Beuys und der Traum vom Zirkus

Vor 50 Jahren

In einem Brief an den Künstlerkollegen Wolf Vostell legte Joseph Beuys am 3. Nov. 1964 dar, was ihm über FLUXUS durch den Kopf ging. George Maciunas hatte Beuys im Jahr zuvor gebeten, an der Düsseldorfer Akademie die Vorbereitungen für ein Fluxuskonzert zu übernehmen. Diese Begegnung mit FLUXUS hatte einiges ins Rollen gebracht und die Kunst von Beuys nachhaltig verändert.

Debüt in „The Stars and Stripes“

Unter dem Begriff FLUXUS hatten sich 1962 unter der Federführung von George Maciunas mehrere Künstlerkollegen in Wiesbaden zusammengefunden. Maciunas war als Designer bei der U.S. Air Force tätig und mit Emmett Williams befreundet, der in Darmstadt für „The Stars and Stipes“ schrieb und Claus Bremer und Daniel Spoerri aus dem „Darmstädter Kreis“ kannte, wo sie sich mit Konkreter Poesie und experimentellem Theater beschäftigten. Zu ihnen stieß Benjamin Patterson, der versuchte, sich mit dem Verkauf von Enzyklopädien über Wasser zu halten. Gemeinsam heckten sie einen Beitrag über FLUXUS in der Soldaten-Zeitschrift aus, der am 30. Aug. 1962 erschien. Ein Anfang war gemacht, und weitere Künstler, die Maciunas aus Manhattan kannte, wo er eine Zeitschrift gegründet hatte, die Kollegen aus dem Umkreis von John Cage ein Forum gab, kamen aus Übersee, nachdem Maciunas in Europa Auftrittsmöglichkeiten organisiert hatte. Die Idee der Festivals als passendes Format für FLUXUS war geboren.

Ein Brief an Vostell

In der Passage eines Briefs an Vostell dachte Beuys über FLUXUS nach:
„Im großen und ganzen kann man sagen, daß Fluxus gegen seriöse Kunst oder Kultur und ihre Institutionen opponiert, gegen den Europäismus. Auch gegen den Kunstprofessionalismus, gegen Kunst als kommerzieller Artikel oder Weg zum Lebensunterhalt. Auch gegen jede Form der Kunst, die das Künstler-Ego fördert. Fluxus neigt also dazu, Oper und Theater (Kaprow, Stockhausen, etc.), die die Institutionalisierung der seriösen Kunst repräsentieren, abzulehnen, und ist stattdessen für Vaudeville oder Zirkus, die mehr die populäre Kunst oder gar nicht-künstlerisches Amüsement repräsentieren (und von »kultivierten« Intellektuellen schief angesehen werden).“[1]

Ausstellungen statt Zirkus

Nach der Lektüre dieses Briefs wird nachvollziehbar, was Beuys nach seinen ersten Aktionen im Jahr zuvor (1963) auf Fluxusfestivals durch den Kopf gegangen war. Nach seiner Teilnahme an der documenta 3 stand er einerseits auf der Schwelle zur internationalen Anerkennung, doch konnte durch seine Teilnahme an Fluxusveranstaltungen dieses junge Pflänzchen schon wieder gefährdet werden. Wohl deshalb erwog er, was die Intellektuellen – also die Kritiker – , die er als „kultiviert“ apostrophiert, wohl davon halten würden? (Man muss sich darüber im Klaren sein, dass in der Zeit in Deutschland noch kritisch über den Surrealismus diskutiert wurde.) Also antizipierte Beuys, was sie ihm vorwerfen könnten, nämlich einem Zirkus zu folgen und sich am Schaustellertheater zu beteiligen. Diese Sorgen beschäftigen ihn, als er sich an Vostell wandte, der mit diesem Thema robuster umgehen konnte, da er die „De-Collage“ – dieses ist sein Begriff für Happenings – schon als junger Künstler für sich entdeckt hatte und darin seine künstlerische Perspektive sah.

Ein Traum wird verraten …

Beuys ging demgegenüber rigoroser mit seinen Träumen um. Immerhin hatte er erzählt, dass er als Junge von zuhause abgehauen war, um bei einem Zirkus mitzureisen. Diesen Traum verriet er, obwohl er die Herausforderung der Aktionskunst annahm und den Begriff FLUXUS auch für seine Objekte beanspruchte. Mit bereits 43 Jahren älter als die anderen Fluxuskünstler blieb er in seinen öffentlichen Äußerungen diesbezüglich zurückhaltender und suchte nach eigenen Mitteln und Wegen, seine Entscheidungen zu begründen. Es scheint, dass er die Sympathien der Kunstfunktionäre und Museumsleute gewann, weil er in den Auseinandersetzungen mit FLUXUS nicht nur die Fahne der Institutionen hochhielt, obwohl er auch ihren Mangel an Theorie beklagte: „Es fehlt ihnen eine richtige Theorie, ein erkenntnismäßiger Unterbau.“ Als er das schrieb, unterlief ihm ein Schnitzer, denn Theorien gehören zum Überbau. Er aber nannte sie Unterbau und sprach damit den Mangel an Erfahrung an, die er aus Sicht seiner Kriegserfahrung zu haben glaubte und mit der er im Kreise seiner Kollegen alleine stand. Sie hatte ihn wohl auch gegen seinen Traum aufgebracht.

Schon vier Jahre später trug seine abwägende Haltung Früchte, und er wurde zum zweiten Mal zur Teilnahme an der documenta eingeladen, während – es war1968 und die Happenings erreichen einen Höhepunkt – Vostell samt aller anderen Aktions- und Fluxuskünstler übergangen wurden.

… und dennoch der Rauswurf

Trotz der Argumente, die Beuys gegen FLUXUS in der Prägung von Maciunas anführte und mit denen die akademische Organisation der Kunstakademien und –museen bestätigt wurde, blieb sein Wirken an der Kunstakademie in Düsseldorf keineswegs unumstritten. Seine zunehmenden Aktivitäten stießen schließlich bei einer Mehrheit der Professorenschaft auf Ablehnung und wurden von der politischen Führung des Landes NRW als Infragestellung der politischen Vorgaben wahrgenommen und geahndet. Hier zeigte sich, dass die Verteidigung des Institutionellen, die ihn im Kunstbetrieb voranbrachte, ihn nicht vor dem Rausschmiss aus der Akademie bewahren konnte. Als Lehrbeauftragter, dessen Anstellung auf der Basis von Jahresverträgen auf wackeligen Füßen stand, war er sowieso Professor auf Abruf, und die fristlose Kündigung 1972 brachte schließlich ins Bewusstsein, dass Akademien und Museen staatliche Institutionen sind, die von der jeweiligen Kulturpolitik gelenkt und alimentiert werden.

[1] Adriani, Götz, u.a.: Joseph Beuys, erweiterte Neuauflage 1981, 2. aktualisierte Auflage, Köln 1984, S. 99.