Nachgetreten: Institution für Totalkunst vorerst gescheitert

Chris Dercon, von 2017 bis April 2018 Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, wirft hin und gesteht das Scheitern eines Spielbetriebs, der nach seinen Plänen Theater, Tanz, Konzert, Kino, Bildende Kunst, Design, Architektur, Kulturen des Digitalen und Bildung kombinieren sollte. Seine gelungen Versuche, das Angebot von Museen durch Installationen und Performances von bildenden Künstlern, Tänzern und Musikern zu erweitern, haben Dercon ermutigt, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Künste zu totalisieren, so dass er alle Genres und Gattungen in den Betrieb eines Stadttheaters einbauen wollte. Nicht auszuschließen, dass Vertreter der Performance Studies den Eindruck erweckt haben, Performances könnten die Grenzen zwischen den Genres der bildenden Kunst und den Kunstgattungen spielerisch überwinden. Nun sieht es so aus, als sollten sich die Institutionen hüten, einen entgrenzten Theaterbetrieb zu etablieren. Wozu sollte denn ein Haus für Alles gut sein, ohne dass ein Bedürfnis dafür vorhanden wäre. Jedenfalls hat das Publikum das Angebot von Dercon nicht angenommen. Das Cross-over funktioniert doch auch so. Was unter immer anderen Begriffen seit Jahrzehnten in kleinen Formaten, an einigen Häusern und im Rahmen von Initiativen läuft, muss nicht in martialische Hangars und auf große Bühnen gebracht werden.

Für Dercon hat sich das Theater als Dispositiv, das aus dem Gebäude selbst, seinem Personal inklusive der Schauspieler und Regisseure, sowie seinen Zuschauern, Kritikern und den Medien als Multiplikatoren besteht, als ein schwer steuerbarer Tanker erwiesen. Angesichts der Situation in Berlin wird Dercon, der sich als Direktor von bedeutenden Museen wie dem Haus der Kunst in München und der Tate Modern in London bewährt hat, gemerkt haben, dass diese Ausstellungshäuser gegenüber einem Theater die Beweglichkeit von Sportbooten hatten.

Performances repräsentieren nichts und niemanden

Es ist daher eine gute Botschaft, wenn Institutionen mit einem Totalanspruch scheitern und das Besondere von Performances deutlich wird. Sie können sich nämlich überall ereignen; denn sie sind der häufig zu hörenden Behauptung zum Trotz, ja überhaupt keine Kunstgattung. Sie bedienen keine Schauspielhäuser, keine Opern, Kinos und Musicaltheater. Performances repräsentieren nichts und niemanden, so dass sie nicht einmal auf Museen angewiesen sind. Diese Qualität zeigt sich vor allen Dingen in der dezentralen und teils anarchistisch vorgetragenen hauptstädtische Kunstszene in Berlin, die Künstler aus aller Welt anzieht.

Diese enorme impulsgebende Kraft erzeugt natürlich Begehrlichkeiten, so dass Institutionen und Unternehmen ein Heer von Kuratoren und Scouts in Bewegung setzen, um diese Kräfte abzuschöpfen und zu binden. Man kann annehmen, dass diese Entwicklung den Zenit überschritten hat, doch mutet es grotesk an, dass sich Dercon nach den Vorstellungen des Senats gerade die martialischen Abfertigungshallen und Hangars des Flughafens Tempelhof ausgesucht hat, um die empfindlichste aller künstlerischen Äußerungen dort unterzubringen – oder sollte man sagen: kaltzustellen. Wenn ein Intendant wie Dercon das ernsthaft geglaubt haben sollte, so hat er sich nach seinen Verdiensten nicht zuletzt um die Performance-Kunst an der Tate Modern mit der Annahme des Rufs nach Berlin aus Dummheit oder Naivität oder aus Hybris, zu Recht ins Abseits geschossen.

