Über hannes

Johannes Lothar Schröder lebt als freiberuflicher Forscher, Autor und Lehrer in Hamburg. Sein Arbeitsgebiet ist der Zeitbezug in Werken der bildenden Kunst besonders im Futurismus und in der Performance Art und den hiervon beeinflussten künstlerischen Äußerungen. In der letzten Zeit recycelt er eigene Archivbestände in Form von Objekten, Performances und Installationen. Prototypen realisierte er auf verschiedenen Performancefestivals u.a. in Szczecin und Salzau www.performance-festival.de und auf Konferenzen von Performance Studies international (PSi) in New York, Mainz, Kopenhagen und Utrecht (2012). Schröder war von 2008 - 2013 Vorstandsmitglied im Einstellungsraum www.einstellungsraum.de. Im Archiv dieser Homepage sind zahlreiche Aufsätze zugänglich. Er unterrichtete Kunstgeschichte und Performance Art an verschiedenen Hochschulen (darunter Frankfurt, Hamburg, Lüneburg, Ottersberg). Workshops und Vorträge von ihm gab es in Tokio, Berlin, Hamburg, Nagoya, Eichstätt und anderswo. Er ist Mitherausgeber von „Journal Oriental“ www.amokkoma.eu Seit2015 widme ich mich primär dem Schreiben über Künstler und spezifischen Annäherungen an Kunst, Künstler*innen und ihre Werke. Ein Ergebnis ist das neue Buch "abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen". Es ist im September 2022 im ConferencePoint Verlag, Hamburg erschienen. ISBN 978-3-936406-61-0

Professionelles und Persönliches

Wichtige Werke und Entwicklungen in der Kunst sind leicht zu übersehen, wenn sie nicht im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen. Manches kann sich sogar unbemerkt vor der Haustüre abspielen und es ist nicht immer Betriebsblindheit, die dazu führt, dass selbst Interessierten Wichtiges oder Bedeutungsvolles durch die Lappen geht. Was zu erwarten ist, muss erst durch Erfahren bestätigt werden. Auch Privates spielt mit hinein. Infolge der kulturellen Umstrukturierung nach 1968 sollte es idealerweise im Öffentlichen aufgehen, konnte aber später wegen der zunehmenden „Professionalisierung“ der meisten beruflichen Bereiche und der Ökonomisierung der Kultur zum Karriererisiko werden. In dieser Situation überlegte ich zwei Mal, ob es besser wäre, als Dienstleister in die Tretmühle des Betriebs einzutreten oder meinen eigenen Vorstellungen weiter zu folgen. Durch eine Künstlerausbildung nach der Begegnung mit Werken der Pop Art auf der documenta 4 hatten sich ausgehend von der Auslegung Lucy Lippards Ansprüche entwickelt, die später nach dem Studium der Kunstgeschichte unhintergehbar wurden. Nach eigenen Experimenten mit Performances und Fotografie und Rückfällen in die Malerei fragte ich mich, welche Künstler*innen, die ich kenne, die Konflikte mit dem und um das Bild in einer mustergültigen Weise gelebt und ausgetragen haben.

