Erleuchtung auf dem Gefechtsfeld

Mandy Lux kam in Leopardenjacke, Rock und Stöckelschuhen, um das Stück „THE LAST LIGHT OF THE ENLIGHTENMENT“ von Armin Digging aufzuführen. Sie bestieg einen Arbeitstisch und schenkte eine phosphoreszierende Flüssigkeit in Sektgläser, die im vollständig abgedunkelten Raum ein unwirkliches Licht auf die Umgebung warf. Die Darstellerin trank davon, behielt den Leuchtstoff im Mund und kroch auf Knien zu einer Modellfigur, um sie aus der Nähe zu übersprühen. Die Lumineszenz beleuchtete die Umrisse eines nun in der Pfütze dieses Stoffes stehenden Soldaten. Im weiteren Verlauf der Aktion empfingen weitere Kunststoffmodelle Mandys orale Dusche.

photo: johnicon, VG-Bild-Kunst, Bonn

photo: johnicon, VG-Bild-Kunst, Bonn

Nach dem Applaus zeigte sich, dass die nachleuchtende Flüssigkeit ein ca. 2 x 1,5 m großes Blatt von Peter Boué befleckt hatte, das eine nächtliche Landschaft mit Bäumen und Büschen zeigt. Auf dem gespurten Erdreich vor einem Gestrüpp lagen Stahlträger oder Eisenschienen. Als „Gerling Abriss VI“ (2012) benennt die Einladung zur Performance diese Zeichnung, die mit den Leuchtmittelflecken übersäht bei erneut ausgeschaltetem Licht die gespenstische Illusion eines mit Explosionen und Leuchtkugeln erhellten Gefechtsfeldes entfaltet. Die darauf herumliegenden Sektgläser und Soldatenmodelle verstärken diesen Eindruck.

Mir erscheint die Performerin als Verkörperung der Idee einer Göttin, Zauberin oder heiligen Hure. Sie hüllte die Spielzeugfiguren mit ihrem leuchtenden Hauch ein, der sich wie ein Zauber über sie ergoss. Dabei bewegte sie sich kriechend wie eine Schlange und war doch eine Riesin im Verhältnis zu den kleinen Figuren. Die biochemische Lumineszenz, wie sie Leuchtkäfern dazu dient, Sexualpartner anzulocken, unterstrich ihre Macht. Chemiker schauten den Insekten die Rezeptur dieses Lockstoffes ab und bauten ihn nach, so dass er heute synthetisch hergestellt werden kann. Solche Chemieerzeugnisse wie auch Pheromone kompensieren eine dysfunktional gewordene Sexualität, die in einer friedlichen und überalternden Gesellschaft nur noch eine geringe biologische Funktion hat, und lenken die Überreste der Sinnlichkeit in kommerzielle Bahnen. Diese Verhältnisse haben die Verbindung von Sex, Krieg und Chaos entkoppelt, was die Hindugöttin Kali unserem Verständnis entfremdet, die zudem für Werden, Überfluss und Vergänglichkeit zuständig ist. In vielen Teilen der Welt führt biologische Reproduktion weiterhin zu Überschüssen, die Chaos und Krieg anheizen, die sich gegenseitig aufschaukeln. Es macht auch Sinn, dass Mandy Lux ihre Aktion auf Modelle von Soldaten bezieht, weil diese in Kampfanzügen, mit geschwärzten Gesichtern, Helm und Ausrüstung androgyne Gestalten abgeben. In Männerarmeen ohne Service müssen sie gewöhnlich auch Aufgaben von Frauen übernehmen. Soldaten putzen, verpflegen sich selbst und ordnen, säubern oder reparieren Kleidung und Ausrüstung. Eventuell stehen sie außerdem noch zur Triebbefriedigung zur Verfügung. Derbe auf den Punkt gebracht: „Sie müssen ihren Arsch hinhalten.“; was sich zweideutig auf Sexualität und die Möglichkeit eines vorzeitigen Todes bezieht und daran erinnert, dass das Verb „sterben“ genau diese durch Kali verkörperte Ambivalenz benennt.

Heute könnte es aufklärerisch sein, mehr vom Wesen der Kriege zu verstehen, selbst wenn wir annehmen, diese fänden woanders statt.

„THE LAST LIGHT OF THE ENLIGHTENMENT“ wurde von Mandy Lux nach einem Konzept von Armin Digging am 17. Nov. 2012 im Studio von Peter Boué in Hamburg aufgeführt. Ein Video dieser Aktion von Joanerandom, in das vier Fotos des Autors hineingeschnitten sind, ist zu sehen unter:„http://www.youtube.com/watch?v=NxmzfUTmIIk“

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