Frank Castorf, der alte Fuchs, war schon 2015 – als sich die Berufung Dercons abzeichnete – schlau genug, zu zeigen, dass auch die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in der Lage war, Kunst zu präsentieren, die die Museen an Grenzen bringt. Mit „Zock – Aspekte einer Totalrevolution“ und „Rebel Dabble Brabble Berlin“ kam eine Begegnung von Theo Altenberg mit Paul und Damon McCarthy zustande, die verschiedene Aspekte der europäischen und nordamerikanischen Aktionskunst zusammen brachten, wie es noch kein Museum gewagt hatte. Die Volksbühne hatte gezeigt, dass sie als Theater mit eigenen Mitteln Gastgeber eines Dialog zwischen bildenden Künstlern, die mit ihren Mitteln und darüber hinaus mit Theater, Film und Video experimentieren, sein konnte. Deshalb drängt sich die Frage auf, warum neue Spielstätten für Formate geschaffen werden müssen, die auf überraschende Weise vorhandene Räume und Gebäude erobern können. Weil aber Künstler vom Format und mit der Erfahrung der McCarthys, die ein ganzes Haus einschließlich der Zuschauerränge bespielen können, dünn gesät sind,  kann man jüngeren Performance-Künstlern nur mit perfekten Bedingungen schmeicheln. Ob aber 800 leere Zuschauerplätze einem noch ungesicherten künstlerischen Experimenten förderlich wären, steht zu bezweifeln. Das Feed-Back weniger Zeugen kann ein noch ungewohntes Experiment besser vorantreiben als ein Hochglanzprospekt und ein Premierenevent. Warum also sollte es gut sein, fragile Versuche, flüchtige Skizzen, einen beginnenden Dialog etc. mit den Mitteln eines Theaterapparats zu zertrümmern? Wäre es nicht besser, den immer noch auf breiter Ebene vonstattengehenden Experimenten in Berlin mit seinen zahlreichen Initiativen, Orten und Spielstätten mehr Aufmerksamkeit zu schenken? Alles ist besser, als, ein institutionelles Monster zu installieren, das die Kunstgattungen zusammenklumpt. Gut also, dass der Umbau der Volksbühne zur Manege mit Dressurakt erst einmal gescheitert ist. Berlin braucht kein Totaltheater sondern Freiräume, die durch Immobilienspekulationen gefährdet sind.

Keine weitere Großbaustelle!

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn hat vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages gesagt, aus heutiger Sicht würde Stuttgart 21 nicht mehr gebaut.[1] Vielleicht muss man die Großbaustellen selbst als das Totaltheater der Gegenwart verstehen lernen. Mit der Baustelle des BER steht Berlin ja schon im Rennen um den Preis für ein Theater der Unmöglichkeit von Großprojekten. In einer Phase der Schwäche von Politik, die den Bereicherungsstrategien von Konzernen und Anwaltsbüros wenig entgegenzusetzen hat, ist das Stück „Staat 1 – 4“ von Rimmini Protokoll als Vorreiter für die Herstellung eines Happenings mit den Akteuren auf und hinter einer Baustelle unter den Augen des Publikums zu verstehen. Zur Uraufführung 2017 am Schauspiel Düsseldorf schrieb Maik Novotny ein lesenswertes Plädoyer für eine Kleinbaustelle: „Die Großbaustelle hat ausgedient“  https://journal.hkw.de/von-oben-nach-unten-bauen/

Dieses Theater fortsetzend, müssten sich Wege finden lassen, die Strategien der Verschleppung, des Pfuschs, des Abrisses und Neuaufbaus als eine neue Form des Happenings gleich vor Ort auf den Baustellen in Berlin und in Stuttgart für Besucher zugänglich zu machen. In Berlin müssen die S-Bahnen ja sowieso in den neuen Flughafen fahren und könnten die Zuschauer gleich mitnehmen, damit sie sich ein Bild machen können, wie Betrug und Bereicherung aussehen. Besser als auf dem viel kleineren Tempelhoffeld mit einem neuen Baustellentheater anzufangen, ist das allemal.

(c) Johannes Lothar Schröder

[1] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Bahn-wuerde-Stuttgart-21-nicht-mehr-bauen-article20396112.html

 

Beuys und der Traum vom Zirkus

Vor 50 Jahren

In einem Brief an den Künstlerkollegen Wolf Vostell legte Joseph Beuys am 3. Nov. 1964 dar, was ihm über FLUXUS durch den Kopf ging. George Maciunas hatte Beuys im Jahr zuvor gebeten, an der Düsseldorfer Akademie die Vorbereitungen für ein Fluxuskonzert zu übernehmen. Diese Begegnung mit FLUXUS hatte einiges ins Rollen gebracht und die Kunst von Beuys nachhaltig verändert.

Debüt in „The Stars and Stripes“

Unter dem Begriff FLUXUS hatten sich 1962 unter der Federführung von George Maciunas mehrere Künstlerkollegen in Wiesbaden zusammengefunden. Maciunas war als Designer bei der U.S. Air Force tätig und mit Emmett Williams befreundet, der in Darmstadt für „The Stars and Stipes“ schrieb und Claus Bremer und Daniel Spoerri aus dem „Darmstädter Kreis“ kannte, wo sie sich mit Konkreter Poesie und experimentellem Theater beschäftigten. Zu ihnen stieß Benjamin Patterson, der versuchte, sich mit dem Verkauf von Enzyklopädien über Wasser zu halten. Gemeinsam heckten sie einen Beitrag über FLUXUS in der Soldaten-Zeitschrift aus, der am 30. Aug. 1962 erschien. Ein Anfang war gemacht, und weitere Künstler, die Maciunas aus Manhattan kannte, wo er eine Zeitschrift gegründet hatte, die Kollegen aus dem Umkreis von John Cage ein Forum gab, kamen aus Übersee, nachdem Maciunas in Europa Auftrittsmöglichkeiten organisiert hatte. Die Idee der Festivals als passendes Format für FLUXUS war geboren.