Als Dieter Rühmann am 9. Mai 1985 seine Aktion djun-leb über der Hamburger Kunsthalle begann, versäumte der Autor dieser Zeilen dieses Ereignis, das schon im Kalender eingetragen war, aus privaten Gründen. Die Geburt seiner Tochter war elementarer als Kunst. So zeitigte das Leben Versäumnisse, die dieses Buch ganz im Sinne einer kunstgeschichtlichen Betrachtung nachholt. Solche Ereignisse häuften sich und blieben im Lauf der Jahrzehnte spürbar. Sie piesackten wie ein Stachel, wodurch auch nach Jahrzehnten noch eine Beschäftigung mit dem Versäumten erzwungen wurde. Auch die Mappe mit Materialien, die mir Annegret Soltau zuschickte, als meine Dissertation über Performances schon in einem fortgeschrittenen Stadium war, blieb zunächst liegen. Die Kataloge und Fotokopien, die 25 Jahre bis auf hinzugelegte Ergänzungen und gelegentliche Konsultationen im Archivkasten lagerten, wurden vor sieben Jahren endlich zum Gegenstand der Forschung, deren Ergebnisse nun vorgelegt werden können. Selten haben die unaufschiebbaren Ereignisse aus dem Leben so eindringlich auf die Kunst eingewirkt wie bei Soltau. Anders stand es um die Performance „Ma“ von Boris Nieslony. Sie war Teil einer Reihe von Aktionen, die während der in Berlin organisierten Performance-Konferenz „Ohne Strom“ aufgeführt worden waren. Die fast 20 Jahre währende Arbeit am Text war eine Folge der unmittelbaren Zeugenschaft und der Emotionen die die Aktion beim Autor hinterließ. Es bedurfte mehrerer Anläufe, um das Erlebte im Laufe von 20 Jahren angemessen zu beschreiben, zu betrachten und einzuordnen. Die verschiedenen Arbeitsphasen könnte man auch als ein Schlichtungsprotokoll des Widerstreits zwischen dem Ich und dem Es des Autors Eindrücke bezeichnen. Das Dargebotene und Wahrgenommene, das unmittelbar nach der Performance niedergeschriebenen wurde, rieb sich an den eigenen moralischen Schranken und ethische Bedenken. Für diesen Konflikt galt es schließlich eine Form zu finden, die sich im Layout niedergeschlagen hat.

(Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis und der Verlagsflyer befindet sich hier im Beitrag von Oktober 2022)

Neben der persönlichen Annäherung an die drei Künstler*innen findet sich eine Gemeinsamkeit in ihren Hauptwerken, die jeweils aus Tausenden von Einzelbildern bestehen, die zu und auf Tableaus kombiniert worden sind. Bei Rühmann ist es ein 50 Meter hohes Bild eines fotokopierten Mannes aus über 5000 Blättern. Sein Körper wurde in mehreren Vergrößerungsschritten von seiner natürlichen Größe auf ein Bildnis von fast 50 Meter Höhe hochgezogen. Soltau schuf eines ihrer Hauptwerke aus 1001 Abzügen von einem einzigen Mittelformatnegativ. Nach einem ersten Abzug bearbeitete die Künstlerin es schrittweise 500-mal mit einer Nadel und zog von jedem Zustand je zwei Positive (Recto und Verso). Auf 1,16 x 6,90 Meter arrangiert, generieren die Einzelbilder von den Abzügen eines Frauenkörpers ein Bild voller kinematografischer Dynamik. Nieslony sammelte zigtausende Ausrisse aus Zeitschriften mit Abbildungen von menschlichen Bewegungen und Tätigkeiten wie Gehen, Stehen, Tragen, Laufen, Springen, Fliegen usw. Die Anklänge an Aby Warburgs Bilderatlas werden durch die Anordnung von Teilen der Sammlung zu thematischen Tableaus augenfällig, die das aus der Performance-Kunst gewachsene Interesse am menschlichen Bewegungsrepertoire differenzierbar machen.

Im Folgenden ist der Versuch wiedergegeben, schon in der Anfangsphase der Arbeit an „abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen“ ein Vorwort zu schreiben. Es scheint heute so, dass diese überarbeitete Fassung die Schritte hin zur Veröffentlichung des Buchs verdeutlichen kann.

Dieses Buch fällt aus der Zeit.

