sieben Tänzern, 2018, 10.Berlinbiennale

Other impacts against self-determination are unrest and wars. The French-Lebanese movie “La Femme qui chante” (2010) drastically shows that chaos creates a contemporary variant of the ancient myth of Oedipus. Facing the trouble in the world, we should appreciate the optimistic version of Iocaste and Oedipus by Kilomba and enjoy the dancing couple freeing itself by breaking with traditions.

Robert Rhee __ Occupations of Uninhabited Space, various objects 2013ff

Returning to the impressive installation in orange, spectators find themselves in a singular environment covered with debris, which is overshadowed by a sphere made from cardboard by Jabu Arnell. Hanging over a disastrous scene it can be associated with Darth Vader’s Death Star rather than with a “Discoball” as it is named ironically. Two smaller objects by Robert Rhee rotate on top of pillars from corners of smashed walls. Extending grotesquely through a grid of steel the two organisms, which after examining them can be identified as pumpkins having survived the simulated disaster which happened in this space. It is hard to tell whether these fruits survived thanks to the cage or despite of it.

(c) Johannes Lothar Schröder

Gehen, Fahren, Kunst

Utz Biesemann: UTZ ESS-Transporte, Performance am 25.5.2012, Foto: johnicon

Utz Biesemann: UTZ ESS-Transporte, Performance am 25.5.2012, Foto: johnicon

15 Jahre EINSTELLUNGSRAUM

Vor 15 Jahren öffnete der ehemalige Blumenladen in der Wandsbeker Chaussee 11 in Hamburg erstmals die Türe für Kunst. Schon 2001 gab es keine Ausstellung im konventionellen Sinn, denn Gabriele Seidensticker hielt mit „Leichter Kost“ ein Angebot zur Einkehr im „Rasthof“ bereit, Elke Suhr lud zu einer „Taxifahrt mit Dias und Audiotape zur Thematik des Pfeiles“ ein und Ordalia – Irritainement präsentierte „VERKEHRte Welten“.

Dieser Einstand am 29. März 2001 sollte wegweisend werden für diesen von Künstlerinnen gegründeten Kunstverein, der sich von Anfang an als „Agentur zur Vermittlung von Projekten zwischen Autofahrern und Fußgängern“ verstand und sich seitdem kontinuierlich mit Themen der Mobilität befasst. Insofern unterstreicht die Lage des EINSTELLUNGSRAUMs an der stark befahrenen B75 von und nach Lübeck mit Anbindung an den bevölkerungsreichsten Bezirk der Hansestadt die Programmatik.

Monica Prantl: Die Serientaten, Performance während der Tagung „Schubumkehr“ am 30.8.2008, Foto: johnicon

Monica Prantl: Die Serientaten, Performance während der Tagung „Schubumkehr“ am 30.8.2008, Foto: johnicon

Zur zweiten Ausstellung des Gründungsjahrs erinnerte Elke Suhr an den utopischen Geist in der Kunst:

„Mit Heide ist der Ort außerhalb einer fiktiven Grenze gemeint, da, wo noch alles möglich ist, da, wo es aber auch gefährlich ist, weil dort die bekannten Regeln nicht gelten. Sozusagen der Ort der Kunst.“ Hier wird konkret, wie Kunst gegensteuern kann in einer von Straßen durchzogenen Welt, die  wegen der Vielzahl von Teilnehmern und der beteiligten Maschinen extrem geregelt ist. Insofern unterscheidet sich der Raum des städtischen Verkehrs von dem offenen, nicht landwirtschaftlich genutzten Raum der Heide extrem, und „Gefahr“ hat hier wie da vollkommen andere Ursachen.

Über 150 Ausstellungen zeigten, wie sich Verkehr aus der Sicht künstlerischer Aktivitäten anders definieren lässt als durch Motostärke, Geschwindigkeit, Abgasvermeidung, Fahrzeuggewicht oder Geländegängigkeit auf Asphalt.

  • Bis jetzt gab dieses Feld 13 verschiedene Themenschwerpunkte aus. Darunter finden sich Jahresthemen wie Bremsen, Lenken und Steuern, Schalten und Walten, VierTakter + X, Shared Space oder Autos fahren keine Treppen. Von 2004 bis 2016 organisierte der Vorstand mit der Unterstützung zahlreicher Helfer  9 bis 13 Ausstellungen, Performances, Tagungen und Projekte jährlich. Auf der Homepage http://einstellungsraum.de/archiv_Archiv.html ist jeder Programmpunkt unter dem Jahresthema nach Jahreszahl abgelegt.
  • Die bisher entstandenen 10 Kataloge fassen alle Veranstaltungen des betreffenden Jahres kompakt zusammen und sind einzeln oder als Paket auf der Homepage mit dem Link zum Hyperzine-Verlag zu bestellen. http://www.hyperzine.de/files/index.php?seite=3&folge=go