Ein Brief an Vostell

In der Passage eines Briefs an Vostell dachte Beuys über FLUXUS nach:
„Im großen und ganzen kann man sagen, daß Fluxus gegen seriöse Kunst oder Kultur und ihre Institutionen opponiert, gegen den Europäismus. Auch gegen den Kunstprofessionalismus, gegen Kunst als kommerzieller Artikel oder Weg zum Lebensunterhalt. Auch gegen jede Form der Kunst, die das Künstler-Ego fördert. Fluxus neigt also dazu, Oper und Theater (Kaprow, Stockhausen, etc.), die die Institutionalisierung der seriösen Kunst repräsentieren, abzulehnen, und ist stattdessen für Vaudeville oder Zirkus, die mehr die populäre Kunst oder gar nicht-künstlerisches Amüsement repräsentieren (und von »kultivierten« Intellektuellen schief angesehen werden).“[1]

Ausstellungen statt Zirkus

Nach der Lektüre dieses Briefs wird nachvollziehbar, was Beuys nach seinen ersten Aktionen im Jahr zuvor (1963) auf Fluxusfestivals durch den Kopf gegangen war. Nach seiner Teilnahme an der documenta 3 stand er einerseits auf der Schwelle zur internationalen Anerkennung, doch konnte durch seine Teilnahme an Fluxusveranstaltungen dieses junge Pflänzchen schon wieder gefährdet werden. Wohl deshalb erwog er, was die Intellektuellen – also die Kritiker – , die er als „kultiviert“ apostrophiert, wohl davon halten würden? (Man muss sich darüber im Klaren sein, dass in der Zeit in Deutschland noch kritisch über den Surrealismus diskutiert wurde.) Also antizipierte Beuys, was sie ihm vorwerfen könnten, nämlich einem Zirkus zu folgen und sich am Schaustellertheater zu beteiligen. Diese Sorgen beschäftigen ihn, als er sich an Vostell wandte, der mit diesem Thema robuster umgehen konnte, da er die „De-Collage“ – dieses ist sein Begriff für Happenings – schon als junger Künstler für sich entdeckt hatte und darin seine künstlerische Perspektive sah.

Ein Traum wird verraten …

Beuys ging demgegenüber rigoroser mit seinen Träumen um. Immerhin hatte er erzählt, dass er als Junge von zuhause abgehauen war, um bei einem Zirkus mitzureisen. Diesen Traum verriet er, obwohl er die Herausforderung der Aktionskunst annahm und den Begriff FLUXUS auch für seine Objekte beanspruchte. Mit bereits 43 Jahren älter als die anderen Fluxuskünstler blieb er in seinen öffentlichen Äußerungen diesbezüglich zurückhaltender und suchte nach eigenen Mitteln und Wegen, seine Entscheidungen zu begründen. Es scheint, dass er die Sympathien der Kunstfunktionäre und Museumsleute gewann, weil er in den Auseinandersetzungen mit FLUXUS nicht nur die Fahne der Institutionen hochhielt, obwohl er auch ihren Mangel an Theorie beklagte: „Es fehlt ihnen eine richtige Theorie, ein erkenntnismäßiger Unterbau.“ Als er das schrieb, unterlief ihm ein Schnitzer, denn Theorien gehören zum Überbau. Er aber nannte sie Unterbau und sprach damit den Mangel an Erfahrung an, die er aus Sicht seiner Kriegserfahrung zu haben glaubte und mit der er im Kreise seiner Kollegen alleine stand. Sie hatte ihn wohl auch gegen seinen Traum aufgebracht.

Schon vier Jahre später trug seine abwägende Haltung Früchte, und er wurde zum zweiten Mal zur Teilnahme an der documenta eingeladen, während – es war1968 und die Happenings erreichen einen Höhepunkt – Vostell samt aller anderen Aktions- und Fluxuskünstler übergangen wurden.