Als ich mir die Arbeiten der drei Künster*innen aus kunsthistorischer Sicht vornahm, denen ich während verschiedener Abschnitte meines eigenen Schaffens als Künstler begegnet bin, war ich erneut mit den Herausforderungen seit den 1970er Jahren konfrontiert und sah die Fragezeichen hinter den Möglichkeiten des Abbildens, der Benutzung traditioneller Techniken und Genres. Ich begegnete dem Widerwillen erneut, mit dem man sich gegenüber den Produkten der Bildindustrie behaupten musste. Nutzte man am Ende selbst Video oder Audio oder verlegte man sich auf das Schreiben? Solche Fragen standen im Raum und das Ganze ereignete sich in einer Zeit nach der Ölkrise, wo man anfing zu leben, als würde es kein Morgen geben. Alkohol und Drogen verstärkten sodann eine Abkehr von den Idealen des enttäuschenden Verlaufs der 1968er Revolte und bewirkten einen inneren Bildersturm, der den Wert der Kunst generell in Frage stellte. Die Museumsdirektoren hatten das Ruder übernommen und sortierten die Kunst neu. Dieses Buch fällt aus der Zeit, denn es wendet sich zurück. Es hat in seiner Zeit in den 1980er Jahren gefehlt und wirkt heute retrospektiv. Man würde es nicht vermissen, es ist unbestellt und ungefragt entstanden und ist ein Stück Kunstgeschichte, die auf persönlichen Erfahrungen beruht. Es setzt sich mit wichtigen Positionen auseinander, die vor die Kulissen des Mainstreams gestellt worden sind.

Blockade durch Westorientierung

Im Geist des Kalten Krieges stellten sich die damals aufkommenden neuen Ausstellungsmacher klar auf die Seite des Westens. Mit Großausstellungen wie Westkunst, von hier aus, Metropolis, Emotions, Post Human etc. bestätigten sie auch kunstpolitisch die Zweiteilung der Welt. Den Rest regelte der Markt, durch Ignorieren bestimmter Positionen. Die Demarkationslinien zwischen den Kunstwelten liefen also keinesfalls nur zwischen den politischen und militärischen Blöcken, sondern auch durch die verschiedenen Länder und führten dazu, dass sich in den staatlich alimentierten Großausstellungen keinesfalls die Erwartungen und Ansprüche aller Akteure wiedergefunden haben.

Performance als Alibi

Man kann natürlich fragen, warum ich mich seinerzeit nicht eingemischt habe und wo die Alternative geblieben sind? Das fragte ich mich häufig selbst und kann nur darauf verweisen, dass ich in dieser Zeit, in der ich mich hauptsächlich für Performance-Kunst interessierte, die ich auch praktizierte und fotografierte, nicht stark genug als Kritiker engagiert habe. Meine eigenen Grundlagen waren noch nicht gefestigt. Eindrücke und Erfahrungen waren noch zu prozesshaft, um sie in Behauptungen zu gießen und offensiv vorzutragen. Außerdem überforderte Performance-Kunst die Methoden der Kunstgeschichte, weshalb weite Bereiche der Kunst bis heute den Eindruck erwecken können, dass es sich um eine Randerscheinung handeln würde. Gelegentlich lud man Künstler aus Gründen der Unterhaltung auf Messen und in Ausstellungen ein, was es den Medienvertretern erleichterte, interessante Bilder zu verbreiten. Insofern war es nur konsequent, dass Performances mit anderen ephemeren Äußerungen seit den 1990er Jahren der Theaterforschung bzw. den Performance Studies zugeschlagen wurden.

