Time-Pieces of „Bread-Man“

Performance: Clock-Men, Tokyo 1991, courtesy of the artist

One of Tatsumi Orimoto‘s photo-performances shows him and his friend Shobara with big clocks, wrapped in card-board and attached to their heads. This action represents time as a challenge to art and life and relates to Orimoto’s back-ground in FLUXUS, when he was participating in the Clock Show in Clock Tower in Manhattan in 1974. The affection of Orimoto’s art for life and time has stayed as strong as ever until today. The Plate-Clock-Objects of 1971 combining the running of time and the supply with food became a paradigm of his life, whose main artistic issues are bread and his life as a son, who takes care of his mother. She has been suffering from depression and Alzheimer for more than 20 years. Performances titled “Bread-Man-Son and Alzheimer-Mama” refer to this.

Tatsumi Orimoto, Performances and Events in Copenhagen, Aug. 2016, courtesy of the artist

Every year Orimoto issues an edition of posters and folders of his performances of the past year. Since his mother has become too old – she is 98 now – to perform with Orimoto-san in museums and galleries, the artist has been looking for ways of compensating for her appearance by photo-performances at home or by transforming himself into Art-Mama. “I Make Up And Become ART-MAMA” was performed November 13, 2016 at Aoyama/Meguro, Tokyo.

Orimoto: I Make Up And Become ART-MAMA, Nov. 13, 2016, Aoyama / Meguro, Tokyo, courtesy of the artist

Böhmler hallt nach

Claus Böhmler (1939 – 2017)

Collage unter Verwendung eines Ausschnitts der Abb. im Katalog der documenta 6, Kassel 1977, Bd. 1, S. 158 (kein Fotograf angegeben)

Nach der Beerdigung von Claus Böhmler bin ich noch eine Weile über den Friedhof gezockelt. Im Stillen hoffte ich auch das Grab einer Kommilitonin zu finden, doch verirrte ich mich schließlich zwischen den Grabsteinen und dachte darüber nach, wie ein einstmals gewürdigter Kunstprofessor nun von seinen ehemaligen Kollegen und von der Hochschulleitung ignoriert wird. Nicht mal einen Kranz haben sie zur Beerdigung geschickt. Das stört ihn nun nicht mehr, aber wie muss er sich gefühlt haben, als er noch lebte und ihn die neoliberal Angetriebenen übergingen. Sie verstanden keinen Spaß mehr, wenn es um Sponsorengelder ging und um Kunst, die gut ankommt. Schließlich enden alle unter moosüberwucherten Grabsteinen und Gedenktafeln, auf denen die Namen nicht mehr zu entziffern sind. Manche stehen nach Jahrhunderten noch, doch wird vor ihnen nicht mehr gepflanzt. Der stolze weiße Marmor wird grau bis bloß Gesteinsbrocken übrig geblieben sind.

Böhmler wusste darüber Bescheid, wenn er sich den verhallenden Tönen von Langwellensendern zuwandte. Das Stück, das in der Grabkapelle gespielt wurde, erinnerte daran, und die Rede von Peter Lynen rief gute gemeinsame Zeiten mit seiem Lehrer Böhmler wach. Was er seinen Studenten in die Ohren gesetzt hatte, hallte nach wie der Psalm, den der Pfarrer mit schöner Stimme in das Gewölbe der Kapelle sang. Auch das Schweigen von Böhmler hallt nach. Das Feuer, das in seinem Studio ausbrach, rauchte nach und vertrieb die, denen die Vergänglichkeit der Dinge fremd ist. So hat das Projekt Böhmler ohne Studio Wege zu einer Kunst ohne feste Orte gewiesen. Sie lebt vom Erzählen und Weitersagen. Wer mehr davon will, wird wissen, dass im Erzählen die Dauer zuhause ist.

Säure – zum Tode von Gustav Metzger

statt eines Nachrufs auf Gustav Metzger, der am 2. März 2017 90-jährig in London starb einige Zeilen über Säure als Material in der Kunst

„Säure ist seit jeher ein Werkstoff, mit dem Oberflachen von Plastiken behandelt werden, doch hatte Beuys‘ Aktion offensichtlich nicht mit diesem klassischen Gebiet der Kunst zu tun. Auch wenn die Verwendung von Saure ein Ballast des Alten sein sollte, den Beuys mitschleppte, so wurde sie in der Aktion zu einem Katalysator des Neuen. Des Weiteren hatte es in England aufsehenerregende Experimente mit Saure gegeben, die sich unter interessierten Kunstlern schnell herumgesprochen hatten: 1961 war Gustav Metzger mit seinem Manifest AUTO-DESTRUCTIVE ART hervorgetreten und hatte mit Saure auf Vinyl und Nylon gemalt, um die „Bilder“ im Moment der Herstellung zu zerstören.