… und dennoch der Rauswurf

Trotz der Argumente, die Beuys gegen FLUXUS in der Prägung von Maciunas anführte und mit denen die akademische Organisation der Kunstakademien und –museen bestätigt wurde, blieb sein Wirken an der Kunstakademie in Düsseldorf keineswegs unumstritten. Seine zunehmenden Aktivitäten stießen schließlich bei einer Mehrheit der Professorenschaft auf Ablehnung und wurden von der politischen Führung des Landes NRW als Infragestellung der politischen Vorgaben wahrgenommen und geahndet. Hier zeigte sich, dass die Verteidigung des Institutionellen, die ihn im Kunstbetrieb voranbrachte, ihn nicht vor dem Rausschmiss aus der Akademie bewahren konnte. Als Lehrbeauftragter, dessen Anstellung auf der Basis von Jahresverträgen auf wackeligen Füßen stand, war er sowieso Professor auf Abruf, und die fristlose Kündigung 1972 brachte schließlich ins Bewusstsein, dass Akademien und Museen staatliche Institutionen sind, die von der jeweiligen Kulturpolitik gelenkt und alimentiert werden.

[1] Adriani, Götz, u.a.: Joseph Beuys, erweiterte Neuauflage 1981, 2. aktualisierte Auflage, Köln 1984, S. 99.

Und dann kommt das WIE

… it’s just a click away

Dank an Presseabteilung des Städels in Frankfurt, die mich vor ein paar Monaten darauf aufmerksam machte, dass das Museum nun Teil des Google Art Projekts ist. Beim Durchklicken der Kunstwerke dort und in zahlreichen weiteren Museen der Welt und der auszugsweisen Sichtung all der fabelhaften bekannten und unbekannten Werke blieb ich beim Turmbau zu Babel von Peter Breughel dem Älteren von 1563 im Kunsthistorischen Museum in Wien hängen. Mir stockte der Atem beim Wiedersehen mit diesem Bilde unter diesen Bedingungen. Der Detailreichtum war mit den Möglichkeiten des Zoomens fast besser zu erforschen als es mir bei meinen Reisen nach Wien je gelungen wäre. Ich wanderte also in die Details der sich auftürmenden Oberflächen dieses urbanen Kosmos aus dem 16. Jhd. und seines utopischen Gebäudes, das Himmel, Erde und die Gewässer miteinander verbindet. Daran Gerüste sowie ganze Häuser, die an dem Turm kleben, als wäre er ein Berg, an dem auch Menschen wie Ameisen hingen. Tatsachlich sind Teile auch der oberen Stockwerke noch aus dem gewachsenen Fels gehauen, der wie eine alpine Zinne einen erdgeschichtlichen Kern des Gebäudes bildet.

 Google-Tower of Babel-Google

Dieses Bild ist ein Sinnbild im elektronischen Turmbau unserer Zeit, das aus den Anstrengungen von unzähligen Menschen zusammengesetzt ist, die sich die Geschichte und die vielen Speicher dieser Geschichte aneigneten, die nun auf den Bildschirmen der Welt verfügbar gemacht werden und sich aus den Daten auf Millionen von Bildschirmen zusammenfügen. Im Moment des ersten Anschauens hat diese Verfügbarkeit schon etwas mit mir gemacht. Die kiloweisen Kunstbände und die wochenlangen Reisen zu diesen Werken stehen mit einem Mal in einer anderen Relation. Ob sie aber zur Disposition stehen, glaube ich nicht. Für mich werden sie sich nicht erübrigen, was man im ersten Augenblick annehmen könnte. Anders wird es für die Generation sein, die mit diesen heutigen Möglichkeiten aufwächst. Für mich gehören das Physische und die Reisen zu den Museen dazu. Für mich bilden sie sogar die Voraussetzung dafür, dass ich dieses Bild identifizieren kann, und sie haben meine Möglichkeiten geprägt und bereichert, sie bildeten das WIE, mit dessen Anleitung ich nun durch diesen anklickbar gemachten Datendschungel wandere. Die vielen anderen Bilder von Breughels Zeitgenossen, die ich in den letzten Jahrzehnten sah, sind Teil meiner Betrachtung; denn das Google Art Projekt folgt ja auf Google Earth, weil die Oberflächen der Kunstwerke hier eine Tiefendimension haben, die als die kulturelle Leistung von Menschen alle terrestrischen Oberflächen enthält, so wie es Google mit „Earth“ anstrebte. Weil die Künstler in die Tiefe der Prozesse gegangen sind, haben sie uns als Menschheit überhaupt erst in die Lage versetzt, elektronische Datenverarbeitungsmaschinen und -systeme zu ersinnen und zu betreiben. Breughels Werk ist wohl eines, das der Komplexität der Organisiertheit von Kultur und kulturellen Netzwerken, wie dem einer Großbaustelle, sehr nahe kommt. Die „Bauherren“ von Flughafen und Konzertgebäuden, denen heute ihre Vorhaben aus dem Ruder laufen, wären gut beraten gewesen, vor Beginn der Arbeiten mal einmal einen Blick auf das Bild von Breughel zu werfen.

Die Möglichkeiten das nachzuholen sind nur ein paar Klicks entfernt. Doch dann kommt das WIE.