Impulse aus den Randbereichen

Es wird hier nicht weiter erörtert, warum das Gebiet aus der Kunstgeschichte abgestoßen wurde. Es soll genügen, dass die Erfahrungen mit Performances meinen Blick auf die künstlerischen Äußerungen seit den 1950er Jahren geschärft haben, so dass meine eigene Sicht auf die Kunst und ihren Betrieb wesentlich durch Erfahrungen an den Randbereichen und durch das Einlassen auf ephemere Ausfransungen geprägt wurde. An der Peripherie wurde die Interaktion mit benachbarten Gebieten anderer Künste und dem Alltag immer schon gepflegt. Übersehenes bei Joseph Beuys gibt Auskunft darüber, wie FLUXUS mit George Maciunas und seinen Weggefährten, aus der US-Garnison in Wiesbaden kommend, den damals unbekannten Beuys in den Fokus der Öffentlichkeit katapultierte. Auch die drei Kapitel in abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen legen eine alternative Sicht auf die Entwicklungen in den 1970er bis 1990er Jahre nahe, die nicht von den geschäftlichen und repräsentativen Absichten eines Kunstbetriebs geprägt sind, der danach trachten, rhizomatisch wuchernde und anarchistisch ausufernde Kunstentwicklungen unter Kontrolle zu bringen.

Mit der Auswahl dieser drei Künstler*innen wird gezeigt, wie hintergehbar die formierenden Versuche waren. Im Vergleich mit Arbeiten anderer zeigt sich aber auch, dass die hier in den Vordergrund gestellten künstlerischen Arbeiten fehlen, um ein vollständiges Bild seit den 1970er Jahren zu bekommen. Aus einer retrospektiven Sicht neue Schneisen in das wuchernde Gestrüpp zu schlagen, birgt die Gefahr die schönsten Blüten abzuschlagen und prächtigste Pflanzen zu beschädigen. Darunter liegen allerdings solche verborgen, die erst sichtbar werden, wenn die Vegetation in eine neue Phase tritt. Harald Szeemann vermutete einmal, es könne gut sein, dass wichtigste Künstler*innen des 20. Jahrhunderts noch gar nicht entdeckt worden sind.   

Verwerfen

Der Sinn des Verwerfens liegt also nicht nur in Aberglauben und Unwissen begründet. Aus einer Machtposition heraus offenbart es auch die Furcht vor dem anderen. Man wirft Unbekanntes leicht über den Haufen, um sich selbst und seinesgleichen vor den Herausforderungen durch Fremdes und Unheimliches zu schützen, doch zeigte etwa die Corona-Krise, wie schnell Institutionen ihre Anziehungskraft einbüßen können. Sehr schnell hat sich das Publikum daran gewöhnt, ohne Museen, Konzerte, Theater, Kinos und öffentlichen Bibliotheken auszukommen, so dass Besucherzahlen auch 2022 nach dem „Neustart Kultur“ weiter spärlich bleiben. Umgekehrt darf nicht vergessen werden, dass die geschlossenen Institutionen weiterhin einem begrenzten Personenkreis offenstanden; weshalb die dort Beschäftigten und Forschenden ihre Privilegien noch intensiver nutzen konnten als zuvor. In der Schlussphase der Arbeit an diesem Buch fehlte dem Autor etwa die Möglichkeit, einige Recherchen zu vertiefen und abzurunden. Demgegenüber erwiesen sich während der gesamten Recherche die eigenen Archivbestände als wertvoll, denn darin konnte auf Bestände und Sammlungsstücke zurückgegriffen und in den Fokus gerückt werden, die in bestehenden Archiven und Bibliotheken nicht oder noch nicht vorhanden sind.[1]

Das Foto von Ronald Goris zeigt mich auf einen Spaten gestützt, in der Art wie Jean-François Millet den Mann mit der Hacke dargestellt hat. Es entstand im Sommer während des Futur-Filmfestivals „FUTUR6“ im September in Hamburg am Strand von Övelgönne

[1] Ein vielsagendes Beispiel ist die Schwarze Lade von Boris Nieslony (Kap. III), eines der bedeutendsten Archive für Performancekunst in Deutschland, dem nach dem heutigen Stand mangels institutionellen Interesses der Forschung hierzulande, der Untergang droht.

abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen

Mein neues Buch ist erschienen.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis gefällig:

Um einen Auszug aus Kap II und über die Entscheidung für den Titel „abhängen“ zu lesen, gehe weiter zum folgenden Beitrag.