Noch bevor sich Beuys durch die Begegnungen mit Nam Jun Paik 1962 und den Fluxus-Kunstlern anlässlich des FESTUM FLUXORUM FLUXUS (Jan. 1963) in Düsseldorf neu orientierte, hatten seine Kollegen und namentlich die vier, die auch in Aachen dabei waren, nämlich Robert Filliou, Arthur Køpcke, Ben Vautier und Emmett Williams, an der von Daniel Spoerri und Filliou organisierten Ausstellung Festival of Misfits in der Gallery One in London vom 23.10. bis 8.11.1961 teilgenommen. Das machte es mehr als wahrscheinlich, dass Beuys Kenntnis von Metzgers Liste mit Materialien der Sich-selbst-zerstörenden-Kunst erlangen konnte, die mit Teilen der Materialien und Gerate, die Beuys für die Aktion in Aachen mitgeführt hatte, übereinstimmte:

„Materialien und Techniken der Sich-selbst-zerstörenden-Kunst umfassen: Saure, Klebstoff, Ballistik, Leinwand, Lehm, Verbrennung, Druck, Beton, Korrosion, Kybernetik, Herabfallen, Elastizität, Elektrizität, Elektrolyse, Elektronik, Sprengstoffe, Feed-back, Glas, Warme, menschliche Energie, Eis, Strömung, Licht, Ladung, Massenproduktion, Metall, Filme, Naturkräfte, Kernenergie, Farbe, Papier, Fotografie, Gips, Kunststoffe, Druck, Strahlung, Sand, Sonnenenergie, Klang, Dampf, Stress, Terrakotta, Schütteln, Wasser, Schweißen, Drahte und Holz.“ (23)

Ein Vergleich ist insofern aufschlussreich, weil zahlreiche der von Metzger aufgezahlten Gegenstande, Kräfte und technischen Methoden auch in den damals neuen Arbeiten von Beuys vorkommen. Besonders auffällig ist, dass Saure an erster Stelle der Liste steht!

Metzger war als Kind von Nürnberger Juden durch einen Eisenbahntransport nach England gerettet und dort von einer Familie aufgenommen worden. Nach der Schule hatte er eine Tischlerlehre absolviert und danach eine Kunstakademie besucht. Unter dem Eindruck der Zerstörung britischer Städte durch den Bau von Schnellstraßen und der Aufrüstung Englands mit Atomwaffen hatte er seine künstlerische Arbeit aufgegeben und sich selbst zerstörenden Verfahren künstlerischen Arbeitens gewidmet. Mit öffentlichen Malaktionen, bei denen er mit Saure auf aufgespannten opaken Kunststofffolien malte, die sich noch wahrend des Malakts auflösten, hatte er für Aufsehen gesorgt. Er nannte es „Auto-destructive-Art“ und demonstrierte das Missverhältnis des künstlerischen Anspruchs, Werke von Dauer zu schaffen, während gleichzeitig die Zerstörungskräfte durch Atomwaffen, die Automobilisierung der Gesellschaft und andere Ergebnisse der technologischen Entwicklung weiter entfesselt wurden. Diese Kunstpraxis demonstrierte aus damaliger Sicht nicht nur das Ende der Kunst angesichts der Möglichkeit einer totalen Auslöschung von Städten und Landstrichen, sondern konkret eine tief empfundene Machtlosigkeit der traditionellen künstlerischen Mittel.(24)

Diese bis heute aktuellen Themen bilden eine Verwandtschaft zwischen beiden Kunstlern, die im Falle von Beuys nach seiner Aktion in Aachen eine besondere politische Bedeutung erlangen sollte und ihn dazu bewegte, Alternativen zu entwickeln.“

Auszug aus dem Abschnitt Säure und sich selbst zerstörende Kunst aus dem 1. Kap. von: Johannes Lothar Schröder, Vorsicht bei Fett! Übersehenes bei Joseph Beuys, Hamburg 2016, S, 73-75.
ISBN 978-3-936406-55-9

Anmerkungen:

(23) Flyer von Metzger, in: (Breitwieser, 2005), S. 117.

(24) Alle Angaben sind dem Band von Sabine Breitwieser, Gustav Metzger. Geschichte Geschichte, Ausstellungskat. Generali Foundation, Wien, Ostfildern-Ruit 2005 entnommen. Ebd