In Zukunft abgehängt?

Die Feuilletons mehrerer Medien berichteten im Vorfeld der diesjährigen documenta fifteen in Kassel über das Motto der Organisatoren der Indonesischen ruangrupa „gemeinsam abhängen“. Das kam bis kurz nach der Eröffnung der Weltkunstausstellung sympathisch rüber. Das änderte sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus gegen ein Agitproptableau, das von einigen Kritikern, Kunstsachverständigen und letztlich auch Politikern zu Anlass genommen wurde, die ganze Ausstellung zu diskreditieren. Ablehnung gehören seit jeher zum Ritual der Kunst und erst recht bei Großausstellungen, die schon immer Künstler, Galeristen und Kunstprofessionelle gegen sich aufbrachten, von deren Fahrwasser auch Politiker und andere angesogen werden. Dieses Mal wird aber der schwere Hammer der Zensur ausgepackt und die ganze Ausstellung, die einzige in Deutschland, die noch globale Beachtung findet, generell in Frage gestellt. Sogar mit einer kunstkommissarischen Aufsicht der Bundesregierung wird gedroht.

In der Zukunft abgehängt?

Die Feuilletons mehrerer Medien berichteten im Vorfeld der diesjährigen documenta fifteen in Kassel über das Motto der Organisatoren der Indonesischen ruangrupa „gemeinsam abhängen“. Das kam bis kurz nach der Eröffnung der Weltkunstausstellung sympathisch rüber. Das änderte sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus gegen ein Agitproptableau, das von einigen Kritikern, Kunstsachverständigen und letztlich auch Politikern zu Anlass genommen wurde, die ganze Ausstellung zu diskreditieren. Ablehnung gehören seit jeher zum Ritual der Kunst und erst recht bei Großausstellungen, die schon immer Künstler, Galeristen und Kunstprofessionelle gegen sich aufbrachten, von deren Fahrwasser auch Politiker und andere angesogen werden. Dieses Mal wird aber der schwere Hammer der Zensur ausgepackt und die ganze Ausstellung, die einzige in Deutschland, die noch globale Beachtung findet, generell in Frage gestellt. Sogar mit einer kunstkommissarischen Aufsicht der Bundesregierung wird gedroht.

Angesichts solcher Attacken fragt man sich, warum die Verantwortlichen nun abtauchen und nicht etwa offensiv ihre Auffassungen vertreten. Möglicherweise war ihnen nicht klar, dass der Kunstbetrieb alles andere als eine Gemeindescheune ist, in der der es sich gut feiern und reden lässt.

Die harten Bandagen der Kämpfenden bleiben oft im Verborgenen, obwohl genau das soeben praktizierte Abhängen von Kunstwerken in Deutschland gar nicht so unüblich ist, wie man zu denken geneigt ist. Erst 2011 wurde in der Goldhalle des Hessischen Rundfunks in Frankfurt eine große Fotoarbeit aufgrund der Intervention des damaligen Intendanten des Senders mit einer Wolldecke zugehängt. Weil er die Darstellung der Vernähungen von Versatzstücken nackter Körper von vier Generationen einer Familie anstößig fand, veranlasste er, die frei im Raum hängenden Großfotos unsichtbar zu machen. Es handelte sich nicht um einen trivialen Akt kunstpolitischer Willkür, sondern um die Zensur einer Ausstellung und war gegen die Preisträgerin des Marielies-Hess-Kunstpreises Annegret Soltau gerichtet. Eine feministische Künstlerin hat nicht so viele Mitstreiter an ihrer Seite wie ein Darling einflussreicher Sammler. Nicht einmal die Jury wehrte sich und die Feuilletons der örtlichen Zeitungen schwiegen.

Abb. aus: Johannes Lothar Schröder: abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen. Hamburg 2022, S.225 und 226
Abb. aus: Johannes Lothar Schröder: abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen. Hamburg 2022, S.225 und 226

A b h ä n g e n

Abhängen wird in dem gleichnamigen Buch, das im August im ConferencePoint Verlag in Hamburg erscheint, wie folgt definiert und argumentativ eingesetzt:

„Der Titel „abhängen“ unterstreicht die Suche nach alternativen Präsentationsformen von Großformaten und zeigt aber auch, dass die Künstler*innen zeitweise bis zum Eklat aneckten. Dabei ging es nicht bloß um die Missachtung ihrer Werke, sondern um handfeste Unterdrückung bis hin zur Zensur, die auch nicht vor dem Verhängen von Kunstwerken, wie im Fall der Fotovernähungen von Annegret Soltau zurückschreckte. Abgehängt werden aber auch langsamere Fußgänger, Läufer oder Fahrzeuge, die von schnelleren hinter sich gelassen werden. Was im Leben nicht ungewöhnlich ist, gilt auch im übertragenen Sinn. So bedeutet abhängen als Metapher auch, einen anderen Lebensstil zu pflegen, der in einer besitzorientierten Leistungsgesellschaft als anstößig wahrgenommen wird, aber tatsächlich auch ins soziale Abseits führen kann. Das gilt besonders Jahrzehnte nach dem fraglichen Zeitraum der hier in den Blick genommenen künstlerischen Entwicklungen seit den 1970er Jahren[, in denen Arbeitslosigkeit prekäre Arbeitsverhältnisse hervorbrachte, die seitdem um sich greifen.] So kennzeichnet heute Selbständigkeit in vielen Branchen euphemistisch Arbeitsverhältnisse ohne soziale Absicherung, die eine zunehmende Zahl von Menschen am Ende ihres Erwerbslebens abgehängt dastehen lässt.

Die Konflikte der drei Künstler*innen (Annegret Soltau, Dieter Rühmann und Boris Nieslony) mit Museumsleitungen, Jurys, Ausstellungsmacher*innen und Verleger*innen mit offenen Machtdemonstrationen seitens der Institutionen und ihren Repräsentant*innen nähren die Vermutung, dass es einen weit verbreiteten Konfliktherd gibt, der ungern thematisiert wird, um das Bild einer aufgeschlossenen Kunstöffentlichkeit nicht zu verderben. Von Zensur, dem Abhängen von Bildern und Verhinderungsversuchen waren vor allem Rühmann und Soltau betroffen, während Nieslony als Performancekünstler bis in dieses Jahrtausend hinein sowieso von vergleichsweise ungenügender Darstellung seiner Ausstellungsbeteiligungen und unzulänglichen Beiträgen in Publikationen betroffen war. Da aber jeder Blick auf Kunstwerke auch immer ein Blick aus der eigenen gesellschaftlichen Wirklichkeit und Position heraus ist, offenbart Ablehnung – gerade unter Druck – Voreingenommenheit und Abwehr von Forderungen, die von Schwächeren an Institutionen herangetragen werden. Die ungeschriebenen Regeln im Kunst- und Kulturbetrieb erscheinen dann wie eine Verteidigungslinie zum Schutz des Status der dort Tätigen und ihrer Definitionsmacht. Daher können ästhetische Entscheidungen nie absolut sein, wenn sie sich Grenzen nähern, an denen Veränderungen gefordert werden. Jede dieser Künstler*innen war in solche Situationen verwickelt und im Einzelnen wird sich zeigen, auf welche Vorbehalte sie jeweils stießen und mit welchen Maßnahmen ihre Kunst ausgeschlossen wurde.“

Johannes Lothar Schröder: abhängen. Bilder und Gefühle verwerfen. Hamburg 2022, S.10f, ISBN 978-3-936406-61-0, Zur besseren Verständlichkeit der Verweise wurden an zwei Stellen die Namen der Künstler*innen in die zitierten Passagen aus dem Vorwort eingefügt.